Erschienen in Ausgabe: No. 26 (3/2006) | Letzte Änderung: 21.03.10 |
von Stefan Groß
Gescholten und bewundert, gepriesen und verabscheut, die Facetten der
Heineinterpretation sind vielgestaltig. Spektakulär ist Heine auf jeden
Fall gewesen, auch wenn sein Abtritt von der Weltbühne vor 150 Jahren
alles andere war. Das Sein zum Tode, das Heidegger später als
Existential seiner Seinsanalyse zugrundelegen wird, verstellte Heine
nicht die eigene, von Schmerzen zerrüttete Lebenswelt, er überwand das
Schicksal, in dem er es annahm; statt vita contemplativa reinste vita
activa, reinste Schaffenskraft. Der am Lebensende erschienene
Gedichtsband "Romanzero" und das 1854 veröffentlichte politische
Vermächtnis "Lutetia" veranschaulichen dies nachhaltig. Die legendären,
selbst Geschichte gewordenen Selbstbeschreibungen, die der Literat in
den letzten acht Jahren von seiner „Matrazengruft“ aus liefert, zeigen
die ganze Existentialität, das jähe und nie erlöschende Ringen mit dem
Leben.
Kaum eine Persönlichkeit, von Arthur Schopenhauer und Friedrich
Nietzsche einmal abgesehen, war ambivalenterer Natur als Heine. Er war
Hellene, deutscher Klassiker und Romantiker in einem. Heine war aber
auch Kosmopolit, Kommunist, Theologe, Dandy und vor allem Journalist.
Marcel Reich-Ranicki nennt ihn gar den bedeutendsten Journalisten unter
den deutschen Dichtern und begreift ihn als berühmtesten Dichter unter
den Journalisten. Eher als Karl Kraus und Egon Erwin Kisch prägte, ja,
kreierte Heine jenen idealen Journalismus, den man heutzutage in den
Gazetten vermisst. Es ist nicht der Romantiker, der über das
Zeitgeschehen lasziv reflektiert, sondern der scharfe Analyst, der
Dialektiker des Geistes, der Lessing maßgebliche Impulse verdankte.
Der wahrscheinlich am 13. Dezember 1797 geborene und im Geist des
Judentums erzogene Harri Heine, der erst nach seinem Bekenntnis zum
Christentum 1825 zu Heinrich Heine wurde, bleibt der Erfinder aller
journalistischen Genres. Getreu der Maxime, die in der späteren
Phänomenologie zum Schlagwort wurde, wollte Heine nicht hinter den
Phänomenen suchen, sondern zu den Sachen selbst kommen. Wollte man
daher einen kategorischen Imperativ formulieren, der als
Sollensanspruch seinem politischen Journalismus zugrunde gelegt werden
könnte, so müsste er lauten: „Schreibe so, dass die beschriebenen
Phänomene der Wahrheit entsprechen.“ Damit ist zugleich ein
wesentliches Merkmal dieses Journalismus benannt: Wahrheit. Wahrheit
bedeutet für Heine Authentizität und impliziert die Autonomie des
Verfassers – seine Unbestechlichkeit. Als Journalist suchte er nicht
nach der Hinterwelt, zu der er sich, er, der sich zum Kommunismus von
Marx und Engels hingezogen fühlte, als theologisch-inspirierter und
bibelfester Denker bekannte, sondern nach der Offenbarung des „wirklich
Wirklichen“. Gott spielte, dies verstärkt sich noch im Alterswerk, eine
bedeutende Rolle in Heines Denken, nur, in den Journalismus gehört er
eben nicht.
Man würde den in Düsseldorf geborenen Heine falsch verstehen,
reduzierte man sein Denken auf einen platten Atheismus, der alle
theologischen Bezüge verleugnet. Heine war und blieb bis zum letzten
Tag seines Lebens religiös, ein zivilreligiöser Denker, wenngleich er
sich von jeder Religion distanzierte, die ihre Glaubenssätze in Dogmen
fasste. Jede Vereinnahmung der Religion durch das Zwangskorsett der
Kirche und durch ihre subalternen Hierarchien lehnte er kategorisch ab
– "Deutschland, Ein Wintermärchen" bleibt überzeugendes Beispiel
hierfür.
Aber auch mit seinen "Die schlesischen Weber" schreibt Heine
Journalismusgeschichte, denn hier deckt er soziale Mißstände gnadenlos
auf. Statt dem vielbeschworenen Gesinnungsjournalismus Tribut zu
zollen, der auf das unmittelbare Tagesgeschäft abzielt, ist Heine
Verantwortungsethiker, der die Waffe des Schreibens bewußt einsetzt, um
über soziale Mißverständnisse nicht nur aufzuklären, sondern auch
auffordert, die Mißstände zu beseitigen. Die kritische Analyse des
Zeitgeschehens, dieser frontale Angriff auf die despotischen
Gesinnungsethiker und ihre politischen Intrigen zeichnet den scharf und
präzis argumentierenden Journalisten Heine aus; die Sprache bleibt
gezieltes Medium dauernder Provokationen, sie ist das kräftigste Mittel
bei der Enttarnung jeder Schönhuberei.
Die radikal-inszenierte Kritik am politischen System endete, auch dies
bleibt ein Phänomen, das im 21. Jahrhunderts die Journalisten
provoziert, im Publikationsverbot, in der radikalen Zensur. Heine war
unbeliebt, unbequem – ein kritischer Geist par excellence, dessen
Wahrheitsempfinden nicht nur den braunen Machthabern später ein Dorn im
Auge wurde, sondern auch all jenen, die Wasser predigten und heimlich
Wein tranken. Die Bücherverbrennung, der Index, all dies nur Resultate
eines politischen Despotismus, der sich jeder kritischen Zeitanalyse
verschloß.
Die Radikalität des Schreibens, die eineindeutige Argumentation im
Geschriebenen, die Authentizität der dargestellten Phänomene, dies ist
es, was man im 21. Jahrhundert von Heine lernen kann, Zeichen eines
Journalismus, der sich den Idealen der Aufklärung und des Humanismus
gegenüber verpflichtet wußte, dem das geschriebene Wort damit zur
politischen Tat wurde, ja, zu einer Revolution des Denkens führen
sollte. Heine war also kein Literat, der sich auf den a-politischen
Diskurs zurückzog, kein Denker des Unpolitischen. Der Lyriker, der
zugleich mit der romantischen Tradition bricht, blieb Reporter im
idealen Sinn, der – auch heute noch – aus Bagdad, Islamabad oder aus
irgendeiner Krisenregion authentisch berichten könnte. Heine war, und
dies zeichnet ihn aus, Anwalt der Armen, Anwalt der Entrechteten und
Unterdrückten – ein Grund mehr, sich mit seinem Werk erneut und
intensiv auseinanderzusetzen. Seine Berichte, die er für die
"Augsburger Allgemeine Zeitung" schreibt, die Beschreibung der
französischen Zustände lassen Heine aber auch zu einem Denker werden,
der zwischen den Kulturen vermitteln will. Interkultureller Diskurs,
Aussöhnung und eine friedliche Globalisierung der Lebenswelt bleiben
Heines letztes Wort, dies sein europäisches Vermächtnis, dies sein
übernationaler Geist. Heine wurde immer vorgeworfen, dass er keine
Heimat hätte, Heine ist und bleibt Kosmopolit.
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