Erschienen in Ausgabe: No 88 (06/2013) | Letzte Änderung: 25.05.13 |
von Heike Geilen
"In Luigi
Pirandellos unvollendetem Drama 'Die Riesen vom Berge' steigt eine erfolglose
Schauspieltruppe in einer Villa ab, in der sonderbare Dinge geschehen. Man
fällt in diesen Mauern aus der Zeit. Mythologisches hängt in der Atmosphäre.
Ein Zauberer lädt das fahrende Volk ein, bei der Hochzeit eben jener Riesen
aufzuspielen. Man nennt sie die 'Könige der Welt', sonst weiß man nicht viel
über sie. Und hier bricht das Stück ab, der italienische Nobelpreisträger starb
1936 darüber. Die Riesen haben stets Anlass für wildeste Spekulationen gegeben:
Handelt es sich um Faschisten oder sind es Theatergötter, zu denen die
Gegenwart den Kontakt verloren hat? Und wer ist dieser einsame Zauberer, der
nichts von sich preisgibt? Pirandellos Dramatik und Dramaturgie sind geprägt
vom Zweifel an der Idee des Kunstwerks. Es hat sich verflüchtigt, lässt sich,
wenn überhaupt, nur noch für Momente fixieren. Pirandello war vieles, vor allem
aber war er ein Künstler des 20. Jahrhunderts, der 1920er-Jahre, und daraus
ergibt sich ein ebenso einfacher wie schlagender Befund: In seinem letzten
Stück beschreibt er den Verlust der Künstlerexistenz, wie sie das 19.
Jahrhundert geprägt hat. Die Titanen haben abgedankt, es ist die Epoche der Faschisten
und Stalinisten, es sind jetzt Diktatoren, die Welten errichten und vernichten.
Kurz: Der Künstler hat sich erledigt." (aus "Die sächsischen
Olympier" von Rüdiger Schaper und Christine Lemke-Matwey)
"Die
Riesen vom Berge"... Dies könnte auch auf das Dreigestirn Richard Wagner,
Max Klinger und Karl May zutreffen. Jeder von ihnen "thronte"
gleichfalls auf seine ganz besondere Art auf dem Berge. Sie stammen aus eben
jener vorigen Welt, die uns heute wieder so sehr fasziniert und die nur äußerlich
untergegangen ist. "Wir gründen, immer noch, immer aufs Neue, aufs 19.
Jahrhundert, wir stehen auf ihm. Und was immer die drei unterscheidet und
voneinander trennt - sie sind Riesen, Genies, Demiurgen, die imstande waren,
nach eigenem Ermessen kohärente Werkzusammenhänge zu schaffen. Sie nahmen den
Platz Gottes ein, den andere vom Thron gestoßen hatten, und boten sich als
Neu-Götter an: die radikalsten Neuerer sind ja meistens die, die am weitesten
in die Vergangenheit zurückgreifen.", stellen Schaper und Lemke-Matwey
treffend fest. Sie waren Spieler, Himmelsstürmer, gierten nach Größe und einer
von Menschen gemachten Ewigkeit. Sie drehten am großen Rad. Und um dem Ganzen
noch eines obenauf zu setzen: "Das die Trias aus Sachsen stammt, hat eine
geradezu antike Wucht: Als wäre vom klassischen Athen die Rede, auch einem
vergleichsweise überschaubaren Gebiet, das in kurzer Zeit eine so große Zahl
von Weltgeistern hervorbrachte und kaum überschaubare Traditionen und
Gegenbewegungen gründete."
Das
Museum der bildenden Künste in Leipzig eröffnete am 16. Mai 2013 eine
Ausstellung, die diese drei doch so unterschiedlichen Männer zu einem
"Gipfeltreffen" einlädt, das die Antike mit Christus sowie heidnische
und christliche Religion in Dialog treten lassen möchte und sie letztendlich
auf einem höher gelegenen Ort, dem "Olymp", zu vereinen. Das
vorliegende Buch ist dabei großartige und hervorragend gelungene Vorbereitung,
Ergänzung und exzellente Begleitung dieser "magischen Vereinigung".
Wagner, Ernst und May sind "unterwegs zwischen den mythologischen
Welterklärungen und Glaubensbekenntnissen, die Kulturgut definieren und Werke
formieren.", stellt Hans-Werner Schmidt, der Direktor des ausstellenden
Museums in seinem Einführungsartikel fest. Ihr Schöpfen wird im ersten Teil der
Ausstellung analysiert und zwar anhand von Richard Wagners Interpretationen der
Landschaftsmalerei zu einer bühnenartigen Szenerie, die den Ort für dramatische
Handlungsabläufe gibt: Das Meer, der Rhein, der Wald, das Hochgebirge, die
typisch wagnerschen Landmarken. Zahlreiche Gemälde anderer
"Zeitzeugen" ergänzen das üppige Kompendium. Aber auch der modernen
Kunst wird ein Weg eingeräumt. So treten neben den kunsthistorisch,
zeitsynchronen Kapiteln zu Wagners Schaffen auch sehr individuelle Sichten von
David Timm, Falk Haberkorn oder Clemens Meyer entgegen. "rosalie"
wiederum, eine Künstlerin, die für das Bühnenbild und die Kostüme des
"Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen (1994-1998)
verantwortlich zeichnete, folgt in ihren Rauminszenierungen "Wagners Idee
des Gesamtkunstwerks, dem Anspruch, die Sinne anzusprechen in einer
ästhetischen Totalen". Da erscheint Richard Wagner als Heldendisplay in
einer Lichtskulptur. Max Klinger trifft man in einer begehbaren Landschaft der
Melancholie. Karl May wiederum kann man sich in einer Schlucht nähern, die an
ihren Steilwänden in Bildkaskaden die Weite der Landschaft suggeriert und
gleichermaßen die Enge der Denkstube spürbar werden lässt. "Der Komponist,
der bildende Künstler, der Schriftsteller - sie erfahren ihre Präsenz durch
eine mehrfach urige Enkelgeneration im gleichen Fach."
Fazit:
"Weltenschöpfer" zieht in klugen Beiträgen sowie einer immensen Fülle
an hochwertigem Bildmaterial vielfältige Parallelen zwischen dem Komponisten
Richard Wagner, dem bildenden Künstler Max Ernst und dem Schriftsteller Karl
May, die sich nicht nur auf ihre gemeinsame Herkunft aus Sachsen beschränken -
und zwar sowohl in ihrer Kunstauffassung als auch in ihrer biografischen
Inszenierung des Künstlertums. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist dabei Wagners
Landschaftsauffassung, die bezüglich ihrer historischen Bildquellen mit der
romantischen Malerei kontextualisiert und zugleich in ein
geistesverwandtschaftliches Verhältnis zu Klingers und Mays Bilderwelten
gebracht wird. Ein äußerst gelungenes Unterfangen!
Weltenschöpfer
Richard Wagner, Max Klinger, Karl
May
Hatje Cantz Verlag (Mai 2013)
232 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3775735372
ISBN-13: 978-3775735377
Preis: 39,80 EUR
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