Erschienen in Ausgabe: No 94 (12/2013) | Letzte Änderung: 10.12.13 |
von Nathan Warszawski
Archäologische Funde bestätigen, dass seit Anfang der
Zivilisation, wenn nicht eher, Menschen an höhere Mächte geglaubt haben. Der
Glaube an die Transzendenz ist somit evolutionär von Vorteil, was jedoch nicht
die Existenz Gottes voraussetzt.
Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer ist Physiker, Philosoph und
sitzt im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung GBS, der einflussreichsten
atheistischen Vereinigung Deutschlands. Die GBS hat vor kurzem einen Aufsatz
von ihm veröffentlicht, der im folgenden Band erschienen ist:
Gerhard Vollmer: Auf der Suche nach der Ordnung. Beiträge zu
einem naturalistischen Welt- und Menschenbild. Stuttgart: Hirzel, 1995.
Der elf-seitige Aufsatz stellt den Leitgedanken der GBS dar
und liefert seinen Mitgliedern Argumente bei der Mission und den seltenen seriösen
Diskussionen mit Theisten. Die kursiv
gesetzten Thesen stammen von Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer.
Unter rational
denkenden Wissenschaftlern, die sich mit Gott beschäftigen, besteht die
einhellige Meinung, dass es keine zwingende Argumente für oder gegen die
Existenz Gottes gibt
Alle sogeannten Gottesbeweise, welche die Existenz Gottes zwingend nachweisen, haben sich als fehlerhaft erwiesen. Die Existenz Gottes als höheres Wesen lässt sich aber auch nicht zwingend widerlegen.
Ein Atheist glaubt
nicht an Gott, genauer: nicht an die Existenz (eines) Gottes. Dementsprechend
ist ein Theist jemand, der an (einen) Gott glaubt.
Definition: Gott ist
ein höheres oder höchstes personales Wesen, Schöpfer und Urgrund der Welt,
vollkommen,
allmächtig, allwissend, allgütig, ewig, allgegenwärtig, unendlich gerecht.
Atheisten finden es
angemessen, dem Theisten die Argumentationslast aufzuerlegen. Sie argumentieren
mit der Asymmetrie der Beweismöglichkeiten, dass Existenzaussagen leichter zu
belegen als zu widerlegen sind. In den Wissenschaften gilt nicht als bewiesen,
was nicht widerlegbar ist! Ansonsten müssten Nessies, Einhörner, Engel, Teufel
und Hexen unsere Ontologie bevölkern. Die Beleglast liegt also grundsätzlich bei dem, der die Existenz von etwas behauptet.
Es wäre nun möglich
und interessant, verschiedene religiöse oder religionsähnliche Haltungen
daraufhin zu überprüfen, ob sie theistisch sind und welche Form von Theismus
sie darstellen. So wäre etwa der Pantheismus, wie ihn Spinoza, Goethe oder Einstein
vertreten, wonach Gott und Natur eins sind und es keinen persönlichen Gott
gibt, durchaus atheistisch; und so bezeichnet auch Schopenhauer den
Pantheismus als eine „höfliche" oder „vornehme" Form des Atheismus.
Auch die religiösen Vorstellungen des New Age sind pantheistisch. Das
„ganzheitliche Denken" unterscheidet nicht zwischen Gott, Mensch und
Natur: Alles ist eins.
Somit lohnt sich die Auseinandersetzung mit atheistischen Gedanken für jeden, der auf dem Weg zur Erkenntnis Gottes voranschreiten will.
Wenn Gerhard Vollmer ein Fehler in seiner Beweiskette
unterlaufen ist, dann bedeutet es nicht, dass die Existenz Gottes bewiesen ist.
Theistische
Erwiderung der Thesen:
Glaubt der Atheist nicht an Gottes Existenz oder weiß er,
dass Gott nicht existiert? Nach den dargelegten Annahmen kann der integre, wissenschaftlich
denkende Atheist nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt. Er kann somit nur glauben, das Gott nicht existiert.
Wie steht es mit dem Theisten? Glaubt der Theist an Gott
oder weiß er, dass es Gott gibt? Die analoge Antwort lautet, dass der Theist
lediglich an Gott glaubt.
Gibt es Zusammenhänge zwischen Glaube und Fakten? Nach
heutiger Erkenntnis beweist der Glaube an Gott nicht dessen Existenz. Atheisten
debattieren lediglich über den Glauben, die Existenz Gottes wird nicht berührt.
Was unterscheidet dann Atheisten von Theisten, die Mitglieder einer religiösen
Gemeinschaft sind?
Wenn Mitglieder verschiedener Religionen über
Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten ihrer Religion sprechen, setzen sie die
Existenz Gottes voraus. Unter ihnen findet gewöhnlich kein Disput über die
Existenz Gottes statt. Die Auffassungen über das Wesen Gottes sind in den
verschiedenen Religionen nicht identisch. Schon unter monotheistischen
Theologen gibt es unüberbrückbare Differenzen zwischen der Trinität und Allah,
die aus politischem Kalkül verschwiegen werden. Religionen, die sich auf
Abraham berufen, sind sich nicht sicher, welche Glaubenslehren ihrem
monotheistischen Club beitreten dürfen. Die Unterschiede (und Ähnlichkeiten) in
den Auffassungen Gottes zwischen Mono- und Polytheisten sind kaum erforscht.
Die Glaubensinhalte zwischen den einzelnen Religionen gehen
weit auseinander, ähnlich den Glaubensinhalten zwischen Theisten und Atheisten.
Der Atheismus ist im Chor der Religionen ein weiterer Glaube, auch wenn dies
von den allermeisten Atheisten vehement bestritten wird. Der Theist glaubt an
Gott und der Atheist glaubt, dass es keinen Gott gibt. Es führt zur Verwirrung
zu behaupten, dass der Atheist nicht
glaubt, dass es Gott gibt. Somit relativiert sich der atheistische Anspruch,
dem Theisten die Argumentationslast aufzuerlegen. Jeder, der sich am Disput
beteiligt, ist verpflichtet, seinen Standpunkt zu darzulegen.
Die Einteilung des Pantheismus als Sonderform des Atheismus
ist eine wichtige, wenn nicht unabdingbare atheistische Forderung. Denn der
Pantheismus ist weniger der Glaube an Gott, als das Wissen um die Existenz
Gottes. Der Pantheist ist imstande, mit der Prämisse, dass das Universum
göttlich ist, die Existenz Gottes zu beweisen. Der Pantheist wird nur
denjenigen nicht von seiner Argumentation überzeugen, der nicht am
Vorhandensein des Universums glaubt. Die Existenz des Weltalls lässt sich nicht
beweisen, sie ist ein Axiom. Kirchlich sind Axiome Dogmen. Wenn nun der Atheist
den Glauben des Pantheisten als seinen eigenen ansieht, dann lässt er die
Existenz Gottes zu. Dass wäre das Ende des real existierenden Atheismus.
Nun könnten Atheisten, um dem Widerspruch zu entkommen,
festlegen, dass der Pantheismus nicht atheistisch ist. Doch dann kommen neue
Schwierigkeiten auf sie zu. Der wissenschaftliche Atheist erkennt das
Vorhandensein des Universums an. Das Weltall darf in Zeit und Raum endlich oder
unendlich sein. Derzeit überwiegt die Meinung, dass das Universum einen
zeitlichen Beginn hat und endlich, wenn auch unbegrenzt ist. Der Gläubige, wozu
auch der Atheist zählt, kann sich die Frage stellen, wer oder was das Universum
bewirkt hat. Das unendliche Universum könnte sich selber erschaffen, keinen
Gott zu seiner Existenz benötigt haben. Das endliche Universum benötigt einen
Schöpfer, der die Attribute Gottes hat, wie sie oben erwähnt sind. Um ein
Universum zu erschaffen, muss der Schöpfer allmächtig sein. Lediglich die
Attribute „allgütig“ und „unendlich gerecht“ erfahren einen Bedeutungswandel,
der der Alltagssprache widerspricht.
Letztendlich ist es theistisch nicht relevant, ob die Welt
sich selber erschaffen hat oder Gott das Werk vollbracht hat. Woraus hat Gott
die Welt erschaffen? Aus dem Nichts? Ist das Nichts nicht das, was wir Menschen
nicht erkennen können? Was hindert Gott daran, dass Universum aus sich selbst zu
erschaffen, was wir Menschen genauso wenig erkennen können? Der ewige Gott
erschafft eine endliche Welt! Oder die ewige Welt erschafft das endliche Universum.
Wenn das Universum nicht erschaffen worden, sondern notwendigerweise zufällig entstanden
ist, dann wird eben die „Notwendigkeit“ zum Schöpfer erhoben.
Wir leben in einem endlichen Universum, dem wir nicht
entfliehen können und wollen. Pantheistisch ist das Universum und mit ihm die
Menschen göttlich.
Unbegrenzten
Fähigkeiten führen zu Paradoxien. Beliebt ist die Allmachtsparadoxie: Kann
Gott einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht tragen
kann?
Eine höchst menschliche Glaubensfrage. Ähnlich der Frage, ob
die linke oder die rechte Hand Gottes stärker ist. Wichtiger ist die
Beantwortung der Frage, warum der göttliche Mensch im Vergleich zu Gottes
Omnipotenz derartig ohnmächtig ist. Eine einleuchtende und einfache Atheisten-konforme
Erklärung ist, dass die Omnipotenz mit der Unendlichkeit und der Größe
korreliert. Die Macht der Sonne übersteigt die Macht der Menschen. Die Macht
des Alls übersteigt die Macht der Sonne. Die Macht des Unendlichen übersteigt
die Macht des Alls.
Schwerwiegender ist
die Frage, ob Allmacht, Allwissen und Allgüte miteinander vereinbar sind. Ist
Gott allgütig, so möchte er menschliches Leid verhindern; ist er allwissend, so
weiß er, wie das zu bewerkstelligen wäre; ist er allmächtig, so kann er das
auch in die Tat umsetzen. Wieso ist unser Leben dann von Angst, Trauer und
Schmerz durchwebt? Diese Frage nach der Theodizee, nach der Verantwortung und
der Rechtfertigung Gottes für die Existenz des Übels in der Welt, ist für die
Theologie, gleich welcher Religion, eine der schwierigsten überhaupt.
Die Theodizee ist ein Problem des Glaubens. Auch wenn wir
Menschen sie nicht erklären können oder nicht erkennen wollen, beweist die
Theodizee weder die Existenz Gottes, noch seine Nicht-Existenz.
Die übrigen Argumente
sind methodologischer Natur. Sie zeigen, warum es sinnvoll ist, die
Gotteshypothese zu verneinen: Sie ist, soweit verständlich, unprüfbar und
insgesamt entbehrlich.
Das Universum verlangt die Gotteshypothese. Wer nicht nach dem
Grund des Seins sucht, für den ist nicht nur die Gotteshypothese entbehrlich.
Was aber ist ein
Atheist?
Wir können nun noch
etwas genauer sagen, was wir unter einem Atheisten verstehen wollen. Jemand ist
ein Atheist, wenn er alle Gottesvorstellungen
ablehnt: die metaphysische, die anthropomorphe mit einem endlichen oder sonst
wie beschränkten Gott, aber auch die anthropomorphe mit einem unendlichen Gott.
Dagegen ist ein Theist oder ein Gottgläubiger jemand, der Gott (oder Götter) in
einer der genannten Varianten für existent hält.
Da sich diese
Gottesvorstellungen gegenseitig ausschließen, kann niemand mehr als eine davon
widerspruchsfrei vertreten.
q.e.d.
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Warszawski 16.11.2013 22:10
Ein organisierter Atheist schrieb mir, dass Atheisten nicht an das Übernatürliche glauben. Das unterscheide die Atheisten von denen, die an Gott glauben. Diese Aussage ist eine informationsfreie Tautologie. Denn würde es morgen Gott gefallen, uns auf Erden zu besuchen, dann wäre Gott eben nicht übernatürlich. Da uns theistischen und atheistischen Sterblichen die Zukunft nicht bekannt ist, ziehen selbst Gottesleugner die mögliche Existenz Gottes in Betracht.
AFKovacs 15.11.2013 14:28
Die GB-Stiftung ist eine solche voller Selbstlob; sie nennt sich neben atheistisch auch humanistisch, wenn ich mich recht erinnere. Lauter Glaubensfragen, die sie aber für unumstößliche Wahrheiten hält. Kurt Flasch hielt kürzlich in St. Georgen / Frankfurt einen Vortrag darüber, warum er kein Christ ist. (Seit 2000 Jahren werden solche Vorträge gehalten.)Obwohl auch nicht überzeugend, war er wenigstens weniger blasiert und klugscheißerisch wie die aggressiven "Missionare" (wie Sie köstlich schreiben) der GB-Stiftung.