Erschienen in Ausgabe: No 89 (07/2013) | Letzte Änderung: 25.06.13 |
von Susanne Weiß
Thematisch
befasst sich Ernst Cassirer in dem Kapitel ,,Kunst“ des kulturanthropologischen
Werkes ,,Versuch über den Menschen“ (Kapitel IX. Kunst, S. 212 –261) damit, wie die Sphäre der Kunst, als
völlig autonomes Diskurssystem, – in Abgrenzung zu den Bereichen der Wissenschaft,
der Sprache, der Geschichte, der Religion oder der Mythos‘ – vermag, durch ein Vereinen
der beiden konträren Pole des Objektivismus und des Subjektivismus, das
Phänomen der Schönheit innerhalb der unterschiedlichen (Kunst)Epochen des 18. –
20.Jhds. auf unterschiedliche Art und Weise zu verstehen, abzubilden und zu interpretieren.
Cassirer konstatiert, wie sich, durch die Jahrhunderte hinweg, mittels
menschlicher Erfahrung, Erlebnisfähigkeit und ästhetischer Anschauung, das
Kunstverständnis von einer rein objektiven Nachahmung der Wirklichkeit/Natur (griech.
μίμησις) zunehmend in Richtung eines Einbezugs der subjektiven Deutung des
Dargestellten verlagert, in welche die Empfindungen, Gefühle und Intentionen
des Künstlers mit einfließen.
Bis zu Kant,
im 18.Jhd., haben sich die Menschen bemüht die Beurteilung der Kunst innerhalb
der Bereiche der theoretischen Erkenntnis und der Sphäre der Moral zu suchen. Die
Philosophie der Schönheit und die ästhetische Erfahrung sind mit dem Prinzip
der außerästhetischen Beurteilung – der Logik der Einbildungskraft – verknüpft
worden, durch welches versucht wurde, die Kunst – verstanden als Gleichnis bzw.
bildhafter Ausdruck, dem höheren Zweck, die Schönheit der Natur bildhaft zu
erfassen, dienlich – zu verstehen und vollends zu durchdringen (vgl. ebd.: 213).
Alexander Gottlieb Baumgarten, ein deutscher Philosoph der Leibniz-Wolff’schen
Aufklärungsphilosophie, hat innerhalb und mithilfe seines Werkes ,,Aesthetica“
(1750) versucht, eine Logik der Einbildungskraft zu entwerfen – besagtes Werk
verhalf der Kunst allerdings nicht zu völliger Autonomie.
Kant ist es wenig
später, innerhalb seines Werkes ,,Die Kritik der Urteilskraft“ (1790), als
Erstem gelungen, einen klaren Beweis für die Autonomie der Kunst zu liefern. So
hat er zeigen können, dass das Schöne innerhalb der Kunst als ,,interessenloser
Wohlgefallen“ wahrgenommen wird, völlig ohne die begriffliche Aneignung des
Gegenstandes. Zudem hat er herausstellen können, dass das Geschmacksurteil das
Paradox vereint, subjektiver und zugleich verallgemeinerbarer Natur zu sein.
Und er konstatiert zudem, dass die ästhetische Erfahrung als freies Spiel des
Erkenntnisvermögens, der Sinnlichkeit und des Verstandes aufzufassen ist.
Im Anschluss
daran stellt Cassirer heraus, dass sowohl die Philosophie der Kunst als auch die
Philosophie der Sprache zwei antagonistische Tendenzen aufweisen, welche aus
der differenten Interpretation der Wirklichkeit, einer objektiven und einer
subjektiven Deutung, herrühren. Die objektive Deutung von Kunst, welche bis in
die erste Hälfte des 18.Jhds. die Natur wirklichkeitsgetreu wiedergeben und
nicht drastisch verändert oder verzerrt abbilden wollte, basiert demgemäß auf
der Nachahmung äußerer Dinge (griech: μίμησις) und kann das Herausstellen der
Schönheit dieser Dinge als ihr oberstes Ziel bezeichnen. Dieses Darstellungs-
und Deutungsverständnis beinhaltet allerdings auf Seiten des Künstlers die
Schwierigkeit, die mechanische Nachahmung der Wirklichkeit/Natur möglichst derart
realitätsgetreu mit der eigenen subjektiven Kreativität zu verbinden, dass die
Wirklichkeit/Natur nicht in komplett verfälschtem Lichte wiedergegeben wird und
sich die subjektive künstlerische Darstellung nicht destruktiv bzw. negativ auf
die Nachahmung der Realität auswirkt. Es sollte ein angemessener Mittelwerg
zwischen den Elementen objektiver und subjektiver Darstellung gefunden und
gewählt werden (vgl. ebd.: 213ff.).
Mit dieser
klassischen und neoklassischen objektiven Kunstinterpretation bricht der
französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau[1] Mitte
des 18.Jhds. und läutet eine neue Phase der ästhetischen Theorie ein – die Entfaltung
der subjektiven Deutung. Die sogenannte onomatopoetische Kunsttheorie (griech.:
ὄνομα: Name und ποίησις: Herstellung,
Erschaffung – Nachahmung eines Naturlautes, Lautmalerei) löst die bloße
Nachahmung der Wirklichkeit/Natur ab und rückt fortan, als Kunst des
unmittelbaren Affektausdrucks, in den Vordergrund (vgl. ebd.: 218f.). Nach Rousseau
– in Deutschland ist dessen Vorstellung von Herder und Goethe übernommen worden
– hat die Kunst nicht mehr ausschließlich die Aufgabe der Nachahmung der
Wirklichkeit/Natur, sondern ist ab sofort vielmehr Ausdruck von Gefühlen,
Leidenschaften, Empfindungen und Intentionen des Künstlers, welche für ein
umfassendes Verständnis und eine erschöpfende Interpretation des jeweiligen
Kunstwerkes berücksichtigt und mit einbezogen werden müssen. Das Prinzip der
μίμησις hat somit dem, sich grundlegend verändernden Bild von Schönheit, und
dem neuartigen Ideal einer ,,charakteristischen Kunst“ weichen müssen. Das
Darstellen von Schönheit durch bloße Nachahmung der Wirklichkeit/Natur ist ab
dem 18.Jhd. nicht mehr das primäre gewesen, sondern nur noch zum sekundär
angestrebten Ziel erklärt worden. So schreibt Goethe: ,,Die charakteristische Kunst ist nun
die einzige wahre. Wenn sie aus inniger, einiger, eigner, selbstständiger
Empfindung um sich wirkt, unbekümmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie
aus tauber Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden, sie ist
ganz und lebendig“ (ebd.: 217).
Dieser
Umbruch der reinen Nachahmung der Wirklichkeit/Natur hin zur affekt- und
gefühlsbetonten ,,charakteristischen Kunst“ erforderte einen
Perspektivenwechsel und mannigfaltige Interpretationsmuster. Aus beiden
Komponenten – sowohl der objektiven Darstellung als auch der subjektiven
Deutung eines Kunstwerkes – hat eine nicht zu trennende Einheit zu entstehen,
welche dann als Gesamtkomposition im Ganzen erschlossen werden kann (vgl. ebd.:
218ff.). Anzumerken ist an dieser Stelle, dass innerhalb zahlreicher moderner
ästhetischer Theorien, wie bspw. beim italienischen, idealistischen Philosophen
und Historiker Benedetto Croce, die Problematik der Interpretation von Kunst(werken)
darin besteht, den objektiv stofflichen, materiellen, formenden und
bildgebenden Teil der Kunst (μίμησις) jedoch nicht vollkommen in den
Hintergrund treten zu lassen und ausschließlich subjektiven Intuitionen und
Empfindungen des Künstlers vorrangige bzw. ausschließliche Beachtung zu
schenken. Kunst dient fortan nicht mehr der bloßen Nachahmung der
Wirklichkeit/Natur, sondern ist vielmehr als Entdeckung bzw. Erschließung der
objektiven Wirklichkeit zu bezeichnen, die es – genauso wie der Bereich der
Sprache – vermag, durch Vereinfachung und Konzentration auf das Wesentliche,
die Komplexität der Wirklichkeit/Natur in reduzierter Art und Weise für den
Betrachter darzustellen.
Sprache und
Wissenschaft(Kapitel VIII. und Kapitel
XI.) verkürzen die Wirklichkeit/Natur durch Abstraktion mittels Zahlen,
physikalischen und chemischen Konstanten (bspw. dem Newton’schen Gravitationsgesetz
oder dem gesamten Aufbau des materiellen Universums) und lassen die
Wirklichkeit dadurch stets ein Stück weit verarmen. Die Wissenschaft deckt
nicht durch Kontemplation die Ordnung der Natur auf, sondern versucht auf
aktive Weise Kohärenz und Sinn in das Chaos der natürlichen Ordnung zu bringen,
logische Verbindungen zwischen Dingen herzustellen und Ursachen für bestimmte
Abläufe im Bereich der Natur aufzudecken (vgl. Ferry. 2013: 120f.).
Die Kunst
hingegen intensiviert und konkretisiert die Kunst die Wirklichkeit/Natur
kontinuierlich. Sie liefert eine Anschauung der Form, eine authentische
Entdeckung von Naturgesetzen und eine individuelle, augenblickliche
Physiognomie bestimmter Gegenstände, die von Künstler zu Künstler sehr stark
variieren können (vgl. ebd.: 222f.). Kunst vermag, mittels der
Wahrnehmungsmöglichkeit der äußerst reichen ästhetischen Erfahrung, die
Trennung zwischen der Alltagswahrnehmung eines Gegenstandes und der
Beschreibung seiner visuellen Gestalt und Struktur zu überbrücken, welche dem
Menschen durch bloße Sinneserfahrung verschlossen bliebe. So betont Cassirer: ,,Die
ästhetische Erfahrung hingegen ist unvergleichlich viel reicher. Sie schließt
unendliche Möglichkeiten in sich, die in der gewöhnlichen Sinneserfahrung
unverwirklicht bleiben“ (ebd.: 223). Kunst versucht die dynamischen
Prozesse des inneren Lebens auszudrücken, die sich der Alltagswelt entziehen.
So bekräftigt bereits Platon innerhalb seines Werkes ,,Symposion“, dass Kunst –
gleichgültig ob Musik, Literatur oder bildende Kunst – das Genre der Komödie
und der Tragödie, und damit Gefühle der Lust und Unlust, stets miteinander
vereint (vgl. ebd.: 230).
Wenn
Kunstwerke auch nur als flüchtige Ausbrüche leidenschaftlicher Gefühle von
Seiten des Künstlers aufgefasst werden können, vermögen sie doch ein Gefühl
tiefer Einheit und Kontinuität zu vermitteln, die den Menschen – anders als
durch bloße Nachahmung der Wirklichkeit/Natur – eine neu entstandene
Wirklichkeit entdecken bzw. erblicken lassen. Der innerhalb des 19.Jhds.
wirkende französische Schriftsteller und Journalist Èmile Zola beschreibt die
Begrifflichkeit des Kunstwerkes überaus treffend als ,,Zipfel der Natur, gesehen durch ein
Temperament“ (ebd.: 224). Nur durch das wirkliche sich Einlassen auf
die Intentionen und Empfindungen, die ein Kunstwerk ausstrahlt, lässt sich die
Einheit von objektiver und subjektiver Deutung und die damit einhergehende
Universalität der plastischen und poetischen Formen entsprechenden Kunstwerkes
spüren. Kant unterscheidet noch zwischen ,,ästhetischer Gemeingültigkeit“ – der
reinen Anschauung/Betrachtung eines Gegenstandes und der Beurteilung der
Schönheit im Feld aller darüber urteilenden Subjekte dieses Gegenstandes im
Medium der sinnlichen Formen – und ,,Allgemeingültigkeit“ – dem Bereich der
nüchternen wissenschaftlichen, logischen und moralischen Urteile. Ab dem
18.Jhd. allerdings änderte sich, wie bereits erwähnt, die Kunstauffassung
dahingehend, ein Kunstwerk derart zu verstehen, dass es den Menschen zum einen dazu
befähigt es in den Augen des, für die Produktion verantwortlichen, Künstlers zu
betrachten und in das Innere – auch das Gefühlsleben – des Gegenstandes/Kunstwerkes
einzudringen, zum anderen dazu, diese subjektive Darstellungs- und
Deutungsweise jedoch als allgemeingültig wahrzunehmen und keineswegs als nicht
objektiv gültig anzuzweifeln (vgl. ebd.: 224). Somit kann festgehalten werden,
dass Schönheit nicht eine Eigenschaft der dargestellten
Dinge/Wirklichkeit/Natur selbst oder ein ,,bloßes >>percipi<<, als
>>Wahrgenommenes<<“ist,
welches wirklichkeitsgetreu bzw. objektiv nachgezeichnet werden kann (ebd.:
232). Schönheit ist vielmehr eine Verstandestätigkeit, eine Wahrnehmungsform
und ein Prozess der Perzeptualisierung – ein Prozess der sinnlichen
Wahrnehmungs- und Aufnahmefähigkeit –, das ohne den Bezug zum menschlichen
Verstand nicht nachvollzogen und durchdrungen werden kann. Es kann zwischen
,,organischer“ (natürlicher) Schönheit – dem Feld lebendiger Dinge innerhalb
der Natur – und ,,ästhetischer“ Schönheit – dem Feld lebender Formen innerhalb
des Feldes der Kunst bzw. der Kunstwerke – differenziert werden. So schreibt
Cassirer: ,,(…)
Die organische Schönheit einer Landschaft ist nicht dasselbe wie die
ästhetische Schönheit, die wie in den Werken großer Landschaftsmaler erspüren
(…)“ (ebd.: 233).
Kunst kann
daher als unabhängiges autonomes Diskurs-Universum bezeichnet werden, welches,
durch weitreichende Erfindungskraft und Phantasie, vermag die Welt zu beleben.
Ein Kunstwerk kann auf den Betrachter in seiner Vollkommenheit lediglich durch
eine Kombination aus dem Herausstellen des ,,inneren Sinns“ des Dargestellten –
der Struktur, der Ordnung, der unmissverständlichen Sprache – und der
Entäußerung – verstanden als ,,sichtbare
oder greifbare Verkörperung nicht einmal in einem bestimmten Medium (…),
sondern in sinnlichen Formen, in Rhythmen, in Farbstrukturen, in Linien und
Zeichnungen, in plastischen Formen“ – gänzlich verstanden und
durchdrungen werden (ebd.: 237). Somit hat, um erneut darauf hinzuweisen, die
objektive Darstellung eines Kunstwerkes, mit der subjektiven Darstellungsweise
des Künstlers zu einer Einheit zu verschmelzen, durch die dann erst eine
umfassende Interpretation entsprechenden Kunstwerkes ermöglicht wird. Laut
klassischer und neoklassischer Theorien beispielsweise sollte die Phantasie und
Kreativität des Künstlers von dessen eigenem Verstand gelenkt und den beiden Regeln
bzw. evidenten Vorgaben des Raumes und der Zeit unterworfen sein und zudem das
Dargestellte nicht völlig abwegig bzw. unrealistisch nachbilden (vgl. ebd.: 234f.).
Die romantische Kunsttheorie, vom Ende des 18.Jhds. bis zum Anfang des 19.Jhds.
hingegen, mit Vertretern wie Novalis, Goethe, Schlegel, Fichte oder Schelling,
hat sich nach dem ,,Goldenen Zeitalter“ – der Urphase der Menschheitsgeschichte
– zurückgesehnt und von den klassischen Anschauungen eines ,,schönen
Kunstwerkes“ immer stärker abgewendet. Innerhalb der romantischen Kunsttheorie
ist vielmehr, durch poetische Phantasie und Einbildungskraft mit universellem,
metaphysischem Charakter, das Großartige und Wunderbare als besonders darstellenswert
erachtet worden. Die Künstlerische Darstellungsweise innerhalb der Phase der
Romantik hat sich der symbolischen Sprache des Mythos‘ und der Dichtung
(Kapitel VII.) bedient, da diesen beiden Bereichen die Kraft der
Personifikation – der Vermenschlichung einer Idee oder eines Gegenstandes –
innewohnt und dieser Aspekt für die Darstellungsweise innerhalb der Kunst von
existentieller Bedeutung ist. Die Künstler der Romantik verstanden das Feld der
Kunst als ,,transzendentale Philosophie“, durch die versucht wurde, die Grenzen
des Erfahrbaren zu überschreiten und eine völlig neue Wirklichkeit zu eröffnen.
Durch das höchste Ziel, die Philosophie und die Poesie miteinander zu vereinen,
ist jegliche künstlerische Darstellungsform als das eine ultimative Kunstwerk
angesehen worden (vgl. ebd.: 236f.). Dieses Verständnis resultiert aus der,
innerhalb der Romantik herrschenden, Vorstellung, das Schöne könne als die
symbolische Darstellung des Unendlichen bezeichnet werden. Es herrschte der
strikte, nicht zu vereinende, Dualismus des kreativen Universums des Dichters –
die poetische Sphäre – und der Bereich der gewöhnlichen Schönheit bzw. der
alltäglichen Welt – die prosaische Sphäre. So ist für den deutschen Philosophen
Schelling Schönheit ,,das Unendliche, im Endlichen dargestellt“(ebd.: 242). Im Gegensatz zu dieser
romantischen idealistischen Auffassung von Kunst steht die radikal
kompromisslose naturalistische Kunstauffassung der Realisten im 19.Jhd, mit
Vertretern wie Balzac, Flaubert oder Zola, die sich entschieden von der
idealistischen Auffassung ,,reiner Formen“ distanzieren und ihr entgegengesetzt
materielle Aspekte in den Vordergrund rücken – auch wenn die Kunstphase des
Realismus‘ dadurch keineswegs als weniger künstlerisch phantasievoll zu
bezeichnen ist. Die Realisten des 19.Jhds. sahen die höchste Errungenschaft der
Kunst darin, Alltägliches in ihrer wirklichen naturgetreuen Gestalt
darzustellen und somit deren wahre Bedeutung zu erfassen. Bei dem Versuch der
romantischen Ansicht einer ,,transzendentalen Poesie“, die vermag die Grenzen
der Erfahrung zu überschreiten, sind die Realisten zur einstigen
Kunsteinstellung der μίμησις – der bloßen und vor allem realitätsgetreuen
Nachahmung der Wirklichkeit/Natur – zurückgekehrt (vgl. ebd. 242f.).
Im Anschluss
daran geht Cassirer auf den Bereich der psychologischen Kunsttheorien ein, die
sich in beschreibender Art und Weise mit der Schönheit und mit dem Bestimmen
der Klassenzugehörigkeit von Phänomenen unserer Erfahrung von Schönheit
beschäftigen (vgl. ebd. 243). In diesem Bereich kann durch ein Verbinden von
ästhetischer Erfahrung und den beiden Gefühlen der Lust und des Schmerzes zu
Gewissheit über den Charakter von Schönheit und Kunst gelangt werden. Innerhalb
sogenannter hedonistischer, lustbetonter, ästhetischer Theorien gerät die
Differenzierung zwischen Lust und Schmerz allerdings rasch außer Kontrolle, da
diese allesamt einen gemeinsamen psychologischen und biologischen Ursprung
aufweisen und innerhalb dieser Theorien nicht der Grad, sondern ausschließlich
die Art der Lust von Bedeutung ist. Gegenwärtig lässt sich der Bereich des
ästhetischen Hedonismus‘ bei dem spanischen Philosophen und Schriftsteller,
innerhalb des 20.Jhds. wirkenden, George Santayana eindrucksvoll beobachten, da
für ihn Schönheit im Bereich der Kunst ,,vergegenständlichte Lust“ darstellt (vgl.
ebd.: 245). Die Schönheit der Kunst wird dort begriffen als das Vergnügen an
Formen, welches allerdings durch die jeweilige Art der Kunst erst
hervorzubringen ist. Die Lust an der Kunst, die hier zu einer bloßen Funktion
wird, kann nur durch das Einhauchen eines dynamischen Formenlebens von Seiten
des Künstlers empfunden werden und so der Kunst zur objektiven Betrachtung
verhelfen. Dies soll bedeuten, dass nur durch das subjektive intime Moment des
künstlerischen Darstellens eines Kunstwerks – durch das Einfließen der
Intuitionen, der Empfindungen und Gefühle des Künstlers in das Kunstwerk – beim
Betrachter eine Lust am Betrachten des jeweiligen Kunstwerkes entstehen bzw.
aufkommen kann. Eine rein objektive wirklichkeitsgetreue Nachahmung der
Wirklichkeit/Natur löse, so das Credo der Vertreter psychologischer
Kunsttheorien, keinerlei Lust am Betrachten und somit auch kein Interesse an
dem Erschließen von Kunstwerken aus (vgl. ebd.: 246). Daher bleibt
festzuhalten, dass die physikalische Welt der Dinge und Eigenschaften durch
wissenschaftliche Konzepte auf Akten theoretischer Vergegenständlichung und
Objektivierung beruht, die Welt der Kunst hingegen auf Empfindungen, Emotionen
und Akten der Kontemplationen – beschaulichen Betrachtungen, die das Wesen der
Kunst erst in ihrer Vollkommenheit erfassen bzw. ergründen lassen.
Im Gegensatz
zu den hedonistischen Kunsttheorien stehen rationalistische und
intellektualistische Kunsttheorien, die sich entschieden dagegen zur Wehr
setzen, Kunst mit Hedonismus (reinem Lustempfinden) zu vergleichen und Lust
vielmehr mit passiven Geisteshaltungen koppeln. Der Bereich der Kunst ist ihnen
zufolge nicht durch Lust, durch bloße Regeln oder rationale Erklärungsansätze
zu durchdringen, sondern es bedarf für eine völlige Durchdringung von Kunst,
auf Seiten des Beobachters, vielmehr dem Eintreten in das eigene Unbewusste.
Der französische Philosoph und Metaphysiker Henri Bergson – neben Nietzsche und
Dilthey einer der Mitbegründer des Bereiches der Lebensphilosophie –
veranschaulicht, dass es keinem anderen Bereich als der Kunst gelingt, die
Unvereinbarkeit von Intuition und Vernunft – er versteht die Begrifflichkeit
der Vernunft als Modus der Rezeptivität und damit als passives Vermögen, im
Gegensatz zu Traum- und Rauschzuständen – zu überwinden und mittels
ästhetischer Intuition, basierend auf Empfindungen und Gefühlen die Schönheit
der Kunst an sich zu erfassen (vgl. ebd. 248). Ein Kunstwerk besteht für ihn
ausschließlich aus einer strukturellen Einheit, die nicht auf Basis der bloßen
Einzelteile erklärt werden kann, sondern stets als Ganzes bzw. als
Gesamtkomposition zu betrachten ist.
Im Weiteren
befasst sich Cassirer mit sogenannten Spieltheorien der Kunst, die das Spiel
mit der Kunst – als Wahrheit reiner Formen – gleichsetzen und sich, psychologischen
gesehen, hinsichtlich der Geschichte der Ästhetik ähneln. Diese fordern
äußerste Konzentration und behaupten, es existiere kein einziges Merkmal
innerhalb der Kunst, das nicht auch im Feld des Spiels Platz habe bzw. zu
finden sei und sind zudem frei von Nützlichkeitserwägungen und praktischen
Zwecken (vgl. ebd.: 251ff.). Friedrich Schillers transzendentale, idealistische
Theorie beispielsweise bezieht das Spiel und die Schönheit auf den Bereich der
Freiheit und versteht das Spiel als spezifisch menschliche Tätigkeit. Darwins
und Spencers biologische, naturalistische Theorien hingegen verstehen das Spiel
und die Schönheit als Naturerscheinungen, die sowohl von Menschen als auch von
Tieren praktiziert werden, was vermag die Vielfalt hinsichtlich differenter
Ansichten innerhalb von Spieltheorien der Kunst zu verdeutlichen (vgl. ebd.:
253f.). Innerhalb des Spiels sind die beiden Arten der Phantasie – die Kraft
der Einbildung und die Personifikation – vertreten, die Kraft, reine sinnlich
wahrnehmbare Formen zu reproduzieren, fehlt jedoch. Im Spiel werden die, in der
Sinneswahrnehmung gegebenen, Gegenstände lediglich neu geordnet bzw. variiert,
die Sphäre der Kunst – als Reich reiner Formen – hingegen, vermag, durch die
Person des Künstlers, der die harte Stofflichkeit der Dinge aufweicht und etwas
Neues volles poetischer, musikalischer oder plastischer Formen kreiert, die
konstruktive Rolle der Verwirklichung des menschlichen Universums zu
übernehmen. Anzumerken ist überdies, dass der Kunst zudem auch eine erhebliche
Distinktions- und Abgrenzungsmacht gegenüber nicht Dazugehörigen zukommt, was
durch ein Zitat von Stèphane Mallarmè, einem französischen, innerhalb des
19.Jhds. wirkenden, Schriftstellers überaus sichtbar wird: ,,Ein Gedicht
muss ein Rätsel für den Banausen und Kammermusik für den Eingeweihten sein“
(ebd.: 255f.).
Cassirer
verweist erneut auf die Bedeutsamkeit der untrennbaren Verzahnung objektiver
und subjektiver Momente innerhalb der Kunst, in klarer Abgrenzung zum Bereich
der Sprache. In beiden Bereichen geht es zwar nicht um bloße Nachahmung der
Wirklichkeit/Natur, sondern um Darstellung – seien sie bildlicher oder
sprachlicher Art – jedoch mit unterschiedlichen Absichten und differenter
begrifflicher Herangehensweise. Sämtliche empirischen Begriffe, die sich
explizit in theoretische und praktische Interessen aufteilen lassen, existieren
innerhalb der Kunst nicht. Die Kunst kopiert nicht bloß die Wirklichkeit/Natur,
sondern offenbart dem Menschen, durch das Erfordern aktiver konstruktiver
Phantasie zum vollständigen Entschlüsseln von Kunst(werken), vielmehr die
sinnliche Welt in ihrer vollen Mannigfaltigkeit und in ihren sicht-, greif- und
hörbaren symbolischen Erscheinungen (vgl. ebd.: 257ff.).
Es existiert
darüber hinaus nicht nur ein klarer Gegensatz zwischen Kunst und der Sprache,
sondern auch eine strikte Abgrenzung der Kunst vom Bereich der Wissenschaft.
Die Kunst und die Wissenschaft fungieren, genauso wie Kunst und Sprache, nach
unterschiedlichen Prinzipien und verfolgen unterschiedliche Ziele. Letztere
erschließt die begriffliche Tiefe, die der Mensch benötigt, um Ursachen der
Wirklichkeit/Natur bis zu den allgemeinsten Gesetzen und Prinzipien verstehen
und nachvollziehen zu können. Die Kunst hingegen erschließt die rein visuelle
Tiefe jeweiliger Wirklichkeit/Natur und lässt den Menschen die unmittelbar in
Erscheinung tretenden Formen wahrnehmen und in ihrer Vielfalt genießen (vgl.
ebd.: 259f.). Somit besteht die Wahrheit der Schönheit innerhalb der Sphäre der
Kunst in der ,,sympathetischen Anschauung der Dinge“, welche vermag eine
geheimnisvolle, nicht durchschau- oder erklärbare Wirkung auszuüben. Während
die ,,wissenschaftliche
Wahrheit die Treue einer Darstellung zu den äußeren Erfahrungsgegenständen“
bezeichnet,ist die ,,künstlerische Wahrheit als die
sympathetische Anschauung, als die Anordnung der Erfahrung selbst zur
Klarheit“, zu verstehen (Parker. 2007: 39).Die, als Symbolsprache definierbare, Kunst,
vermag – genauso wie die Sprache – alles auszudrücken, ,,das Niedrigste und das Höchste, so
vermag die Kunst die gesamte Sphäre menschlicher Erfahrung und menschlichen
Erlebens zu erfassen und zu durchdringen. Nicht in der physischen und
sittlichen Welt, kein Naturgegenstand und kein menschliches Tun, ist seiner
Natur oder seinem Wesen nach von der Kunst ausgeschlossen“ (ebd.: 243).
Festzuhalten
bleibt schlussendlich, dass die menschliche Erfahrung und die Erlebnisfähigkeit
den Menschen dazu befähigt, unterschiedliche Sichtweisen annehmen und den
Zugang zur und die Anschauung von Wirklichkeit/Natur variieren zu können, je
nachdem, ob das Interesse an theoretischen, objektiv wissenschaftlichen
Begründungen oder an praktischen Wirkungen orientiert ist. Cassirer versteht
den Menschen nicht mehr als substantielles Wesen im Sinne traditioneller
Philosophie, sondern vielmehr als Energie- und Funktionszentrum, welches sich
nur ,,im
Spiegel seiner gesellschaftlichen Kulturleistungen“ selbst zu erkennen vermag (Orth. 1991). Durch
die, in vorliegendem Buch ,,Versuch über den Menschen“ ausgeführten, Elemente
der Sprache, des Mythos‘, der Religion, der Wissenschaft und der Kunst entsteht
somit gesellschaftliches Leben und, um noch einen Schritt weiter zu gehen,
gesellschaftliches Bewusstsein (vgl. ebd.: 338). Selbst wenn im Bereich der Kunst
bestimmte Formen intergenerativ weitergegeben werden, gibt man sich hier nicht,
wie in genannten anderen, mit der bloßen Nachbildung oder Wiederholung
traditioneller, bereits existierender Formen zufrieden, sondern es kommt jedem
Künstler – gleich welcher Kunstrichtung – die außergewöhnliche Möglichkeit zu,
eine neue Kunstepoche eröffnen und eine neue Wirklichkeit erschaffen zu können
(vgl. ebd. 343). Es hat zu sämtlichen historischen Perioden Spannungen und
Konflikte zwischen einer konservativen Nachahmung alt bewährter Traditionen,
entsprechend beständiger Regeln und klassischer Vorbilder, einerseits, und
produktiven, nach Innovation strebenden, Kräften, andererseits gegeben – so
auch im Bereich der Kunst (vgl. ebd. 344). Doch während im Laufe der
Jahrhunderte im Bereich der Wissenschaft sämtliche Spuren individueller
Geisteshaltungen und eines persönlichen Stils eliminiert und der Forderung nach
höchster Objektivität unterworfen wurden, behalten im Bereich der Kunst Faktoren
wie Originalität, Individualität, Kreativität und der subjektive
Produktionsstil auch nach wie vor ihre primäre Vorrangstellung (vgl. ebd.:
345f.).
Literatur:
Cassirer, Ernst. (2007): Versuch über den Menschen.
Teil II. Mensch und Kultur. Kapitel IX. Kunst. Hamburg: Felix Meiner Verlag.
Ferry, Luc. 5.
Auflage. (2013): Leben lernen. Eine
philosophische Gebrauchsanweisung.
Der Humanismus und die Geburt der modernen
Philosophie. Eine ethische Revolution, parallel zu jener der Theorie. Wenn das
nachahmende Vorbild nicht mehr vorgegeben ist, wie es die Natur in der Antike
war, so muss man es erfinden. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Orth, Wolfgang.
(1991): DIE ZEIT. 11.10.1991. Nr.
42.
http://www.zeit.de/1991/42/was-ist-er-der-mensch,
(Zugang am 16.06.2013).
Parker, De Witt H.
2007: The Principle of Aesthetics. Dodo Press.
[1]
Anzumerken sei an dieser Stelle, dass Rousseau – von Kant als der
>>Newton der moralischen Welt<< bezeichnet – auf die moderne Ethik
derart Einfluss einnahm, wie Newton auf die Physik. Durch den Pionier und
Gründervater Rousseau wäre ist es möglich geworden, sich von althergebrachten
Prinzipien der Vorstellung von cosmos
– als allumfassende Weltordnung – und von Göttlichkeit – als Ausgangs- und
Bezugspunkt jeglicher Kunst – zu befreien und eine neue Weltanschauung
aufzubauen, die nicht mehr die Unausweichlichkeit des cosmos, sondern den Menschen als Ausgangs- und Interpretationspunkt
und als Deutungshoheit ansah(Ferry. 2013: 140).
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