Erschienen in Ausgabe: No 88 (06/2013) | Letzte Änderung: 25.05.13 |
von Heike Geilen
Entstanden
um 1307 bis 1327 ist Dante Alighieris epischen Gedicht "Die göttliche
Komödie" (La Divina Commedia) die erste umfangreiche Dichtung in
italienischer Sprache und bis heute ein Hauptwerk der italienischen Literatur.
Geschildert wird die eigene Wanderung des Autors durch das Jenseits, nachdem er
den "rechten Weg verloren" hatte. Sie dient sozusagen als Läuterung
und ist, weil Dante als Lebender in die Welt der Toten gelassen wird, eine
große Gnade. Gemeinsam mit seinem Führer, dem römischen Dichter Vergil,
durchschreitet er zunächst die Hölle (Inferno) und gelangt hernach in das
zweite Reich des Jenseits, auf den Läuterungsberg (Purgatorio). Auf dem Gipfel
angekommen übernimmt dann Beatrice, eine engelsgleiche, idealisierte
Frauengestalt die Führung und durchschwebt mit ihm das Paradies (Paradiso), wo
er ganz zuletzt die Trinität und Gott selbst erahnen darf.
Nicht
weniger als dieses 14000 Zeilen umfassende epische Werk des Florentiners hat
sich Dan Brown als neueste Werksvorlage herangezogen. Leider verliert es der
Bestsellerautor zwischendurch völlig aus dem Blick, um am Ende allerdings genau
mit dem Wort zu enden, das auch Dante in allen drei Büchern setzte:
"Sterne". Angesiedelt in dessen Heimatstadt kombiniert, analysiert
und entschlüsselt sein Held Robert Langdon, seines Zeichens Professor für
Symbolologie und Kunstgeschichte an der Harvard University, erneut die geheimen
Botschaften einer groß angelegten Weltverschwörung. Dieses Mal inszeniert von
einem "durchgeknallten" Genie ("Wahnsinn bringt Wahnsinn
hervor."), dem Schweizer Genforscher Bertrand Zobrist. Dieser fühlt sich
berufen im Alleingang das zunehmende Problem der Menschheit, ihr eigenes,
exorbitantes Wachstum, wirkungsvoll zu lösen. "Oh, ihr starrsinnigen
Ignoranten. Seht ihr denn nicht die Zukunft? Begreift ihr denn nicht die
Brillanz meiner Schöpfung? Die schiere Notwendigkeit?" Mittels einer
bedrohlichen Substanz, die er an einem geheimen Ort platziert, opfert sich der
bekennende Dante-Verehrer bereits auf den ersten Seiten selbst und ruft mit
seiner hinterlassenen, verschlüsselten Botschaft Robert Langdon auf den Plan.
Gemeinsam mit der schönen Intelligenzbestie Sienna Brooks sowie der ständig
diffusen Nähe der WHO startet Langdon seinen neuen, spannungsreichen,
altbekannten "thinks and run"-Prozess.
"Suche,
und du wirst finden." Mit diesen Worten im Ohr entfaltet sich über 104
kurze und knackige, immer mit einem Paukenschlag endende, chronologische
Kapitel, in steter Abwechslung von erstaunlich geduldiger Kopfarbeit, immer
wieder zündenden Geistesblitzen und der sich anschließenden temporeichen
(Verfolgungs-)Jagd zum nächsten Schauplatz, ein Museumsbesuch der ganz anderen
Art. Seite um Seite hetzt Langdon, analog der allerorts anzutreffenden
Touristengruppen mit ihren fähnchenwinkenden Kulturführern, von einer
Sehenswürdigkeit zur nächsten: vom Palazzo Vecchio, über il Duomo, dem
Baptisterium oder dem Boboli-Garten. Er analysiert Botticellis und Gustave
Dorés berühmte Dante-Illustrationen oder Giorgio Vasaris "Battaglia di
Marciano". Und genau daraus speist sich auch das Erfolgsgeheimnis. Nicht
der Formen- und Einfallsreichtum führt zum Leserausch, sondern das relativ profane
Lesefutter generiert aus eben dieser verwinkelten, spannungsgeladenen
Spurensuche seinen Nährwert. Das Ganze wird dann noch mit einer
geschichtlich-kulturellen Hintergrundgewürzmischung harmonisch abgeschmeckt,
hinzu kommt eine Prise Mystik und ein Tropfen Kunstverstand. Gut durchgerührt
entfaltet sich eine breitentaugliche, durchaus nicht übel schmeckende Suppe,
zwar ohne herausragende Nuancierungen, aber mit gefälligem Anklang. Eine
Synthese, die sogar zum ethisch-moralischen Diskurs taugt. Aber Vorsicht:
Schlürfen Sie sie auf jeden Fall im für den Gaumen erträglichen
Temperaturbereich. Denn: "Die heißesten Orte der Hölle sind reserviert für
jene, die in Zeiten moralischer Krisen nicht Partei ergreifen."
Fazit:
"Inferno" wartet erneut mit den von Dan Brown schon hinreichend
bekannten und sicherlich auch erfolgsbewährten Bausteinen auf:
Weltverschwörungstheorien, historische Fakten, künstlerische Einsprengsel, eine
unmittelbare Gefahr für die Gegenwart und dem doch auf seine Art immer etwas
gesichtslos bleibenden, akademischen Ermittler Robert Langdon, der die
Zusammenhänge erkennen muss und dem man zuweilen zurufen möchte: Jetzt mach
aber mal einen Punkt! Mitnichten ein Buch für irgendeinen Literatur-Preis, aber
eine spannende, zuweilen auch kulturell-interessante Lektüre ist es allemal.
Und warum sollte man nicht auch von Zeit zu Zeit ein gefälliges, gut
schmeckendes Süppchen zwischen all der Pasta, den argentinischen Rindersteaks
oder Gemüseaufläufen einschieben? Wohl bekomm's!
Dan Brown
Inferno
Aus dem Englischen von Axel Merz
und Rainer Schumacher
Bastei Lübbe Verlag (Mai 2013)
685 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3785724802
ISBN-13: 978-3785724804
Preis: 22,90 EUR
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