Erschienen in Ausgabe: No. 25 (2/2006) | Letzte Änderung: 21.03.10 |
von Stefan Groß
Zaghaft und verspielt kommt das lyrische Frühwerk Rainer Maria Rilkes
dem Leser in den Blick, zaghaft die Versuche, jene große Emotionalität
zu binden, die in einer Seele schlummert, die noch ungeformt, sich nach
großer Reife anschickt. Ungeformt ist der Rilke in seinen ersten
Werken, in „Larenopfer“, in „Traumgekrönt“, in „Advent“ und „Mir zur
Feier“. Doch bereits hier zeichnet sich ab, was später ihm zum
„Weltinnenraum“ wird. Das Spiel verdichtet sich, wird wahrhafter,
ereignisreicher und damit zugleich existentieller. Die Suche, eine
Sprache zu finden, die sich nicht selbst feiert, sondern zu den Dingen,
zu der Alltagswelt und ihren Phänomenen spricht, dies ist der Kampf,
den der am 4. Dezember 1875 in Prag geborene Rilke in seiner Jugend
führt. Das frühe Ringen mit der Sprache bleibt Spiel, ästhetisches
Suchen nach einer Wahrheit, die sich dem jugendlichen Enthusiasmus noch
entzieht. Doch schon 1899 ändert sich dies schlagartig.
Rilke, der vor achtzig Jahren an Leukämie starb, und den Robert Musil
als den religiösesten Denker nach Novalis bezeichnet, wendet sich vom
ästhetischen Spiel zunehmend ab und verdichtet jene existentielle
Sinnsuche, die in einer tief religiös-geprägten Sprache kulminiert.
Frenetisch feiert er Gott, frenetisch seine Sprache dabei.
Im „Stundenbuch“, einer der asketisch-mönchischen Tradition
verpflichteten Lyrik, spannt sich Rilkes neuer Existentialismus aus.
Hier wird Rilke groß, hier fasziniert er mit jugendlicher Energie, hier
will er Gott bis an den Rand denken; hier ist die Geburtsstunde jenes
mystischen Realismus, den Rilke bis zu seinen „Neuen Gedichten“ von
1907 beibehalten wird.
Das „Stundenbuch“ ist ein Stück weit negative Theologie, also jener
Tradition verpflichtet, die sich im Vorhof des Absoluten aufhält. Gott
entzieht sich, doch die Sprache versucht in aller Vorläufigkeit den
Gottesgedanken einzuholen, ist sich aber zugleich bewußt, nicht zum
Gottesgeheimnis vorzudringen; Gott offenbart sich, indem er sich
entzieht. Die Sprache kann nur an den Rand denken, diesen aber nicht
überschreiten. Gott bleibt, so das Resümee des „Stundenbuches“, eine
rein transzendente Wirklichkeit, der man nicht habhaft werden kann.
Dennoch – und dies zeichnet Rilkes religiösen Enthusiasmus aus – bleibt
Gott Gesprächspartner, Mittler einer Welt, der man sich im Gebet
versichern kann. Das Gebet ist es dann auch, das den Zugang zum
Göttlichen überhaupt ermöglicht; die lyrische Sprache Medium dieser
Annäherung. Die Sprache wird zum Gottgesang, zur Anbetung.
1907, in den „Neuen Gedichten“, nimmt Rilke Abschied von jener
negativen Theologie und wendet sich den Phänomenen, den Dingen, wie er
sagt, zu. Er sucht nicht mehr nach einer Hinterwelt, die sich nicht
entschlüsseln läßt, sondern will in die Dinge, in ihr plastisches Sein,
selbst eindringen. Was Rilke hier also vorschwebt, ist eine Analyse der
Wirklichkeit, eine Analyse dessen, was erscheint. Spektakulär bleibt
das Gedicht „Der Panther“, denn hier zeigt sich zum einen eine
originäre Beschreibung dessen, was der geschärfte, auf die Dinge
gerichtete Blick wahrnimmt, zum anderen die an Nietzsche und
Schopenhauer geschulte Sicht, das perspektivlose Nichts anzuerkennen.
Rilke vollzieht also spätestens hier jenen radikalen Paradigmenwechsel
vom rein lyrisch-verspielten Frühwerk, über die Phase religiöser
Innigkeit, hin zum Existentialismus, der nun auch um den Gedanken des
Absurden, der Resignation, kreist. So heißt es beispielsweise im „Der
Panther“: „Ihm ist es, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend
Stäben keine Welt.“
Noch deutlicher zeigt sich dieser Existentialismus in dem zwischen
1902-1906 verfaßten „Das Buch der Bilder“ und dem sich darin
befindlichen Gedicht „Herbsttag“. Einerseits spiegelt sich hier
Nietzsches Resignation wider, Welt auf eine Zukunft hin zu
überschreiten, was einen Nihilismus, zumindest vordergründig nahelegt.
Doch es ist eben kein absoluter Nihilismus, der sich hier zur
Erscheinung bringt, wenn er schreibt: „Wer jetzt kein Haus hat, baut
sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird
wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und
her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“ In jenem Gedicht
verdichtet sich zugleich die Hoffnung, die Zeiten jeglicher Resignation
zu überwinden. Der Zukunftsoptimismus besiegt jegliche Resignation,
fordert zumindest auf, sein „Haus“ gebaut zu haben. Auf die Phase einer
mit der Plastizität ringenden Sprache folgt die Rückkopplung an einen
sich wieder mehr an die Religiosität anbindenden Sprachstil, wie die
„Duisener Elegien“ nahelegen, die Rilke vier Jahre vor seinem Tod
schreibt.
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