Erschienen in Ausgabe: No 101 (07/2014) | Letzte Änderung: 09.07.14 |
von Heike Geilen
"Es gibt Länder wo was los ist!
Es gibt Länder wo richtig was los ist!
Und es gibt...
Brandenburg!"
Eine ganze Nation lacht über den Song
mit der unvergleichlichen Tristesse, in dem Kabarettist Rainald Grebe ein
Bundesland besingt, das im Schatten der Hauptstadt Berlin ein eher unrühmliches
Dasein fristet. Derweil lustwandelten in der Vergangenheit hier königliche
Oberhäupter. Dichter rühmten die durch den Menschen beseelte Landschaft und
deren Naturschönheit. Die wohl namhaftesten Worte fand Theodor Fontane, der im
19. Jahrhundert die Mark Brandenburg durchwanderte und in seinen Schilderungen
die Schlösser, Gärten und Herrenhäuser des Landes weltberühmt schrieb.
150 Jahre später machen sich zwei
Berliner Schriftsteller erneut auf den Weg. Ist was dran an dem drögen
Brandenburg? Lachen Fontanes Dörfer nicht mehr? Heißen moderne
Wallfahrtsstätten heute nur noch "Siggis Imbiss" oder "Gabis
Getränkemarkt"? Steht es wirklich so schlimm um das Märkische Land und
warten tatsächlich die von Grebe besungenen "drei Nazis auf dem Hügel und
finden keinen zum Verprügeln in Brandenburg"? Der Dialog auf der ersten
Seite des Buches, den die beiden Autoren mit ortsansässigen Jugendlichen
führen, lässt jedenfalls nichts Gutes erahnen:
"Von wo seid ihr denn?"
"Eberswalde, aus der Nähe!"
"Hartes Pflaster!", sagt
einer von uns.
"Langweiliges Pflaster", sagt
der, der die Hundeleine hielt.
"Wie is'n dit da so?", fragt
einer von uns.
"Dit willste nich wissen,
Alta!"
Doch sie wollten! Björn Kuhligk,
geboren in Westberlin und Tom Schulz, aufgewachsen im Osten der geteilten Stadt
- sozusagen die personifizierte Wiedervereinigung Deutschlands - zogen auf den
Spuren Fontanes los. Mit dem Fahrrad, zu Fuß, im Mietwagen oder mit
öffentlichen Verkehrsmitteln machten sie die Brandenburger "Jejend"
und zuweilen auch ihre Bewohner unsicher. Im Gegenzug zu ihrem, am 30. Dezember
2014 seinen 195 Geburtstag feiernden "Kollegen", dessen detailliert-ausufernde
Beschreibungen vor allem der hochherrschaftlichen Bausubstanz und deren
kulturhistorischem Hintergrund galten, legten die beiden Autoren ihr Interesse
auch und vor allem auf die Menschen im Heute, selbst wenn ihnen zuweilen viel
Gestriges entgegenschlug. Denn gerade jene waren die Schlüssel, um das
Verborgene, das Unausgesprochene hinter den Mauern zu finden.
Nicht hymnisch und elegisch, sondern
eher lakonisch, teils lyrisch und in kurzen, klaren Sätzen, die mitunter einen
fast skizzenförmigen Stil annehmen, beschreiben Kuhligk und Schulz mit wachem
Auge ihre Erlebnisse und Eindrücke im Fläming, dem Ruppiner Land oder
Havelland. Sie schließen Baumfreundschaften im Oderland, während das Gras
schneller wächst, als der Mensch denken kann, bewundern "den Triumphzug
der Betonfertigteile" in Falkenrehde oder genießen im Kloster Lehnin die
Stille. Auf leisen Sohlen streifen sie durch die Zeit, im Regen, Schneematsch
und bei schönstem Sonnenschein. Sie frieren wie die Schneider beim Anstaken im
Spreewald, wärmen sich am Osterfeuer in Lehde, gewahren "Luxus neben der
Geschichte. Das Haben neben dem Gehabten" am Ruppiner See. "Schatten
bilden sich, schaffen Zwischenräume. Hell-Dunkel-Kontraste". Schlösser
neben "hübschen Sparkassenbauten". Verlassene Kasernengelände oder
ein im Rückbau befindliches Atomkraftwerk auf der einen Seite, Eisvögel und
zunehmend aus Polen einwandernde Elche auf der anderen. Menschen, so scheint es
mitunter, haben sich aus dieser "Indianersommerromantik"
zurückgezogen oder wirken künstlich hineingesetzt. Ein "Preußen der
Hinterbliebenen"? "In Berlin bin ich einer
von 3 Millionen, in Brandenburg kann ich bald alleine wohnen... Brandenburg.
Ich fühl' mich heut' so leer, ich fühl' mich brandenburg.", singt Grebe.
Mitnichten! "Die Gedanken sammeln Laub auf. Zählen etwas zusammen, finden
eine Fülle, keine Leere.", setzen Kuhligk und Schulz dagegen. Charmant-witzig,
zuweilen zynisch-sarkastisch, in einem lyrisch modernen Ton, wird mehr Neugier
geweckt, als Distanz erzeugt. Ein ungemein intensive literarische Ausdruckskraft,
die sich vor allem zwischen den Zeilen offenbart. Wird man ihrer beim Lesen
gewahr, entfaltet sie ihre ganze poetische Energie.
Fazit: "So lassen wir los, treiben
umher und finden überall nur eine sich selbst genügende, in sich ruhende Schönheit.
Es sind Sehnsuchtsorte, und hätten wir genügend Geld in der Portokasse, wir
würden eines dieser von Schwalben bewohnten, von Störchen überflogenen Häuser
kaufen." Die neuen Wanderungen durch die Mark Brandenburg von Björn
Kuhligk und Tom Schulz strahlen eine große innere Ruhe und Genügsamkeit aus.
Besinnung und Ausatmen. Authentisch mit einem Landstrich, der einen stillen
Reiz verströmt und im medialen Getöse unserer Zeit schnell übersehen wird.
"Wenn man zur Ostsee will muss man durch
Brandenburg. Nimm dir Essen mit, wir fahr'n nach Brandenburg.", rät
Rainald Grebe. Die beiden Autoren setzen dagegen: "In
Brandenburg ist Natur, und das reicht aus." Und Fontanes
Taschenbuchausgabe.... ja, die eignet sich allerbestens zur Mückenabwehr im
Oderland.
Björn
Kuhligk, Tom Schulz
Wir sind jetzt hier.
Neue Wanderungen durch die Mark
Brandenburg
Hanser Berlin (März 2014)
272 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3446245049
ISBN-13: 978-3446245044
Preis: 17,90 EUR
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