Erschienen in Ausgabe: No 112 (06/2015) | Letzte Änderung: 15.06.15 |
von Karl-Josef Kuschel
„Von Gott kann man
nicht sprechen, wenn man nicht weiß, was Sprache ist“, was ist damit gemeint?
Zunächst einmal ist das ein Zitat des großen Lyrikers
Günther Eich aus seiner Büchner-Preis- Rede Ende der 50er Jahre. Und der Satz
hat noch eine Fortsetzung. Dann wird deutlich, was damit gemeint ist: Tut man
es dennoch, sagt Eich, also spricht man von Gott, ohne zu wissen, was Sprache
leistet, was Sprache möglich und unmöglich macht, dann missbraucht man seinen
Namen und erniedrigt ihn zur Propagandaformel. Das heißt: Günther Eich will
darauf hinweisen, dass Sprache große Möglichkeiten hat – aber auch große
Gefahren in sich birgt. Nämlich die der Versteinerung, der Objektivierung, der
Verdinglichung. Und wenn man „Gott“ wie ein Ding, wie eine Sache behandelt,
dann bleibt er nicht mehr der lebendige Gott, der sich aller Sprache entzieht.
Es ist eine Warnung davor, dass „Gott“, den wir den Unnennbaren, den
Unbegreiflichen, den Unverfügbaren nennen, in wohlfeile Formeln aufgelöst
wird. Sprache hat diese Gefahr in sich – also die der Verdinglichung, der
Verzweckung, des propagandistischen Missbrauchs, was im „Fall“ der Gottesrede
besonders gefährlich ist.
Warum brauchen wir
globale ethische Standards, Sie sprechen von einem Weltgewissen, um zu
überleben?
Globale ethische Standards braucht man, weil wir in einer
immer stärker zusammenwachsenden Weltgesellschaft leben – sowohl ökonomisch
wie ökologisch wie finanziell. Wenn Sie an Fragen wie die des Weltklimas
denken, der Weltmigrationsströme, der Weltverbrechen wie Drogenhandel,
Waffenhandel etc., dann wissen Sie, was ich meine. Wir leben in einer zunehmend
kommunikativ vernetzten Weltgesellschaft. Wie soll man da überleben, wenn man
nicht elementare ethische Standards miteinander teilt? Wenn nicht das Gebot, du
sollst nicht lügen, du sollst nicht stehlen, nicht morden, du sollst
Sexualität nicht missbrauchen, um nur diese vier zu nennen, wenn die nicht
überall geteilt werden? In einer immer stärker zusammenwachsenden W
eltwirtschaft zum Beispiel kann man nicht interagieren, kann man kein
Vertrauen, kann man keine geschäftlichen Beziehungen aufbauen ohne ein Minimum
an Vertrauen, an Zuverlässigkeit, an Ehrlichkeit. Auch der Welthandel mit ausländischen
Partnern beispielsweise würde ja sofort zusammenbrechen, wenn man das Gefühl
hätte, man wird vom anderen nur übervorteilt, man wird angelogen, man wird
betrogen, übers Ohr gehauen. Verträge wären dann das Papier nicht wert, auf
dem sie geschrieben sind. Mit anderen Worten: die eine Welt- Gesellschaft
braucht ein Welt-Ethos, das heißt universal, überall geltende ethische
Standards – zumindest in elementaren Bereichen, unbeschadet kultureller oder
religiöser Unterschiede. In speziellen Bereichen, sagen wir bei
Geburtenkontrolle, Abtreibung, Sterbehilfe oder vielen anderen konkreten
ethischen Fragen, wird es sicher keinen Konsens geben. Aber die Weltreligionen
können bei diesen elementaren ethischen Standards so etwas wie ein Weltgewissen
sein, damit die Weltgesellschaft zusammengehalten wird und nicht auseinander
driftet.
Was können wir
Christen von den anderen Religionen lernen, wo sehen Sie Nachholbedarf?
Lassen Sie mich ihre abstrakte Frage gleich
„herunterbrechen“: Was habe ich von Menschen anderen Glaubens gelernt? Ich
habe vor allen mit vielen jüdischen Kolleginnen und Kollegen, aber auch
muslimischen, zusammengearbeitet und unendlich viel von ihnen gelernt. Ich habe
zunächst einmal gelernt, dass der jeweils Andere nicht nur der anders Glaubende, sondern auch der
Andersglaubende ist. Daraus folgt:
Glauben an Werte, an etwas Göttliches, etwas Heiliges ist kein Privat- oder
Exklusivbesitz einer Religion. Dass es überall auf der Welt
Menschen gibt, die sich religiös oder spirituell
orientieren, heißt ja umgekehrt: Man ist als Christ nicht alleine in der einen
Weltgesellschaft. Man lernt die Pluralität religiöser Ausdrucksformen kennen
und auch schätzen. Man weiß sich verbunden mit Menschen, die ähnlichen
Idealen folgen. Natürlich in ihrer eigenen Sprache, kulturbedingt, in ihren
eigenen Ausdrucksformen, in ihren eigenen Riten und mit ihren eigenen Festen.
Aber ich war immer beglückt, zum Beispiel an Festen des Judentums teilnehmen
zu können oder von Muslimen eingeladen worden zu sein zum Fastenbrechen am
Ende des Ramadan oder zum Opferfest. Weil ich merkte: Ich teile als Christi
dieselben Ideale, das gelebte Leben in eine „göttliche Ordnung“ einzubetten.
Gelernt habe ich auch, dass ich als Christ mit Juden die Hebräische Bibel und
mit Muslimen viele Überlieferungen teile, die der Koran ausdrücklich
„bestätigt“: Überlieferungen von Adam, Abraham und Moses bis hin zu Jesus und
Maria.
Wahrheit ist immer
wieder das große Thema, bei dem sich die Religionen streiten. Wie können sich
die großen Religionen noch mehr annähern?
Zunächst einmal ist zu sagen: Religionen vertreten
Wahrheitsansprüche gegeneinander. Das darf man nicht verharmlosen, nicht
bagatellisieren. Ein Jude wird sich immer orientieren an der Tora, ausgelegt in
Mischna und Talmud. Christen werden sich immer an Botschaft und Person Jesu
Christi orientieren, der für sie der definitive Interpret Gottes ist. So wie
sich ein Muslim für sein Leben und Sterben am Koran orientiert als dem für
ihn definitiven „Wort Gottes“. Ich nenne das die theologische Axiomatik, und
sie macht ja auch eine Religion zur „Religion“. Die entscheidende Frage aber
ist: Gibt es unter Respektierung dieser Wahrheitsansprüche in jeder der
genannten Religionen auch Raum für den Glauben der Anderen? Diese Frage ist
Jahrhunderte lang ausgeblendet worden; man hat seine eigene Wahrheit zum
Exklusivbesitz gemacht. Man hat sich oft genug polemisch abgegrenzt gegen „die
Anderen“. Man hat sie entweder als Defizitäre oder als Ungläubige oder als Unorthodoxe
bezeichnet. Mein christliches Wahrheitsgewissen in Orientierung an der
Botschaft Jesu gibt „den Anderen“, den Nichtchristen und auch den
Nichtgläubigen, den Menschen guten Willens, die ihrem Gewissen folgen, Raum vor Gott. Dem Matthäus-Evangelium
zufolge (Kap. 25) werden Christen ja am Ende, wenn Christus wiederkommt zum
Weltgericht, nicht gefragt: Warst du in der richtigen Kirche, hast du die
richtige Religion zelebriert, hast du nach der richtigen Dogmatik geglaubt? Sie
werden nach dem Werken der Barmherzigkeit gefragt: Was hast du dem Geringsten
meiner Brüder getan? Für einen interreligiösen Dialog heißt das, bereit zu
sein, sich für den Anderen zu öffnen, auf den anderen zuzugehen, sich um ihn
zu kümmern. Wie tut man das am besten? Indem man seine Überlieferungen
studiert. Indem man versucht, sich in den Wahrheitsanspruch des Anderen hinein
zu versetzen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die schöne Formel gebraucht:
Ziel des interreligiösen Dialogs ist das bessere wechselseitige Verstehen
untereinander. Was ja nicht heißt, dass ich meine Religion aufgebe, dass ich
konvertiere. Aber ich muss die mich bemühen, die Andersheit des Anderen besser
zu verstehen. Das sagt mir mein christliches Wahrheitsgewissen, das ist für
mich ein Teil der Nachfolge Christi: Mich in die Schuhe des anderen zu stellen,
den Weg des anderen versuchen nachzuvollziehen, um so immer genauer die
Andersheit des Anderen verstehen zu können.
Vor welchen großen
Herausforderungen steht die Kirche im 21. Jahrhundert?
Wenn Sie die katholische Kirche meinen, gibt es seit dem
Konzil eine große Agenda, die nach wie vor der Einlösung harrt. Das ist auf
der einen Seite die Auseinandersetzung mit dem Säkularismus der Moderne. Millionen von Menschen fühlen sich
religiös oder kirchlich nicht mehr gebunden. Haben ihre Vorbehalte, haben ihre
traumatischen Erfahrungen mit Kirche gemacht. Wie gehen wir also mit Menschen
um, die explizit jede religiöse oder auch kirchlich-institutionelle Verbindung
zurückweisen, oft aus guten sachlichen oder persönlichen
Gründen? Mit diesen Menschen muss Kirche im Gespräch
bleiben. Das andere ist die innerchristliche
Ökumene. Nach wie vor haben die Kirchen es nicht vermocht, die
Kirchenspaltung und damit die Exkommunikation auf Ortsebene abzuschaffen. 2017
ist nicht mehr lange hin, das Jahr des 500 jährigen Jubiläum der Reformation.
Will die katholische Kirche so weiter machen, indem sie immer noch den
protestantischen Kirchen das volle Kirchensein abspricht? Sie sei nicht die
wirkliche Kirche Christi, sondern irgendeine defizitäre Form, eine „kirchliche
Gemeinschaft“? Will man also die Kirchenspaltung nach wie aufrechterhalten und
den Überlegenheitsanspruch der katholischen Kirche immer noch verteidigen?
Millionen von Menschen in allen Kirchen warten darauf, dass die
Kirchenleitungen endlich zu Lösungen kommen und das umsetzen, was die
theologische Forschung seit dem Konzil längst erhoben hat: Die
kirchentrennenden Differenzen sind beseitigt und die noch verbleibenden
Differenzen sind nicht mehr kirchentrennend. Doch diese Ergebnisse sind nicht
rezipiert. Wir könnten längst eine Abschaffung der Kirchenspaltung
durchführen, wenn man die theologischen Ergebnisse ernst nähme und umsetzte.
Und das dritte große Feld ist der Dialog
mit den Weltreligionen, ausgehend von der Tatsache, dass wir in einer
religiös pluralen Weltgesellschaft leben, in der auch die anderen Religionen
mächtigen Einfluss haben. Vor allem der Islam. Rein statistisch sind
Christentum und Islam die einzigen Religionen, die den Namen Weltreligionen
verdienen. Jeder hat ungefähr 1 Milliarde nomineller Anhänger, jede ist
weltweit verbreitet. Der interreligiöse Dialog steht vor großen
Herausforderungen, weil der Weltfrieden nicht zuletzt vom Religionsfrieden
abhängt. Und dieser hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft zum Dialog ab.
Kunst als Paradigma
von Harmonie und Versöhnung. Welche Rolle kommt der Kunst im interkulturellen
Diskurs zu?
Kunst ist heute Weltkunst. Das ist ein wichtiges Faktum.
Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht so absehbar. Zwar haben sich
europäische Künstler wie Picasso von Künsten aus Asien oder Ozeanien
beeinflussen lassen, sie haben Impulse außereuropäische Kulturen aufgenommen.
Ein Emil Nolde ist in den Südpazifik gereist, ein Paul Gauguin hat in Ozeanien
gearbeitet. Heute aber haben wir eine ganz neue globale Kunstsituation. Wir
haben Literatur als Weltliteratur. Ganz selbstverständlich rezipieren wir
heute Autoren aus Afrika oder Südafrika: eine Nadine Gordimer, einen Wole
Soyinka. Ganz Europa hat getrauert, als ein großer Südamerikaner neulich
starb: Garcia Marquez. Wir rezipieren ganz selbstverständlich auch Autoren und
Autorinnen aus Nordamerika. Die letzte Nobelpreisträgerin, Alice Munro, war
eine Kanadierin. Die Grenzen sind längst durchlässig geworden. Kunst in Form
von Weltliteratur, Weltmusik und Weltkunst kann Horizonte eröffnen, Grenzen
sprengen und Grundfragen, die in der Kunst zum Ausdruck kommen, als
Menschheitsfragen bewusst machen. Sie kann den interkulturellen Dialog
befördern. Anders gesagt: Die internationalisierte Kunst, die Weltkunst, die
wir jetzt erleben, kann zum Anstoß werden, Grundfragen des Menschen neu zu
thematisieren. Die Fragen des Menschen nach dem Woher und dem Wohin seines
Lebens, nach dem Sinn seiner Arbeit und seines Daseins, nach den Konflikten,
denen er ausgesetzt ist, und nach der Hoffnung, die Menschen miteinander
teilen. Insofern ist Kunst ein wichtiges Instrument, ein wichtiges Medium der
Kommunikationsfähigkeit zwischen Menschen verschiedener Kulturen.
Danke für das Gespräch, das Dr. Dr. Stefan Groß führte, herzlichen Dank an Angelika Weber M.A., die das Interview in die Wege geleitet hat.
Gedankt sei Frau Bianca Henze von der Pinakothek der Moderne München.
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