Erschienen in Ausgabe: No 112 (06/2015) | Letzte Änderung: 09.06.15 |
von Heike Geilen
"Verwunderlich
ist, dass wir diese Bäume
ansehen und uns nicht mehr wundern." Der Philosoph und Schriftsteller
Ralph Waldo Emerson äußerste dieses Befremden über den Umgang oder die
Wahrnehmung dieser faszinierenden "Geschöpfe". Denn ohne sie gäbe es uns aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Ein
Baum von angemessener Größe
ist in der Lage, den Sauerstoff für
eine vierköpfige
Familie zu produzieren. Die Skala des Nutzens reicht neben der
Sauerstoffanreicherung und der Wärmeregulierung
allerdings noch um ein Vielfaches weiter bis hin zu unserer mentalen Abhängigkeit von ihnen. Bäume bereichern seit
ungefähr 370
Millionen Jahren unsere Erde und werden trotz aller Ausrottungsversuche durch
den Menschen auch dann noch hier sein, wenn wir längst vom Erdboden verschwunden sind.
"Wer
gelernt hat, Bäumen
zuzuhören, begehrt
nicht mehr, ein Baum zu sein. Er begehrt nichts zu sein, als was er ist. Das
ist Heimat. Das ist Glück."
Dies schrieb Hermann Hesse 1918 in einem Zeitungsartikel. Der äußerst naturnahe
Schriftsteller entwickelte Zeit seines Lebens zu Bäumen "eine geradezu wahlverwandte
Beziehung". So wie für
unsere Vorfahren waren auch für
ihn diese größten
und langlebigsten Pflanzen Heiligtümer,
"nicht nur ihres Nutzens und der Vielfalt ihrer Arten wegen, sondern als
Gleichnisse des Lebens, als Symbole für
die organische Organisation der Natur, die es zu beherzigen gilt, um auch künftig den
Herausforderungen gewachsen zu sein, vor die der zivilisatorische Fortschritt
die Vegetation unseres Planeten bei einer zunehmend wachsenden Erdbevölkerung stellt.",
wie der Herausgeber Volker Michels so treffend im Nachwort schreibt.
"Zu
jedem Bilde, das ein Ort uns hinterläßt,
gehören viele
Dinge, Wasser und Fels, Dächer
und Plätze, für mich aber am meisten
die Bäume. Sie
sind nicht nur an sich schön
und liebenswert und stellen dem Menschenwesen, das sich in den Bauten
ausspricht, die Unschuld der Natur entgegen; man kann außerdem auch viel aus ihnen ersehen, über Art und Alter des
Kulturbodens, über
Klima und Wetter, sowie über
den Sinn der Menschen." (aus: "Kastanienbäume", 1904)
Besonders
gern beschrieb Hesse in seinen frühen
Erzählungen
"den Zauber der Wälder
seiner Kindheit im Schwarzwald, das Spiel des Lichtes im Gewölbe der Wipfel, den
Knospenduft im Frühjahr
oder die Säulenhallen
der Tannen". Später
gesellten sich dann die üppigen
Edelkastanienhänge
seiner Tessiner Wahlheimat hinzu. Aber auch einzeln stehende Bäume wurden von dem
Individualisten verehrt, die er gern mit großen vereinsamten Menschen wie Beethoven und Nietzsche
vergleicht. All die literarischen Gefühlsregungen
dieses gemütvollen
Schreibers sind in dem wunderbaren, kleinen Büchlein lesend und betrachtend zu spüren. In 39 Textauszügen und Gedichten erhält man einen
wunderbaren Einblick in die Naturverbundenheit des großen "Schwelgers", egal ob er Kastanien,
Pfirsichbäume,
Kirschblütenzweige
oder indische Weide und Kamelie "besingt". Hinzu gesellen sich die
stimmungsvollen und kongenial ergänzenden
Fotografien von Dagmar Morath. Ihre Aufnahmen sind sozusagen das i-Tüpfelchen zum
geschriebenen Wort: hier ein lichtdurchfluteter Buchenwald oder das Spiel der
Sonnenstrahlen auf Kastanienblättern,
dort farbchangierendes Laub im Herbst oder Nebelschwaden im Tal hinter der
dunkel umrahmenden Waldgrenze.
Fazit:
"Nein, es war, wie jede Schauung, ein Sichtbarwerden des Großen und Ewigen, des
Zusammenfalls der Gegensätze,
ihres Zusammenschmelzens im Feuer der Wirklichkeit, es bedeutete nichts, mahnte
zu nichts, vielmehr es bedeutete alles, es bedeutete das Geheimnis des Seins
und es war schön,
war Glück, war
Sinn, war Geschenk und Fund für
den Schauenden, wie es ein Ohr voll Bach, ein Auge voll Cézanne ist." Diesen
Zeilen Hermann Hesses aus seinem "Aprilbrief" (1952) gibt es nichts
hinzuzufügen. Sie
beschreiben treffend auch dieses liebevoll gestaltete Buch. "Was bei ihm
dominiert, ist ein verstiegenes Gutmenschentum, das sich in gewundenen Sätzen ausdrückt. Wer Hesse liest,
zieht Filzpantoffel an.", ist in der Welt vom 08.08.12 anlässlich seines 50.
Todestages zu lesen. Diese antiquaren "Latschen" habe ich mir
allerdings sehr gern übergestreift.
Volker Michels (Hrsg.)
Hermann
Hesse
Bäume
Mit
Fotografien von Dagmar Morath
Insel-Bücherei (April 2014)
131
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3458193936
ISBN-13:
978-3458193937
Preis:
14,95 EUR
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