Erschienen in Ausgabe: No 90 (08/2013) | Letzte Änderung: 31.07.13 |
von Michael Lausberg
Die lang unaufgeklärte
Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) ist auch eine Folge
der jahre- und jahrzehntelangen Verharmlosung der extremen Rechten in der BRD.
In seinem Buch setzt sich Conrad Taler mit der Verharmlosung der extremen
Rechten und den Versäumnissen bei ihrer Bekämpfung auseinander. (14) Dabei
prangert Taler die in Politik und Justiz weit verbreitete Unwilligkeit, sich
mit den extremen Rechten auseinanderzusetzen und sie als Gefahr für die
Demokratie einerseits und für Leib und Leben ihrer Feinde andererseits zu
begreifen, an.
Die Auseinandersetzung mit den
extremen Rechten war bis zum Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in
Osteuropa vom „Kalten Krieg“ zwischen West und Ost geprägt. Seit ihrer Gründung
1949 war die BRD darum bemüht, im Ausland als demokratischer Staat wahrgenommen
zu werden, der sich von der NS-Vergangenheit losgesagt hat. Neonazistische
Aktivitäten wurden auch als „Ergebnis einer böswilligen Einwirkung von außen“
verstanden; verschiedene „Nachrichtendienste des Ostblocks und ihrer deutschen
Helfershelfer würden sich nicht scheuen, nationalsozialistische Gruppen zu gründen.
(26) Vor allem auf die antisemitischen Vorfälle Ende der 1950er Jahre
anspielend, bemerkt Taler: „Jeder Hinweis und jedes Eingeständnis über das
Fortbestehen oder das Wiederaufleben nazistischen Ungeistes wurde als
politische Niederlage empfunden, und die Versuchung, den Kommunisten im eigenen
Landes oder jenseits des Eisernen Vorhangs die Urheberschaft für antisemitische
oder ähnliche Provokationen anzulasten, siegte in der Regel über die eigentlich
notwendige Selbstbesinnung und Selbstreinigung.“ (14)
Die mangelnde
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und die Verdrängung in der
Nachkriegszeit führte zur Beibehaltung von nationalsozialistischen
Mentalitätsbeständen, was die Etablierung der extremen Rechten in der BRD
erleichterte. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer stellte im Parlament
klar, dass „mit der Naziriecherei einmal Schluß gemacht“ werden müsse. (9)
Adenauer begünstigte nach der Gründung der BRD im Zuge des sich ausbreitenden
„Kalten Krieges“ die Reinwaschung und die Einsetzung von durch den
Nationalsozialismus belasteten Personen wie Globke oder Oberländer in
gesellschaftliche und politische Schlüsselpositionen. Die steilste Karriere
machte wohl das frühere NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger, der drei Jahre als
Bundeskanzler den wohl wichtigsten politischen Posten in der BRD besetzen
durfte. Das 131er Gesetz, das Recht auf Wiederbeschäftigung im Öffentlichen
Dienst für ehemalige Nationalsozialist_innen, ermöglichte den Täter_innen die
Rückkehr in ihr altes Beamt_innenverhältnis. Beim Verfassungsschutz oder beim
Bundeskriminalamt kamen viele ehemalige Nationalsozialist_innen unter, für die
sich damit im Kampf gegen den Kommunismus eine ideale Beschäftigungsmöglichkeit
ergab.
Zu Beginn der 1980er Jahre kam
heraus, dass Beiträge und Spenden für die später verbotene neonazistische
„Aktionsfront nationaler Sozialisten“ (ANS) von den Finanzämtern in Hamburg als
steuerlich abzugsfähig anerkannt wurde. Die Führungsakademie der Bundeswehr lud
1995 den bundesweit bekannten Neonazi Manfred Roeder zu einem Vortrag über die
Ansiedlung von „Russlanddeutschen“ in den nördlichen Teil des ehemaligen
Ostpreußens ein. Der für die Einladung verantwortliche Oberst bekam keine
disziplinarischen Folgen zu spüren. Ein weiteres Beispiel für die Verharmlosung
der extremen Rechten zeigte sich laut Taler in der Darstellung der Opferzahlen
rechter Gewalt. Nach Angaben der Potsdamer Beratungsstellen für Opfer rechter
Gewalt starben von 1990 bis 2008 136 Menschen. Die Bundesregierung gab für
denselben Zeitraum lediglich 40 Tötungsdelikte an.
Zu der Auflistung der Fälle der
Blindheit auf dem rechten Auge noch einige notwendige Ergänzungen: Die in
weiten Teilen verfehlte Entnazifizierungspolitik begünstigte das Wiederaufleben
der extremen Rechten. Zahlreiche nationalsozialistische Täter_innen wurden
nicht bestraft und konnten somit bei der Neugründung rechter Strukturen
mitwirken. Aufgrund der Tatsache, dass die Masse der ehemaligen
Nationalsozialist_innen ein großes Wähler_innenpotential darstellte, schwangen sich
vor allem bürgerliche Parteien[1]
wie die CDU/CSU und FDP zu Interessenvertretern von „Beschuldigten“ oder
„Entnazifizierungsgeschädigten“ auf.
Es wird häufig vergessen, dass
er in einer im politischen Establishment etablierte Partei wie der FDP in der frühen
Nachkriegszeit antidemokratische und teilweise neonazistische Tendenzen gab.
Seit Beginn der 1950er Jahre entwickelte sich die FDP vor allem in NRW,
Niedersachsen und Hessen zu einer Rechtspartei, in der ehemalige
Nationalsozialist_innen wichtige Positionen einnahmen. Werner Naumann, der
letzte Staatssekretär von Joseph Goebbels, startete mit nationalsozialistisch
orientierten Gesinnungsgenossen den Versuch, die FDP und andere rechte Parteien
und Organisationen zu unterwandern und eine völkisch-autoritäre zu
installieren, was die britischen Behörden Anfang 1953 durch deren Verhaftungen
verhinderte.
Wie Taler beim Portrait des
Antifaschisten Alfred Hausser zeigt, wird antifaschistisches Engagement immer
noch delegitimiert und kriminalisiert. Die Politikwissenschaftlerin Antonia
Grunenberg verbreitete schon im Siegestaumel des kapitalistischen Systems nach
der „Wiedervereinigung“ in ihrem Buch „Antifaschismus – ein deutscher Mythos“[2]
unter Bezugnahme auf die ideologisch zurechtgestutzte „Kronzeugin“ Hannah
Arendt die These, dass der Antifaschismus Teil einer totalitären Doktrin
darstellen würde. Bei Verfassungsschutzämtern und Vertreter_innen der
Extremismusdoktrin auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen wird der
Antifaschismus als linker politischer Kampfbegriff abgelehnt. Für den
Extremismustheoretiker Armin Pfahl-Traughber ist „Antifaschismus (…) nicht per
se demokratisch“, da „Linksextremisten die Agitation mit dem Antifaschismus“
nutzen würden, um „ihnen unliebsame politische Auffassungen zu diskreditieren.“[3]
Insgesamt gesehen ist Conrad
Talers Buch aufgrund seiner detaillierten Recherchen in Bezug auf die
jahrzehntelange Verharmlosung der extremen Rechten in der BRD lesenswert und
daher als Lektüre empfehlenswert.
[1]
Den BHE und die DP sieht der Autor als nationalistische und revanchistische
Parteien an, die in der Grauzone zwischen den extremen Rechten und dem rechten
Rand der bürgerlichen Parteien einzuordnen sind.
[2]
Grunenberg, A.: Antifaschismus – ein deutscher Mythos, Reinbek 1993
[3]
www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/33612/antifaschismus
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