Erschienen in Ausgabe: No 97 (03/2014) | Letzte Änderung: 04.03.14 |
von Heike Geilen
Lichtbilder oder: "Wer nichts erzählen
kann, der hat auch nichts zu sagen." (C. Ransmayr)
"Reden, Ansprachen, die nicht auch vom Leben der
Menschen berichten, von ihren Hoffnungen, Ängsten, Sehnsüchten
und katastrophalen oder verbrecherischen Irrtümern, könnten
ebensogut als leere Thesen gedruckt, an Wände und Tore geschlagen und
dort in Ruhe vergessen werden.", notiert Christoph Ransmayr im September
2013, in dem kleinen Ort Pincinguaba, gelegen auf einer brasilianischen
Halbinsel im Südatlantik, zwischen Sao Paulo und Rio de Janeiro.
Reden und Ansprachen hat der österreichische Schriftsteller
schon viele gehalten, halten müssen, halten dürfen.
Denn der zu den bedeutendsten deutschsprachigen Vertretern des postmodernen Erzählens
gehörende
Autor wird nahezu jährlich mit Auszeichnungen "überschüttet".
Und dann lässt es sich der Geehrte nicht nehmen, in dieser oder
jener Ausführung dieser postulierten Anforderung gerecht zu
werden.
Elf solcher "Elogen" sind in dem vorliegenden
schmalen Bändchen versammelt. Texte zur Verleihung des
Bertolt-Brecht-, des Ernst-Toller-, des Heinrich-Böll-Preises
oder des Premio Itas. Aber ebenso Eröffnungsreden zur Basler
Buchmesse, der Weltkartenschau in der Österreichischen
Nationalbibliothek oder einfach "nur" Gedankenvorträge
zur Entstehung einer Kurzgeschichte, zum Erzählen in Strophen oder zur
Kunst der Übersetzer. Ansprachen, die Ransmayr einem größeren
Publikum in Theatern und imposanten Sälen, als auch einem kleineren,
illustren Kreis in Innenhöfen oder Wohnzimmern zu Gehör
brachte. Den Leser erwartet jedoch keineswegs eine langatmige, einfallslose
oder nichtssagende Laudatio, denn wie seine Prosa, so entpuppt sich Ransmayrs
"Gerede" als unglaublich wort- und sprachgewaltig. Texte, die stets
eine faszinierende Aura umgibt, die man beinahe atemlos in sich aufnimmt und
die in höchstem
Maße
poetisch sind. Der österreichische Autor wartet mit Passagen auf, die
geradezu vor Schönheit vibrieren, selbst wenn aus ihnen hin und
wieder das Dunkle, Anklagende oder gar Schockierende herausschaut.
Sozialkritisch sind sie mitunter, politisch direkt und ungeschönt,
zuweilen mit einer geradezu schockierend offenen Klarheit. Ab und an klingen überdies
sehr intime, bewegende, seiner Herkunft gewidmeten Momente hindurch, in denen
man merkt, dass der Kosmopolit und Globetrotter Ransmayr ein "oberösterreichischer
Dörfler"
aus bescheidenen Verhältnissen geblieben ist. Den verstorbenen Vater,
einen Lehrer, erwähnt er in melancholischer Dankbarkeit. Immer wenn
jener auf dem "Englischen Klosett" Monologe auf Russisch führte
und der Sohn ihnen aus einem geheimen Versteck lauschte, genoss er deren
Klangschönheit,
aber blieb genauso mit dem Rätsel des Nichtverstehens
dieser fremden Sprache zurück.
Fazit: Ransmayr hebt genau wie der deutsche Schriftsteller,
Politiker und Revolutionär jüdischer Herkunft Ernst Toller
in seinem "Schwalbenbuch" "den Kampf gegen die Unerbittlichkeit
hoch über
seine Zeit hinaus, verwandelt ihn in Sprache, in Poesie, und so, wenn nicht in
einen Triumph, so doch in etwas, das Herrschaft, Gefangenschaft und Mauern übersteigen
und überdauern"
kann. Sein "Gerede", der zehnte Band der "Spielformen des Erzählens",
ein Projekt, in dem Ransmayr mit neuen Varianten des Erzählens
experimentiert, offenbart eine ebenso vergnügliche wie tiefsinnige,
unglaublich vielschichtige Prosa. Mit einem Wort: Lichtbilder.
Christoph Ransmayr
Gerede. Elf
Ansprachen
S. Fischer Verlag
(Februar 2014)
104 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3100629523
ISBN-13:
978-3100629524
Preis: 12,00 EUR
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