Erschienen in Ausgabe: No 42 (8/2009) | Letzte Änderung: 03.03.09 |
Michael Klonovsky Der Schmerz der Schönheit Über Giacomo Puccini Berlin Verlag (Oktober 2008) 302 Seiten, Gebunden ISBN-10: 3827007712 ISBN-13: 978-3827007711 Preis: 18,00 EURO
von Heike Geilen
"Die
Literaturgeschichte lehrt, daß das Werk eines jeden großen Dichters in zwei
Teile zerfällt: in den, den wir weiter bewundern, und in den, der die Literatur
beeinflußt hat."
Dieses Zitat des kolumbianischen Denkers Nicolás Gómez
Dávila könnte stellvertretend für jenen Mann stehen, dem Michael Klonovsky das
vorliegende Buch gewidmet hat, das man beinahe als Liebeserklärung lesen könnte.
Schon die ersten Zeilen offenbaren eine tiefe Empathie für
den Mann aus Lucca: "Giaccomo
Puccini war beziehungsweise ist einer der größten Schenker der bisherigen
Weltkulturgeschichte. Er gehört zu jenen raren und im Grunde höchst
unwahrscheinlichen Wunderwesen, die unaufgerufen, oft gegen Widerstände und nur
aus eigenem Antrieb tätig werdend, eine schönere Welt hinterlassen, als sie
vorgefunden haben. Wer, außer vielleicht Mozart, hätte mehr musikalische
Zärtlichkeit auf diesen Planeten gebracht als er? Millionen Hörer sind durch
Puccinis Musik in Gefühlsräusche versetzt und zu Tränen gerührt geworden. Zu
ihnen zählt, mit einer ihn selbst frappierenden Beharrlichkeit, der Verfasser
dieser Betrachtung."
Kampf der Liebe gegen
die Übermacht von Leiden und Tod
Der Schriftsteller und Journalist Klonovsky (Jahrgang 1962),
der als Chef vom Dienst beim Magazin Focus arbeitet, bereits einige Romane
veröffentlichte (u. a. "Land der Wunder", "Der Ramses-Code")
und außerdem bekennender Bach- und Wagner-Liebhaber ist, hat sich nun eines Mannes
angenommen, dessen Bewunderer immer ein wenig unter vorgehaltener Hand ihre
Begeisterung aussprechen, die "sich
sozusagen nur mit gedämpfter Stimme zu ihrer Leidenschaft bekennen."
Der Autor ist der Meinung, dass dem italienischen Komponisten unrecht getan
wird, wenn man ihn als zweitrangigen Komponisten abtut. Für ihn ist Puccini ein
"enormer Meister und
musikdramatischer Alleskönner".
In seinem flüssig und unterhaltsam zu lesenden Buch zeichnet
er nicht nur ein liebevolles Bild des Lucchesers, sondern gewährt einen
fundierten, analysierenden Blick in dessen wiewohl nicht sehr umfangreiches
Lebenswerk, das, neben einigen Stücken geistlicher Musik, drei kleinen, im
allerweitesten Sinne sinfonischen Orchesterwerken und ein bisschen Kammermusik,
"nur" aus neuneinhalb abendfüllenden Opern besteht.
Beginnend mit einem einleitenden Gesamtüberblick, in dem
auch die Frühwerke "Le Villi" und "Edgar" ("Die Libretti [...] gehören zum
Beknacktesten, was die an Dämlichkeit bekanntlich reiche Operntextliteratur in
petto und auf dem Kerbholz hat")nicht vergessen werden, ermöglicht Klonovsky mit seiner Werkschau vor allem
in "Tosca", "Madama Butterfly" und "La Fanciulla del
West", die den Weltruhm Puccinis begründeten, einen detaillierten und
tiefgreifenden Einblick.
Der Autor stellt sich die Frage, warum Puccini heutzutage -
wenn überhaupt - in Monografien nur als "randständigste Randfigur"
erwähnt wird, obwohl dessen Werk die Opernbühnen der Welt beherrscht wie kaum
ein zweites? Michael Klonovsky begründet dies dahingehend, dass der
italienische Komponist nie als "modern", "fortschrittlich"
oder "avanciert" galt. Auf seine Art widersetzte er sich dem
Zeitgeist der westlichen Welt, der fordert, "dass man sich auf der Seite des sogenannten Fortschritts, an der Spitze
des Neuen, auf der Höhe der Zeit eben aufzuhalten habe." Puccini habe
zwar all diese Trends beobachtet und ließ sie auch in sein Werk einfließen,
doch "von ihm selbst ging kein
Impuls aus, das musikalische Material zu erneuern.", so Klonovsky.
Mitten ins Herz
treffende "Sirenengesänge"
"Der Mann aus
Lucca hat den musikalischen 'Fortschritt' nicht sonderlich befördert, aber er
hat etwas überzeitlich Gültiges universell verständlich in ultimative Töne
gefasst: den Kampf der Liebe gegen die Übermacht von Leiden und Tod.",
erklärt der Autor. Und daher auch der Titel des Buches: "Der Schmerz der
Schönheit". Bereits Schopenhauer schrieb von dem Phänomen, dass "der künstlerisch reproduzierte Schmerz
bisweilen schön sein kann". Puccini selbst erklärte einmal, dass der
Sinn seiner Musik darin bestünde, das Dasein "weniger unerträglich"
zu machen.
Klonovsky ist sich sicher, dass es beinahe unmöglich ist,
von Puccinis "Sirenengesängen" nicht berührt zu werden. Sie treffen
den Hörer mitten ins Herz und spenden "Tränen und Trost zugleich"
(Wagner, "Die Walküre"). Schon andere Komponisten rührten mit ihren
Werken ihre Hörer zu Tränen. So schrieb Adorno 1928 in seinem Schubert-Aufsatz:
"Vor Schuberts Musik stürzt die
Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen: so unbildlich und real
fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen, warum; weil wir noch nicht so
sind, wie jene Musik es verspricht." Bei Puccini, ist sich Klonovsky
sicher, verhält es sich andersherum: "Wir
weinen, weil wir genauso sind, wie diese Musik es beschreibt [...] Wer Schubert
(oder Bach oder Mozart) hört, mag mitunter meinen, in den Himmel zu blicken.
Wer Puccini hört, schaut immer in den Spiegel."
Fazit:
Wer schon ein heimlicher oder vielleicht gar bekennender
Puccini-Liebhaber ist, für den ist dieses Buch sicher ein absoluter Lesegewinn.
Voller Ironie, Sprachwitz und einer eleganten Virtuosität, die der Tonkunst des
eleganten, toskanischen Meisters in nichts nachsteht, ergreift Michael
Klonovsky Partei für den "musikdramatischen Alleskönner". Dabei
bleibt sicher alles eine Spur subjektiv. Aber das ist es wohl immer, wenn es um
die Kunst geht.
Doch vielleicht erreicht der Autor den ein oder anderen
Puccini-Phoben oder auch nur Desinteressierten und demzufolge eher zufälligen
Leser, der sich dann fragt, ob er "tatsächlich
eines Tages sterben [will], ohne beispielsweise die Einschiffungsszene aus
Manon Lescaut, das 'Te Deum' aus der Tosca, das ungeheuerlich-todesahnende 'Che
tua madre' der Butterfly oder das gegen sein elendes Kos gestoßseufzte 'Hai ben
ragione!' des Proleten Luigi aus Il Tabarro gehört zu haben."
Die Rezensentin, die sich zur letzten Gruppe zählt, zeigt
nach diesem Buch jedenfalls echtes Interesse an der Musik dieses ehemals
"komponierenden Millionärs und traurigen Casanovas".
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