Erschienen in Ausgabe: No 97 (03/2014) | Letzte Änderung: 05.03.14 |
von Hans Gärtner
„La Clemenza di Tito“ unter
Kirill Petrenko neu am Münchner Nationaltheater
Will
doch gerade die Bayerische Staatsoper immer so dicht am Zeitgeschehen sein.
Auch dem dort debütierenden Regisseur
Jan Bosse war an „zeitgenössischer Relevanz“ gelegen, als er W. A. Mozarts
letzte Oper „La Clemenza di Tito“, 1791 in Prag uraufgeführt, hier inszenierte.
Warum, so fragt sich der Besucher der 4. Vorstellung, gab Bosse dann nicht Order,
die Abendspielleitung möge den Ascheregen, der sich nach dem Niederbrennen des römischen
Kapitols, angezettelt von Imperator Titus` Busenfreund Sesto (auf Drängen Vitellias,
der den Kaiserthron begehrenden Tochter des verstoßenen Vespasian), auf die
Ewige Stadt ergoss, aus Sahara-Sand bestehen zu lassen?
Sonst
war alles augenfällig zeitnah gemacht, ortsnah zumindest. Bosses Bühnenbildner
Stéphane Laimé bediente sich an der Nationaltheater-Innenarchitektur und baute,
für den 1. Akt ganz, für den 2. Akt halb, die Proszeniumsloge nach, allerdings
nur in gräulicher Marmorhelle. Das nervte und langweilte zugleich. Und gab eine
Stimmung wieder, die abständig-klassizistisch wirkte, weit weniger römisch-antik.
Titus regierte von 79 bis 81 n. Chr. Er war bekannt für seine Nachgiebigkeit,
seine Güte und Milde („clementia“). Man kennt die tragische Geschichte mit Intimus
Sextus, der ihm ans Leben wollte, weil er der Geliebten Vitellia gefallen
wollte, die sich als Thronerbin sah.
Wer
hat nicht Probleme, das Geflecht der Liebes-Story auf Anhieb zu durchschlagen? Bosse
ist es hoch anzurechnen, die Verwicklungen transparent gemacht zu haben. Auch
wenn dazu ein überromantisierend schwelgerischer, Metastasio folgender Mozart
auf die Bretter und in den – warum eigentlich? – weiß ausgetünchten, ins
Geschehen einbezogenen Graben gebracht wurde – mit allen Mitteln, die Regisseur
und Dirigent zur Verfügung standen. Das Publikum nahm`s beiden, so schien es,
gern ab. Es fühlte sich wohl in den zwei unterschiedlichen Bildern – zuerst luzider
Titus-Thronsaal, dann alles Bühnen-aschig (ohne Sahara-Regen) im Eimer.
Titus
war darin nicht umgekommen. Toby Spence lebte. Nach seiner ihn belastenden
Schilddrüsen-Erkrankung bewundernswert
präsent und taff, sah und hörte man den Tenor von bester Seite. Der Schöne,
Sanfte, in fließend reines Weiß Gekleidete schritt oder thronte majestätisch.
Er sangschön von der Reue, die mehr
wert sei als die Treue – jedem Wortverspielten zur Freude und jedem christlich
Empfindenden die verbürgte Bestätigung seiner Nazaräer-Gefolgschaft.
Umgeben
ist Roms Kaiser Titus von in alle Liebes-Richtungen verstrickten „Weibern“:
Servilia (wunderschön unschuldsvoll und grandios im Ausdruck: Hanna-Elisabeth
Müller), Sestos Schwester, die Annio (sehr überzeugend: Angela Brower in langer
roter Mähne) liebt und eben Vitellia, die den ganzen Wahnsinn verschuldet – mit
der scharf und schrecklich zu spielen verdammten, ihre weit ausladenden Roben
(Kostüme: Victoria Behr) wie ihren hell leuchtenden Sopran zur Schau tragenden Kristine
Opolais kostbar besetzt.
Sesto,
verkörpert vom jungen, ambitionierten Ensemblemitglied Tara Errauhgt mit
betörend weich modulierendem Mezzo, war ein Gewinn für diese Neuproduktion.
Figürlich ist Erraught alles andere als ideal, aber gesanglich absolutes Plus.
Was GMD Kirill Petrenko, der so gut mit den Sängern kann, wohl wichtiger war
als dass die kleine pummelige Erraught perfekt ins Optische passte, wo ohnehin
etliches quer lag. Das fing bei den bescheuerten Video-Füllseln der
nachgebauten Nationaltheater-Säulengänge an und endete bei der Oberkörpernacktheit
des tadellos singenden Nachwuchs-Haus-Basses aus Kuwait, Tareq Nazmi, im 2.
Akt. Auch darüber sah Petrenko Titus-ähnlich gnädig lächelnd hinweg. Ihm war,
neben den Solisten und dem balsamisch singenden, sich spielerisch im
Senats-Bild einvernehmlich einbringenden Chor am meisten an seinem
Staatsorchester gelegen. Das konnte er gleichermaßen für die unvermittelten
Dehnpausen, die ungewöhnlichen Verzögerungen und den schmelzend-romantischen
Mozart-Stil begeistern. Der mochte bei Petrenko überraschen. Die Ironie des
Salzburgers liegt ihm weniger als seine Klangopulenz und die Sehnsüchte, die er
der widerlich ehrgeizigen Vitellia und dem zum Henker seines Freundes
gewordenen Sesto so unwiderstehlich in die Kehle zu legen verstand. Petrenko sorgte
jedenfalls, auch mit seinen nur spektakulär, nirgendwo aber zwingend ins
Bühnengeschehen integrierten Bassetthorn- und -klarinette-Solisten für ein,
wenn auch szenisch halbseidenes, so musikalisch doch bleibendes mozartisches Nationaltheater-Ereignis.
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