Erschienen in Ausgabe: No 90 (08/2013) | Letzte Änderung: 31.07.13 |
von Susanne Weiß
Auch wenn es sich bei ausgeführter ,,Methode“ um eine
konstitutionell soziologiefremde Disziplin handelt, wird es als bedeutsam
erachtet, das Verfahren der Epochè und phänomenologischen Reduktion Edmund
Husserls – Philosoph und Vater der Phänomenologie – anzuführen. Diese Methode
versucht Bewusstseinsebenen streng voneinander zu unterscheiden zwischen
Meinungen, Spekulationen, Vorurteilen, Paradigmen oder Diskursen auf der einen
Seite und zwischen Wirklichkeit bzw. dem an sich erscheinenden Phänomen auf der
anderen Seite. Husserls Verfahren der Epochè – dem Bewussten Innehalten,
Ausklammern, Enthalten und Hinterfragen jeglichen (Vor)Wissens – und der
phänomenologischen Reduktion ermöglicht es aufzuzeigen, wie so manch
,,wissenschaftliches oder kulturelles Wissen“ nicht auf objektiver Faktenlage,
sondern vielmehr auf Forschungstraditionen, vorherrschenden Paradigmen,
Spekulationen, menschlicher Konstruktionsleistung, Diskursen oder purem
Wunschdenken basiert und daher eine kritische Betrachtung erfordert (vgl.
Godina. 2012: 50f.).
,,Die Untersuchung hat sich der Wirklichkeit zuzuwenden, und
zwar so, wie sie erscheint, so, wie sie sich unserer Erfahrung zeigt, denn eben
auf diese Erfahrung haben sich wohlgegründete Annahmen zu stützen. Dem
Gegebenen zu zuzuwenden, ist jedoch leichter gesagt als getan (…). Um nicht nur
die Naivität der natürlichen Einstellung, sondern auch verschiedene spekulative
Hypothesen über die metaphysische Verfassung der Wirklichkeit zu meiden, ist es
unerlässlich, unser Einverständnis mit der natürlichen Einstellung zu
suspendieren (…). Die Ausschaltung einer voreingenommenen und letztlich
inkonsistenten Theorie von der Welt (…). Dieses Manöver, bei dem wir darauf
verzichten, unserer natürlichen Neigung zu folgen, wird als phänomenologische Epochè
und Reduktion bezeichnet (vgl. Zahavi. 2007: 22. Hervorheb. i. O.).
Durch diese husserlsche Vorgehensweise wird versucht von
einem ,,natürlichen Bewusstsein“ – dem Bewusstseinszustand, in dem ich der Welt
als ,,Welt vor aller Theorie“ begegne – durch Anwendung der Epochè und der phänomenologischen
Reduktion, als einer strikten Enthaltung jeglichen Seinsglaubens, einem
Innehalten, dem Einklammern jeglichen Vorwissens über die vorgegebene Wirklichkeit
und einem Moment der transzendentalen Reflexion (vgl. ebd.: 23), zu einem
,,phänomenologischen Bewusstsein“ zu gelangen (vgl. Waldenfels. 1992: 30f.).
Durch die Vorgehensweise der phänomenologischen Reduktion wird im letzten
Schritt ein ,,absolutes Bewusstsein“ angestrebt, welches der Klärung der
grundsätzlichen Frage der Wahrheitsgewinnung dienlich ist und eine radikal
vorurteilsfreie Erkenntnis ermöglicht (vgl. Husserl. 1998: 13f.).
Das bewusste Ausklammern und radikalste Ausschalten
sämtlicher scheinbar evidenten Wissensbestände innerhalb der Epochè bedeutet
kein Verlust, sondern vielmehr ,,eine fundamentale Bewusstseinsänderung und
eine Erweiterung unserer Erfahrungssphäre“ (Husserl. 1962: 154). So konstatiert
auch Heidegger, dass ,,(…) die menschliche Existenz durch ihre Tendenz zur
Selbstvergessenheit und Selbstobjektivierung gekennzeichnet ist (…) und wir
dazu neigen, unser Selbstverständnis von unserem Gegenstandsverständnis geprägt
und gestaltet sein zu lassen“ (Zahavi. 2007: 25). Diese, jegliches Wissen
vorurteilsfrei ausklammernde, husserlsche Methode kann beispielsweise auf die
verzerrungsanfällige Tradierung kultureller Wissensbestände übertragen werden
und lässt, nach genauer Betrachtung bzw. Durchführung der Epochè und
phänomenologischen Reduktion schienbar objektiv bestehende Wissensbestände in
einem kritisch zu reflektierenden Lichte erscheinen.Die husserlsche Methode wäre daher eine
sinnvolle, vorurteilsfreie bzw. sämtliches bestehendes Wissen einklammernde und
Erkenntnis suchende, Herangehensweise für das in Frage stellen beständigen
,,wahren“ Wissens.
Literaturverzeichnis:
Godina, Bojan.
(2012): Die phänomenologische Methode Husserls für
Sozial- und Geisteswissenschaftler. Wiesbaden: VS Springer
Verlag.
Husserl, Edmund. (1962): Die Krisis der europäischen
Wissenschaften und
die transzendentale Phänomenologie. Husserliana VI. Den
Haag:
Martinus Nijhoff.
Husserl,
Edmund. (1998): Die phänomenologische Methode.
Stuttgart: Philipp Reclam jun.
Waldenfels, Bernhard. (1992): Einführung in
die Phänomenologie.
Paderborn:
Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG.
Zahavi, Dan.
(2007): Phänomenologie für Einsteiger. Teil I: Methodologische
Grundthemen: 3. Die
phänomenologische Epochè und Reduktion.
Paderborn: Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG.
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