Erschienen in Ausgabe: No 100 (06/2014) | Letzte Änderung: 01.06.14 |
von Nathan Warszawski
Byzanz, das spätere
Konstantinopel, war nach Rom die bedeutendste
Stadt des Imperium Romanum. Rom wurde von den Vandalen zerstört, die sich wie
solche aufführten. So wurde Byzanz in Ermangelung des Ersten Roms zum Zweiten
Rom. Als das Oströmische Reich 1453 unterging, schwang sich Russland zum
Beschützer der orthodoxen Christenheit auf und verstand sich fortan als
Nachfolger von Byzanz. So wurde Moskau das Dritte Rom.
Jahrhunderte
nach dem Untergang des Weströmischen Reiches bildete sich im Westen Europas ein
germanisches Reich, welches sich als christliches Land zum Nachfolger des
Imperium Romanum erhob. Es nannte sich „Sacrum Romanum Imperium Nationis
Germanicæ“ oder „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nationen“ und ging nach
1.000 Jahren 1815 zu Grunde. Die Römischen Verträge vom 25.3.1957 gelten als
der Beginn des dritten Weströmischen Reiches. Da jedoch Moskau sich schon seit
Jahrhunderten als das Dritte Rom versteht, begreift sich Brüssel als Hauptstadt
der Europäischen Union in der Sukzession des Imperium Romanum als das „Zweite
Byzanz“.
In
der Zählung sind „Rom“ und „Byzanz“ weniger geografische, als mythische
Gebilde. Das „Dritte“ Reich wird im Judentum und Christentum als das letzte
irdische Reich verstanden, bevor der gesalbte Messias, Gottes Sohn oder Gottvater
selber die Staatsgeschäfte endgültig übernimmt. So ist auch das
nationalsozialistische „Dritte“ Reich zu verstehen, welches nicht auf einem
„Zweiten“ Reich folgt, denn die Weimarer Republik ist im Verständnis der
Nationalsozialisten kein Reich,
sondern gilt als vernachlässigbare Zwischenzeit nach dem Kaiserreich („Erstes?“
Reich).
Theologisch,
d.h. politisch, ist es von Vorteil im „Ersten“, besser im „ Dritten“ Rom oder Byzanz zu leben.
Undankbar ist es, im „Zweiten“ Imperium auszuharren. Brüssel hat dieses
Schicksal ereilt. Brüssel spielt hervorragend die Rolle des Zweiten Byzanz.
Was
sind die wichtigen Unterschiede zwischen Rom und Byzanz? Beide sind nach
jeweils tausend Jahren untergegangen. Beide waren mächtig. Für die heutigen
Europäer sind die historischen Tatsachen weniger relevant als die heutigen
Vorstellungen über Byzanz und Rom. Rom gilt als zentralistisch, effektiv und
mächtig, Byzanz als korrupt. Obwohl tatsächlich Rom kaum weniger korrupt als
Byzanz und Byzanz sehr mächtig gewesen ist.
Byzanz
ging im Krieg gegen die Osmanen unter. Zuvor bat es das christliche Europa um
militärische Unterstützung, die ihm nicht gewährt wurde. Im korrupten Byzanz
verriet der Bruder den Bruder, der Sohn den Vater und der Freund den Freund um
des eigenen kleinen Vorteils wegen. Das Ende Ostroms war vorhersehbar.
Das
Zweite Byzanz verfügt über keine gemeinsame Armee. Im Kriegsfall, der nie
kommen möge, ist es auf Hilfe von Freunden, der NATO, i.e. von den USA
angewiesen. Wir wissen nicht, ob die USA Europa helfen wollen und können. Wir
wissen nur, dass wir auf diese Hilfe auf Gedeih und Verderb angewiesen sind.
Die europäische Geschichte mit zwei Weltkriegen zwingt uns zum friedlichen
Handeln. Europa und insbesondere Deutschland sind von Freunden umgeben, gegen
denen nie wieder ein Krieg stattfinden wird. Deshalb rüstet Europa seine Armeen
ab. A.D. 2014 stehen sich Rom 3.0 und Byzanz 2.0 feindselig gegenüber.
Historisch
belegt übernehmen Staaten die Währung des Siegers, der sie unterworfen hat.
Zuerst bildet sich der gemeinsame Staat, anschließend die gemeinsame Währung.
Die EU versucht es andersherum. Das bedeutet nicht, dass das Experiment
misslingen muss. Es bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass
das Experiment misslingen wird. Die Aufgabe der Währungshoheit und ihre
Übertragung an eine Zentrale entspricht der Aufgabe der staatlichen
Souveränität. Kleine Staaten können sich damit abfinden, wenn ihnen im Gegenzug
Reichtum, insbesondere für die führende Schichten, angeboten wird.
In
Europa gibt es drei Länder, die die Kriterien zur Aufnahme in die EU erfüllen
und die sich trotzdem weigern, der EU beizutreten: die Schweiz, Island und
Norwegen. Die Schweiz und Island sind gestandene souveräne Staaten, deren
Bevölkerung sich die Aufgabe der Selbstbestimmung, auch für viel Geld, nicht
vorstellen will. Norwegen hingegen ist durch Erdöl sehr reich. Es sieht nicht
ein, warum es seinen Reichtum mit den Europäern teilen soll.
Innerhalb
der EU gibt es einige Staaten, die nicht den € eingeführt haben, obwohl sie
hierzu qualifiziert sind: Großbritannien, Dänemark, Schweden, Polen und
Tschechien. Großbritannien sieht seinen wirtschaftlichen und politischen
Mittelpunkt außerhalb Europas. Dänemark und Schweden träumen von einem vergangenen
mächtigen Reich. Polen und Tschechien erinnern sich nur zu gut an Unterdrückung
durch fremde Staaten.
Diese
Tatsachen lassen darauf schließen, dass Großbritannien als erster Staat die
Europäische Union verlassen wird. Das britische Selbstverständnis ähnelt allzu
sehr dem der Schweiz und Islands. Anschließend werden sich die Mittelmeer-Anrainer
vom € und der EU lösen, da das Versprechen des Reichtums für alle nicht
eingelöst worden ist. Die Herrschenden, die vom Euro profitieren, werden sich
mit Händen und Füßen dagegen wehren, die €-Zone zu verlassen. Letztendlich
werden sie verlieren und das Volk gewinnen. Denn Deutschland mag wirtschaftlich
noch so mächtig sein, es kann nicht alle Not leidende Europäer alimentieren.
Interessant
ist das Verhalten der Türkei, welches sowohl in die EU, als auch in die €-Zone
drängt. Die EU unternimmt alles, um diese Vorhaben zu Fall zu bringen. Es
dominiert nicht die Angst, dass der EU-Beitritt der Türkei die Kultur oder die
bisherigen europäischen Werte verfälschen wird, sondern die Gewissheit, dass
der Beitritt der bevölkerungsreichen und armen Türkei zu einem finanziellen und
wirtschaftlichem Kollaps der EU führen wird.
Es
ist eine Binsenweisheit, dass alle Reiche ihrem Ende entgegen gehen. Uns
interessiert heute, wie und wann die EU aufhören wird zu existieren. Wir kennen
die Zukunft nicht. Wir können uns lediglich auf die Geschichte stützen und aus
dem Untergang des Ersten Byzanz lernen.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.