Erschienen in Ausgabe: No 100 (06/2014) | Letzte Änderung: 05.06.14 |
von Axel Reitel
Die
Überschrift steht im Roman „Strohblumenzeit“ und ja, dieser Romancier kann sich
sehen lassen, denn er beschreibt, und das in ganz hervorragender Form, eine
Wahrheit.
„Achtung!
Liebesverhältnis!“ Diesen Stasivermerk las der Rezensent in der Observierungsakte
seines Bruders. Die in der DDR verbliebene Verlobte des Bruders hielt auch nach
dessen Freikauf an der Beziehung fest. Es folgten der Antrag auf Eheschließung
mit anschließendem Wohnsitz in Berlin (West), Karlsbad-Treffen,
Schwangerschaft, dann ab dem dritten Monat Totenstille: die Verlobte wurde
bearbeitet: dann der tödliche Unfall des Bruders.
Ähnliches
geschieht in Dümmels zweitem Roman. Das Ostberliner Schreibtalent Arno K.,
Jahrgang 1950, rückt wegen seines „Liebesverhältnisses“ mit einer ihn in
Ostberlin besuchenden Studentin der Freien Universität in Westberlin ins Visier
des Ministeriums für Staatssicherheit, das drei Optionen erstellt: a)
Zerstörung der Liaison, b) Zerstörung weiterer Freundschaften, c) Verlust der
Lebensfreude. Drei Scheren am Lebensfaden eines Menschen, dargestellt in
rhythmisch wechselnden Kapiteln: „Gestern“, „Heute“, „Morgen“.
Zum
Heute gehört ein Arbeitsleben im Stahlwerk, die immer-müden, disparaten
Kollegen, „zerrissen wie das Land und seine Bewohner“. Der Staat verfügte
bereits eine Arbeitsplatzbindung im Werk als erste (noch) geringe Strafe,
sozusagen zum Nachdenken und Wiedereinlenken. Da ja jedes bereits mit einem
negativen Gerüchelchen ruchbare Denken über die DDR vom politischen
Geheimdienst der DDR als derart gefährlich eingestuft wurde, dass mit allen
Mitteln dagegen vorzugehen war, standen die Alarmsignale schon auf dunkelrot.
Mit allen Mitten sollte vor allen Dingen verhindert werden, dass irgendein
Skandal an die Öffentlichkeit kommt (während das Immunsystem offener
Gesellschaften geradezu Skandale benötigt).
Es
ist bekannt, dass, als die DDR ihr Ende ereilte, der Chef der Staatssicherheit,
Genral Erich Mielke, die Frage stellte, ob der 17. Juni ausgebrochen sei. Denn
jener Volksaufstand aus dem Jahr 1953 saß der DDR bis zum Schluss im Nacken:
die Antwort war die gnadenlose Diktatur geblieben. Der Roman „Strohblumenzeit“
leistet hier, wie auch schon Karsten Dümmes Debüt „Nachtstaub“, präzise
Feldforschung entlang der blutenden Grasnarben dieser keineswegs kommoden
Diktatur, wie unser verehrter Nobelpreisträger Günter Grass weiland im kommoden
Westen über einen Fernsehkanal gedachte bestimmen zu müssen.
Dass
der ProtagonistArno K. die Folgen der
Überwachungsmaßnahmen der Diktatur nicht überlebt, gehört sowohl zur konsequent
durchgeführten Romanhandlung als es auch zum Vorteil der Analyse im
einhergehenden Subtext gerät. Des weiteren rückt die bewusst an Kafkas Joseph
K. angelehnte Romanfigur, wie auch schon im Roman „Schnee“ von Omar Pamuk,
etwas entschieden Neues ins Bewusstsein, nämlich die äußerst variablen Mittel
dieses in unserer Welt sich immer aufs Neue abspielenden Prozesses der
Abspaltung scheinbar nicht konvergenter Lebensweisen: denn Arno K. stirbt eben
nicht hingerichtet „wie ein Hund“ (vergleiche das Endes Romans von Kafka),
sondern er verlischt, fast tonlos, wie das Rascheln eben von Strohblumen, die
also auch nicht von ungefähr den Titel des Romans abgeben.
Mit
Sicherheit sind die Strohblumen aber auch Synonym für Arno Ks Welt C [(c]. In
der verbergen sich von Karsten Dümmel hochpoetisch geschriebene Erinnerungen
einer Kindheit in Mecklenburg, voll geladen mit wunderbarer Geschichte und
wunderbaren Geschichten und dies vorgetragen mit einer derart faszinierenden
Sprachmagie, die bildlich zu den archaischen Lebensweisen zurückführt. Die vor
allem aber auch keiner mehr belangen kann. Das ist natürlich der Trick des
Zurückgehens. Der andere, nicht zu Frieden lassende, ist der des beständigen
knallharten Sprach-Wechsels in den Spliss des Stasi-Geheimdienstes. Es ist der
Spuk, aus dem die DDR bestand, die bekannterweise selbst im Orkus der
Weltgeschichte erlosch.
Jedoch
mit welchen perfiden Mitteln sich die zweite deutsche Diktatur diese ganzen
vierzig Jahre am Leben erhielt, wird schließlich zur Investigation von Arnos K.
„Verlobter“, die ihn in Ostberlin so oft es ging besucht hatte, bis sie eines
Tages, ohne Erklärung, den Boden der DDR nicht mehr betreten durfte.
Die
einstige Studentin Marie-Sophie ist Tochter eines französischen Diplomaten, der
im Endeffekt selbst bis auf das Letzte von Stasi-Überwachungen betroffen war.
Ihre Fahrt von Avignon zur Behörde der Unterlagen der Staatssicherheit der DDR
in Berlin bilden das „Morgen“ im Roman. Jene Zukunft, die bisher noch jeder
Diktatur bevorstand, in der es sie dann freilich nicht mehr gab.
Mit
den wechselnden Stimmen tagebuchartiger Ist-Zeit, unbeschwerter Kindheit,
erfolgreicher Schulzeit, geheimpolizeilicher Ausweitung der Folter und der nach
dem Horror bleibenden Entrüstung, gelingt Karsten Dümmel eine neue Sicht auf
die Schlacht diktatorisch-eiserner Definitionen gegen das hochpolitische weil
eigenermessene Private.
Karsten
Dümmel. Strohblumenzeit. Roman. 118 Seiten. Transit. Berlin.
Karsten
Dümmel, geboren 1960 in Zwickau, Ausbildung zum Elektromechaniker, Abitur,
später Studienverbot. Gründer mehrerer Friedens- und Menschenrechtsgruppen in
Gera, Zwangsarbeit als Fensterputzer und Gebäudereiniger, 1985 vorübergehende
Inhaftierung, Frühjahr 1988 von der Bundesrepublik freigekauft. Studium der
Germanistik und Rhetorik in Tübingen, Promotion. Nach mehreren
Forschungsprojekten Arbeit in der Entwicklungshilfe in West- und Ostafrika
sowie in Osteuropa. Im : TRANSIT Verlag erschien 2007 »Nachtstaub und
Klopfzeichen«.
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