Erschienen in Ausgabe: No 68 (10/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
Paul Davies Der kosmische Volltreffer Warum wir hier sind und das Universum wie für uns geschaffen ist Orginaltitel: The Goldilocks enigma: why ist he universe just right for life? Aus dem Englischen von Carl Freytag Campus Verlag, Frankfurt am Main (März 2008) 370 Seiten, Gebunden ISBN-10: 3593385406 ISBN-13: 978-3593385402 Preis: 24,90 EURO
von Heike Geilen
Ist "die
Menschheit nur ein chemischer Schaum auf einem mittelgroßen Planeten"?
Diesem Satz Stephen Hawkings würden wohl die meisten
Physiker und Wissenschaftler zustimmen und das Leben "als ein triviales, zufälliges Ornament der physikalischen Welt"
einordnen, dem im Gesamtsystem des Kosmos' keine besondere Bedeutung zukommt.
Paul Davies vertritt eine andere Version. Für ihn ist Leben kein
"Nebenprodukt der Natur", sondern ein "zutiefst bedeutender Teil des kosmischen Geschichte".
Zu den größten Filmerfolgen der letzten Jahre zählt
zweifelsohne die Matrix-Trilogie.
Spektakulär ist die Enthüllung am Ende des ersten Teils, als der Zuschauer erfährt,
dass"menschliche Wesen" gar
nicht real existieren, sondern das Produkt einer Computersimulation sind: eine
virtuelle Reality-Show, die von einer weit fortgeschrittenen Zivilisation mit
gigantischen Computerressourcen veranstaltet wird.
Science-Fiction-Szenario oder vielleicht doch eine reelle
Möglichkeit? Ist unsere Welt und das ganze Universum vielleicht nur Schwindel?
Sind alle Gegenstände im Raum nur ein Hirngespinst? "Oder noch schlimmer: "Auch
Sie selbst sind nur ein Hirngespinst
Ihrer Vorstellung. Und diese geistige Erfahrung, Ihre "Vorstellung",
wird in einem riesigen Computer zusammengebraut, der nicht in unserem Universum
steht (das natürlich auch nicht wirklich, sondern nur virtuell existiert),
sondern in einem hypothetischen 'anderen' Universum, dem Mutter-Universum. Ist
so etwas auch nur im Entferntesten glaubhaft?", fragt sich Paul
Davies.
Der Physiker und Sachbuchautor, der besonders im Bereich der
Kosmologie, Quantenfeldtheorie und Astrobiologie forscht und arbeitet sowie das
BEYOND-Forschungszentrum zu elementaren Fragen zur Entstehung des Universums
und des Lebens in der Arizona State University leitet, hat sich mit dieser Idee
- auch wenn sie noch so absurd klingen mag - und einer Menge anderer Möglichkeiten
befasst, um Antworten zu finden. Antworten auf Fragen über sehr kleine Dinge
wie zum Beispiel: Wie viel fundamentale Teilchen bilden die Welt? Ihn beschäftigen
aber auch die essentiellen, die "großen Fragen": Warum ist unser Universum
so wie es jetzt ist? Wie konnte es Leben erzeugen? Wer oder was hat den
"Big Bang" ausgelöst? Gibt es nur ein Universum oder eine sehr große
Anzahl von parallelen Universen, ein Multiversum?
Bausteine, die die Welt zusammenhalten
Davies
diskutiert mögliche Lösungswege auf spektakuläre, spannende und überaus
interessante, gleichzeitig jedoch äußerst tiefgreifende, lehrreiche und
intelligente Art und Weise. Einige dieser Theorien dürften in früheren Zeiten
nur als spekulativ oder überambitioniert abgetan worden sein. Doch Verbesserungen
in den beobachtenden Methoden und Technologien haben unverhofft klare Fenster
in einigen Bereichen geöffnet. Der Autor stellt die neuesten Entdeckungen und
Kenntnisse - vor allem der letzten fünfzig Jahre - vor, die es den
Wissenschaftlern erlaubt haben, das Puzzle der Geschichte und die Entstehung
unseres Universums in detaillierter und beispielloser Einzelheit
zusammenzusetzen.
Dabei erklärt er die Dinge immer klar, frei von unnötigen pedantischen
Beschreibungen und reinem Fachjargon. Mathematische Gleichungen beschränkt er
auf ein absolutes Minimum. Paul Davies ist sich vollauf bewusst, dass die
meisten von uns die abstrakten Details und die Welt der Quanten nicht
verstehen, doch er vermag dieses Areal mit zum Teil einfachen bildlichen
Darstellungen überraschend leicht verdaulich zu vermitteln, eine gewisse
physikalische Grundvorstellung vorausgesetzt. Er führt den Leser durch
komplexe, ungelöste Debatten, was wiederum bedeutet, dass jener manchmal den
Dingen einfach nur vertrauen muss. Eine der großen Stärken seines Buches ist
jedoch, dass Paul Davies stets deutlich darauf hinweist, welche Ideen
umstritten oder vorläufig und welche fest etabliert sind und als gesichert
gelten. Für diejenigen, die sich tiefer informieren wollen, platziert er viele
Fußnoten, mit weiterführenden Erklärungen und Literatur, die am Ende seines
Buches gruppiert wurden. So wird der Fluss seiner Erzählung nicht unterbrochen.
Hin und wieder schiebt er einen Kasten ein, um das bisher gesagte
zusammenzufassen oder eine etwas kompliziertere Angelegenheit genauer zu
erläutern.
Davies erzählt die Geschichte des
Universums ziemlich linear. In den ersten Kapiteln stellt er die Grundkonzepte
der modernen Physik und Kosmologie vor. Er beschreibt die Eigenschaften des
Universums, seine "Geburt", die Bausteine, die die Welt
"zusammenhalten" und diskutiert über die Verlockung einer
einheitlichen Theorie. Anschließend greift er die Gedanken der Stringtheorie
und das bizarre Verhalten von sub-atomaren Teilchen auf, die alle den Weg für
vier oder fünf anerkannte Theorien über den Grund der Lebensfreundlichkeit unseres
Universums pflastern.
Diese Theorien reichen von dem
einen, einzigen und einmaligen Universum, über das, in der Führung der Hand
eines intelligenten Schöpfers, der allem den logischen Stempel aufdrückt, indem
er an seiner kosmischen Schöpfungsmaschine sitzt und durch Drehen an deren
Knöpfen, die Parameter des physikalische Universums justiert und feinabstimmt, bis
zum neuesten Stand, dass wir in einem "Multiversum" leben, wo alle Iterationen
irgendwo möglich sind.
Sein oder Nichtsein
Es ist beinahe eine Erleichterung,
wenn Davies schließlich ein Universum begünstigt, in welchem die Entwicklung
von intelligentem Bewusstsein fest in den Gesetzen der Natur verdrahtet ist,
ähnlich wie E = mc2. Die berühmte magische Formel Einsteins drückt die
Äquivalenz von Masse und Energie aus und dass Extreme von Masse und
Geschwindigkeit die Dimension der Zeit auf seltsame Art und Weise manipulieren
können. Davies spinnt den Faden noch weiter. Er entwirft die faszinierende
Möglichkeit eines "partizipatorischen Universums", in dem sogar einige
fundamentale "Lebensprinzipien" rückwärts durch die Zeit handeln
können; sozusagen die Aufnahme eines gewissen teleologischen Moments in die
Quantenmechanik. Leben und Geist als kreative Indikatoren in der Physik - eine
radikale Idee oder mit anderen Worten, wir waren in der Tat bestimmt, hier zu
sein.
Vielleicht sollte sich die
Wissenschaft von der allzu idealistischen Platonschen Sichtweise der physikalischen
Gesetze lösen, sie nicht mehr a priori setzen und sich für mehr
"Mutabilität" und Wandlungsfähigkeit öffnen, meint der große
theoretische Physiker John Archibald Wheeler, dem Paul Davies dieses Buch
gewidmet hat. Er ist einer dieser Anti-Platoniker, dessen Gedanken
zugegebenermaßen faszinieren und auch im logischen und philosophischen Bewusstsein
der Rezensentin eine klare Favoritenrolle einnehmen.
Doch warum sollte man die
atemberaubend erfolgreichen Anwendungen der Quantenmechanik, von ihrer
verwirrenden Interpretation, die Gegenstand heftigster Debatten ist, trennen
und diesen Part den Philosophen überlassen? Warum soll nicht Leben und Geist im
tiefsten Inneren der Natur des Universums verankert sein?
"Der kosmischer
Volltreffer" ist auf jeden Fall ein Buch, was lange nach dem Zuschlagen
der letzten Seite nachhallt.
Fazit:
Paul Davies dekodiert die reale Wissenschaft und trifft
genau den Kern unseres Verständnisses über das Universum: eine klare Einführung
in die moderne Kosmologie und die Grundlagen der Physik.
Sein Buch ist eine Rückkehr zu dem,
was die Wissenschaft ursprünglich war: Neugier über unsere Welt und uns.
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