Erschienen in Ausgabe: No 100 (06/2014) | Letzte Änderung: 02.07.14 |
von Michael Lausberg
Irinäus
Eibl-Eibesfeldt, Schüler von Konrad Lorenz, ist ein österreichischer
Verhaltensforscher, der die Humanethologie als selbständigen Forschungszweig
begründete.[1]
Eibl-Eibesfeldt betrieb umfangreiche ethologische Forschungen in Afrika,
Südamerika und Ostasien, wo er besonders „angeborene“ Verhaltensweisen
untersuchte. Er leitete die Forschungsstelle für Humanethologie in Andechs bei
München und gründete 1992 das Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie in
Wien, das er zusammen mit Karl Grammer leitet. Eibl-Eibesfeldt favorisiert
einen „biologischen Reduktionismus“, indem er Erkenntnisse aus der
Verhaltensforschung an Tieren eins zu eins auf den Menschen überträgt.[2]
Immer
wieder wird Eibl-Eibesfeldt vorgeworfen, rassistische Thesen wissenschaftlich
zu untermauern, um diese als glaubwürdig über den rechten Rand hinaus in die „Mitte“
der Gesellschaft zu etablieren.[3]
Vor allem seine These, dass eine dem Menschen „angeborene Fremdenfurcht“ existiere,
sorgte in der demokratischen Öffentlichkeit für Aufregung und Gegenreaktionen.
Eibl-Eibesfeldt
leitet aus seinen Forschungen den Anspruch ab, biologisch fundierte ethische
Normen zu propagieren und aus diesem Fundus politische Handlungsanweisungen
herzuleiten. Laut Eibl-Eibesfeldt sind die Menschen mit „angeborenen
verhaltenssteuernden Programmen“ ausgerüstet, die die Wahrnehmung, das Denken
und Handeln entscheidend beeinflussen würden. Er spricht von einem
„stammesgeschichtlichen Erbe“, das sich in den letzten zehntausend Jahren nicht
verändert hätte: „Diese Programme entwickelten sich in jener langen Zeit, in
der unsere Vorfahren auf altsteinzeitlicher Entwicklungsstufe als Jäger und
Sammler in Kleinverbänden lebten.“[4]
Auf der
biologischen Ebene sei auch der Mensch in der heutigen Gesellschaft an ein
Leben in territorialen Kleingruppen angepasst, die sich von anderen abgrenzen
würden. Die Drei-Generationen-Familie bildet laut Eibl-Eibesfeldt den
Kristallationskern solcher Gemeinschaften. Die Neigung von Menschen zum
Gefolgsgehorsam gegenüber schutzversprechenden Führerfiguren würden ebenfalls
zum „stammesgeschichtlichen Erbe“ gehören. Menschen neigten dazu, sich in
Gruppen zusammenzuschließen und von „Fremden“ abzugrenzen. Dies sei bereits bei
Säuglingen zu beobachten, die im Alter von sechs bis acht Monaten
„Fremdenfurcht“ zeigten: „Sehr früh im Säuglingsalter beobachten wir Abgrenzung
über die agonistischen Verhaltensmuster Flucht und Abwehr. Während sich
Säuglinge in den ersten drei Monaten nach der Geburt jedem, der sich ihnen
nähert, freundlich zuwenden, ändern sie im Alter von sechs bis acht Monaten ihr
Verhalten in oft dramatischer Weise. (…) Zur Entwicklung der Fremdenscheu
bedarf es keinerlei schlechten Erfahrungen mit Fremden. Auch Kinder, die nie
Böses von Fremden erfahren haben, verhalten sich so, und zwar in allen
daraufhin untersuchten Kulturen, offenbar aufgrund stammesgeschichtlicher
Programmierung.“[5]
Die
Stärke der „Fremdenscheu“ hänge davon ab, wie ähnlich „der Fremde“ den
Bezugspersonen des Kindes sei. Kindern von Schwarzafrikanern würden sich „mehr
von weißen Fremden als von Fremden der eigenen Rasse“ fürchten. Dieses
Verhaltensmuster gelte analog für „weiße Kinder“.
Eibl-Eibesfeldt
vertritt die Überzeugung, dass es sich „bei der Xenophobie der Erwachsenen um
ein anthropologisches Merkmal des Menschen“ handele, das angeblich
„stammesgeschichtlich fundiert“ wäre: „Bemerkenswert bleibt das Mißtrauen, das
zunächst unser Verhalten gegenüber Fremden kennzeichnet. Dieses Vorurteil schafft
die Bereitschaft, vom Fremden vor allem das Negative wahrzunehmen,
gewissermaßen als Bestätigung des Vorurteils.“[6]
Damit legitimiert Eibl-Eibesfeldt rassistische Einstellungen und Handlungen als
„normale“ menschliche Denk- und Reaktionsmuster, die unveränderlich seien und
nicht mit pädagogischen oder bildungspolitischen Maßnahmen zu bekämpfen wären.
Indem
er sich auf Ergebnisse der Evolutionsbiologie stützt, hält Eibl-Eibesfeldt
„Rangordnung und Territorialität“ für typische Merkmale des menschlichen Denkens,
die sich „von der Stufe der Jäger und Sammler“ bis in die Gegenwart erhalten
hätten.[7]
Zu allen Zeiten hätten sich Menschengruppen durch Sprache, Brauchtum und
Glauben gegenüber anderen abgegrenzt und auf diese Weise eine wie auch immer
geartete Identität geschaffen. Auch auf der heutigen Stufe staatlich
organisierter Gemeinschaften werde das „familiare Wir-Gruppen-Gefühl“ auf eine
größere Gemeinschaft, der ethnisch fundierten Nation, übertragen: „Man spricht
von den anderen Angehörigen der Nation als seinen Brüdern und Schwestern und
betont die Ähnlichkeit, die ja Ausdruck einer Verwandtschaft ist, in Kleidung,
Brauchtum, Sprache und durch Berufung auf die gemeinsame Geschichte und
Abstammung.“[8] Für
Eibl-Eibesfeldt bedeutet ein so verstandenes Nationalbewusstsein eine
„lebensstützende Identifikationsmöglichkeit“, die dazu führe, dass ihre
Mitglieder bevorzugt untereinander heiraten würden.[9]
Die Mitglieder der Nation hätten das Bedürfnis, das „kulturelle Erbe der
Gemeinschaft, in die sie hereingeboren werden, (…) weiterzugeben und zu
erhalten“.[10]
Eibl-Eibesfeldt
übersieht bei dieser Darstellung, dass der Begriff „Nation“ in der
wissenschaftlichen Forschung schon längst als Konstrukt gesehen wird. Ernest
Gellner kam zu dem Schluss: „Nationalismus ist keineswegs das Erwachen von
Nationen zu Selbstbewußtsein: man erfindet Nationen, wo es sie vorher nicht
gab.“[11]
Balibar und Wallerstein diagnostizierten: „Sicher ist indessen, dass es uns
beiden gleichermaßen wichtig erscheint, die Nation und das Volk als historische
Konstruktionen zu denken, dank derer die heutigen Institutionen und
Antagonismen in die Vergangenheit projiziert werden können, um den
‚Gemeinschaften‘ eine relative Stabilität zu verleihen, von denen das Gefühl
der individuellen ‚Identität‘ abhängt.“[12]
Benedict Anderson definiert „Nation“ als „eine vorgestellte politische
Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist die
deswegen, weil ihre Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen
niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im
Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“[13]
Für
Eibl-Eibesfeldt gehört die „Neigung zum Ethnozentrismus“ zu den
„allgemeinmenschlichen Eigenschaften“. Nationen würden immer als Solidargemeinschaften
auftreten, die zunächst einmal eigene Interessen vertreten würden, das zugleich
ihr „Überlebensinteresse“ sei. In sozialdarwinistischer Manier sieht
Eibl-Eibesfeldt einen Kampf der Völker und Nationen um „begrenzte
Lebensgrundlagen“ vor allem auf ökonomischer Ebene: „Völker und Nationen
konkurrieren um begrenzte Lebensgrundlagen, heute vor allem wirtschaftlich, und
sie sind gerüstet und durchaus auch bereit, zu den Waffen zu greifen, wenn
vitale Interessen gefährdet scheinen.“[14]
Die
Nationalstaaten Europas seien durch eine gemeinsame Kultur und Geschichte von
der Zeit der Jäger und Sammler bis in die Gegenwart miteinander verbunden. Das
friedliche Zusammenleben sei laut Eibl-Eibesfeldt nur dann gewährleistet, wenn
jede Nation sich in einem Gebiet kulturell frei entfalten kann und eine
Selbstverwaltung vorhanden sei. Auch innerhalb eines Staates könnten
verschiedene Völker, die „lang eingesessen und damit territorial verwurzelt
sind“, neben- und miteinander leben. Wenn dagegen durch Immigration neue Minoritäten
entstehen, würden die Einwanderer stets als Bedrohung wahrgenommen werden: „Die
Einwanderer werden dann als Landabnehmer wahrgenommen. Sie nehmen mit ihrer
Niederlassung auf Dauer die kostbarste Ressource, die einem Volk zur Verfügung
steht, in Anspruch, nämlich das Land. Sie werden daher als Eindringlinge
erlebt, und das löst geradezu automatisch territoriale Abwehrreaktionen aus
(…). Gestattet ein Volk anderen freie Immigration und den Aufbau von
Minoritäten, dann tritt es Land ab und lädt sich zwischenethnische Konkurrenz
im eigenen Lande auf.“[15]
Eibl-Eibesfeldt
unterscheidet dabei zwischen europäischer Binnenwanderung und „kulturferner“
Einwanderung. Damit sind Einwanderer gemeint, die nicht aus dem angeblich
kulturverwandten Europa kommen. Die europäische Binnenwanderung ist für
Eibl-Eibesfeldt „unproblematischer“, weil es sich „um kulturell nah Verwandte“
handelt.[16]
Europäer wären „biologisch-anthropologisch“ eine „recht einheitliche
Population“. Eine angeblich existierende „europäische Identität“ würde die
„jeweilige Integration von Europäern in eine andere europäische Nation“
erleichtern. Ein „verträgliches Miteinander“ der einheimischen Bevölkerung und
Migranten würde laut Eibl-Eibesfeldt nur im Falle einer „völligen Assimilation“
der Migranten funktionieren. Die „Gastarbeiter“, die ab 1955 aufgrund von
Anwerbeabkommen aus der Türkei, Griechenland, Spanien, Italien usw. in die
Bundesrepublik kamen, hätten sich nur zum Teil „assimiliert“; die Mehrheit
„grenzte sich jedoch auf ethnischer Basis in eigenen Solidargemeinschaften von
der übrigen Bevölkerung ab“.[17]
Die deutsche Staatsbürgerschaft und damit auch das Wahlrecht sollten für nicht
der Europäischen Union angehörenden Migranten nur bei „völliger Assimilation“
gewährt werden. Auf die sich daraus ergebenen Fragen, wie diese „Assimilation“
auszusehen hat, wann sie erreicht ist und welche Folgen sich für ihr Ignorieren
seitens der Migranten ergeben, geht Eibl-Eibesfeldt nicht ein.
Eibl-Eibesfeldt
duldet keine[18]
Abweichungen von der Fiktion eines homogenen Nationalstaates; kulturelle
Verschiedenheit und Vielfalt im Sinne einer interkulturellen Gesellschaft würde
zu „Polarisierungen“ führen, die „eine liberale Demokratie gefährden“. Er fragt
sich, ob sich „die Einwanderer von den Einstellungen der Wirtschafts- und
Arbeitskultur ihrer Herkunftsländer lösen und die der Deutschen übernehmen
würden“.[19] Hinter
dieser Denkhaltung steht der weit verbreitete Stereotyp der „faulen Südländer“
und der „fleißigen Deutschen“, die „ehrliche Arbeit“ hochschätzen.[20]
Eibl-Eibesfeldt macht dabei ihm typische künstliche Trennung zwischen
„Wir-Gruppe“ (Deutsche) und „Fremdgruppe“ (Einwanderer). Sowohl die
„Wir-Gruppe“ als auch die „Fremdgruppe“ werden dabei ohne Ansehen der
jeweiligen Individuen homogenisiert und ihnen unveränderliche Merkmale
zugeschrieben. Eibl-Eibesfeldt will den Zuzug von Menschen aus „kulturfernen
Regionen“ auf Einzelfälle beschränken. Damit meint er vor allem Menschen aus
Afrika, Asien oder Lateinamerika, die nicht dem als homogen gedachten
„europäischen Kulturbereich“ angehören.[21]
[1]
Vgl. dazu folgende Werke: Eibl-Eibesfeldt, I.: Grundriß der vergleichenden
Verhaltensforschung, München 1967; Eibl-Eibesfeldt, I.: Die Biologie des
menschlichen Verhaltens. Grundriß der Humanethologie, München 1984; Eibl-Eibesfeldt,
I.: Menschenforschung auf neuen Wegen. Die naturwissenschaftliche Betrachtung
menschlicher Verhaltensweisen, Wien 1976
[2]
Wilhelmi, C.: Anthropologische Konstanten?, Heidelberg 1998, S. 35
[3]
Sengoulo, A.: Rassismus in der Bundesrepublik, Würzburg 1996, S. 34f; Wiegmann,
K.-H.: Vordenker der Menschenfeindlichkeit, in: Einspruch, 2. Jg., Heft 2
(1997), S. 5-10, hier S. 7
[4]
Eibl-Eibesfeldt, I.: Zukunft multikulturelle Gesellschaft?, in: Eder,
R./Mölzer, A.: Einwanderungsland Europa?, Graz 1993, S. 129-142, hier S. 130
[5]
Eibl-Eibesfeldt, I.: Wider die Misstrauensgesellschaft. Streitschrift für eine
bessere Zukunft, 2. Auflage, München 1994, S. 108
[6]
Ebd., S. 112
[7]
Ebd., S. 32
[8]
Ebd., S. 107
[9]
Ebd., S. 39
[10]
Eibl-Eibesfeldt, Zukunft multikulturelle Gesellschaft?, in: Eder/Mölzer,
Einwanderungsland Europa?, a.a.O., S. 136
[11] Gellner, E.: Thought and Change, London 1964, S. 13
[12]
Balibar, E./Wallerstein, I.: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten,
Hamburg/Berlin 1990, S. 15
[13]
Anderson, B.: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen
Konzepts, 2. Auflage, Frankfurt/Main 2006, S. 15
[14]
Eibl-Eibesfeldt, Wider die Misstrauensgesellschaft, a.a.O., S. 126
[15]
Ebd., S. 136
[16]
Ebd., S. 138
[17]
Ebd., S. 117
[18]
Eibl-Eibesfeldt, Zukunft multikulturelle Gesellschaft?, in: Eder/Mölzer,
Einwanderungsland Europa, a.a.O., S. 138
[19]
Eibl-Eibesfeldt, Wider die Mißtrauensgesellschaft, a.a.O., S. 130
[20]
Wrobel, E.: Die neue Arbeitsgesellschaft, Berlin 1984, S. 103f
[21]
Eibl-Eibesfeldt, Wider die Misstrauensgesellschaft, a.a.O., S. 160
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AFKovacs 02.06.2014 13:23
Schon K. Lorenz musste sich derartige Vorwürfe gefallen lassen. Sie liegen ja auch nahe, wenn Forscher wie er und Eibl-Eibesfeldt sich zu politischen Themen unter Berufung auf ethologische Ergebnisse äußern. Aber der Begriff "Sozialdarwinismus" passt schon darum nicht, weil hier nicht der (ohnehin missverstandene) "Kampf ums Dasein" thematisiert wird, sondern das angeborene Gruppenverhalten nach innen und außen. Für Geisteswissenschaftler, insbes. Soziologen ist aber schon die Argumentation mit "angeborenen Eigenschaften" eine Zumutung, obwohl sie bestens belegt sind. Ähnliches gilt für die Ergebnisse der Hirnforschung. Immer (auch im obigen Artikel) wird die menschliche Unabhängigkeit und Willensfreiheit als bedroht empfunden. Natürlich sind Gesellschaftsingenieure verzweifelt, wenn Teile der condition humaine als unveränderlich beschrieben werden, wie z. B. "Vorurteile". Diese können aber kanalisiert werden, ohne an sich zu verschwinden. Diese Erkenntnis als "Steigbügelhalten" für die "extreme Rechte" zu beschreiben, war und ist falsch. Eher könnte sie helfen, z. B. vom globalisierten Kapitalismus zur Profitmaximierung billigend in Kauf genommene soziale Konflikte zu vermeiden.