Erschienen in Ausgabe: No 100 (06/2014) | Letzte Änderung: 09.07.14 |
Ein ganz praktisch gelebter Atheismus ist heute die vorherrschende Doktrin in den westlichen Konsumgesellschaften. Er will Gott nicht abschaffen, sondern zerstäubt ihn wie ein Spray. Darauf antwortet der Papst mit einem Kerngedanken eines Philosophen, mit dem er befreundet war
von Guido Horst
Immer wieder klagt Papst Franziskus den hedonistischen Atheismus des
Westens an. Er nennt ihn das „einheitliche Denken“, die vorherrschende
Mentalität, die vor allem Europa und Amerika fest im Griff hält. Ebenso
häufig warnt er vor dem Teufel. Das fing schon bei seiner ersten Messe
als Papst am 14. März 2013 an, als er Léon Bloy zitierte: „Wer nicht zum
Herrn betet, betet zum Teufel“, um dann vor den Kardinälen, die ihn
einen Tag zuvor zum Nachfolger Petri gewählt hatten, zu bekräftigen:
„Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, bekennt man die Weltlichkeit des
Teufels, die Weltlichkeit des Bösen.“ Und besonders drastisch werden
seine Worte gegen diese Weltlichkeit, wenn er sich die „Wegwerfkultur“
vorknöpft, jene Wohlstandsgesellschaften, die alles wegwerfen, auch die
ungeborenen Kinder.
Am 10. und 11. April genügten Franziskus 36
Stunden, um alles – den Teufel, das weltliche Denken und die
Wegwerfkultur – zum soundsovielten Male auf den Punkt zu bringen:
Während der Frühmesse im vatikanischen Gästehaus Santa Martha erinnerte
er daran, dass das Gesetz des geistlichen Lebens, „unseres christlichen
Lebens, ein Kampf ist: ein Kampf. Denn der Fürst dieser Welt – der
Teufel – will unsere Heiligkeit nicht, er will nicht, dass wir Jesus
nachfolgen. Jemand von euch“, fuhr er in seiner Predigt fort, „mag
vielleicht sagen: ‚Aber Pater, wie altmodisch du doch bist: im 21.
Jahrhundert vom Teufel reden!’ Aber schaut zu: Den Teufel gibt es! Den
Teufel gibt es. Auch im 21. Jahrhundert! Und wir dürfen nicht naiv sein,
nicht wahr? Wir müssen aus dem Evangelium lernen, wie gegen ihn zu
kämpfen ist!“
Gerade mal 24 Stunden später wandte er sich, wiederum
in der Frühmesse, gegen die „Diktatur des einheitlichen Denkens“. Bei
der Predigt sprach er von einer wahren „Vergötzung des Einheitsdenkens“:
„Heute muss man so denken, und wenn du nicht so denkst, dann bist du
nicht ‚modern’, dann bis du nicht ‚offen’ oder schlimmer.“ Franziskus
verglich diese Diktatur mit den Menschen des Alten Testaments, die ihre
Propheten getötet hätten: „Steine nehmen, um die Freiheit der Völker zu
steinigen, die Freiheit der Menschen, die Freiheit des Gewissens, die
Beziehung der Menschen zu Gott.“ Diese Leute damals hätten ihre
Propheten getötet. „Und immer wenn sich in der Menschheitsgeschichte
dieses Phänomen des einheitlichen Denkens einstellt – wie viel Unglück
gibt es dann! Im vergangenen Jahrhundert haben wir alle die Diktaturen
des Einheitsdenkens gesehen, die damit endeten, viele Menschen zu
töten.“
Am gleichen Vormittag des 11. April empfing Franziskus wenige
Stunden später Vertreter eines katholischen internationalen
Kinderbüros, vor denen er das Recht der Kinder bekräftige, „in einer
Familie aufzuwachsen, mit einem Papa und einer Mama, die ein für die
Entwicklung und die affektive Reifung der Kinder günstiges Umfeld
schaffen, in der Auseinandersetzung mit der Männlichkeit und
Fraulichkeit eines Vaters und einer Mutter, um so ein reifes
Gefühlsleben zu entwickeln.“ Unter dem Vorwand, modern sein zu wollen“,
so der Papst weiter, „zwingt man stattdessen die Kinder und
Jugendlichen, auf dem diktatorischen Weg des einheitlichen Denkens
voranzuschreiten. Vor einer knappen Woche sagte mir ein bedeutender
Erzieher: ,Manchmal weiß man nicht, ob man die Kinder mit diesen
Projekten’ – er meinte konkrete Bildungsprojekte – ,in eine Schule oder
in ein Umerziehungslager schickt’.“ Baden-Württemberg mit seinem
Bildungsplan lässt grüßen!
Kaum hatten die Kinderschützer den Vatikan
verlassen, kam Franziskus noch mit Vertretern der italienischen
Bewegung für das Leben zusammen, wo er nochmals mit Blick auf die
Konsumgesellschaften des Westens sein „Diese Wirtschaft tötet“
wiederholte: „Wir wissen: das Leben ist heilig und unantastbar. Jedes
zivile Recht fußt auf der Anerkennung des ersten und fundamentalen
Rechts, des Rechts auf Leben, das keiner Bedingung unterworfen ist,
weder qualitativer, noch ökonomischer und erst recht nicht ideologischer
Art.“ Der Papst zitierte dann aus seinem Apostolischen Schreiben
„Evangelii gaudium“: „Ebenso wie das Gebot ,Du sollst nicht töten’ eine
deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern,
müssen wir heute ein ,Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der
Disparität der Einkommen’ sagen. Diese Wirtschaft tötet... Der Mensch
an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann
wegwerfen kann. Wir haben die ,Wegwerfkultur‘ eingeführt, die sogar
gefördert wird“ (53). Und so werde auch das Leben weggeworfen, fügte
Franziskus an.
Wie nimmt eigentlich die Öffentlichkeit diese Äußerungen von Papst
Franziskus wahr, die ziemlich diametral gegen den Zeitgeist stehen? Gar
nicht. Sie werden systematisch totgeschwiegen. Und was sagen die
einfachen Leute dazu? Ebenfalls nichts. Was niemand so richtig erfährt,
das kann man auch nicht kommentieren. Stattdessen zeichnen die Medien
immer noch das Bild vom Papst aus dem armen Lateinamerika, der eine arme
Kirche für die Armen will, der mit schlichten Gesten der Einfachheit
und seiner Nähe zum Volk die Herzen gewinnt sowie die strukturellen
Verkrustungen und finanziellen Verfilzungen in der römischen Kurie
aufbrechen will. Das ist nicht alles falsch – doch es erklärt nicht die
Grundlagen der Verkündigung von Franziskus. Die Verkürzung des
Jesuiten-Papstes auf einen Mann des Volkes, der statt einer mit Hermelin
gefütterten Samt-Mozetta und roten Slippern schwarze Schuhe und selber
seine Aktentasche trägt, führt vielmehr zu jenen Knoten in der
Wahrnehmung von Franziskus, die gerade in nicht romanischen Gefilden,
wie etwa nördlich der Alpen, zur Verunsicherung führen. Und was meint
der Papst mit dem „einheitlichen Denken“, das wie eine geistige Diktatur
über der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung hängt, und was mit
jener Weltlichkeit, die des Teufels ist?
Zum ersten Knoten, dem
„einheitlichen Denken“: Einer der Philosophen, die den Jesuiten und
Kardinal Jorge Mario Bergoglio sehr geprägt haben, und der wie viele
lateinamerikanische Denker dem geistigen Vormachtstreben der Vereinigten
Staaten etwas Eigenes gegenüberstellen wollte, ist der Uruguayianer
Alberto Methol Ferré, der in Montevideo als Denker, Lehrer für
Geschichte und Theologie sowie als Schriftsteller und Autor wirkte. Mit
ihm war Bergoglio befreundet, sie haben sich hin und wieder in Buenos
Aires getroffen, bis der Philosoph dann 2009 im Alter von achtzig Jahren
starb.
Ein Interview-Buch mit Methol Ferré aus dem Jahr 2007, für
das der italienische Journalist Alver Metalli verantwortlich zeichnet,
hat Kardinal Bergoglio damals selber vorgestellt und dabei einen
zentralen Punkt des Denkens seines Freundes hervorgehoben, den
praktischen Atheismus, der den Atheismus marxistischer Prägung mit
seinen messianischen, ideologischen Zügen abgelöst habe: „Der
hedonistische Atheismus mit seinen neo-gnostischen Zügen ist heute die
beherrschende Kultur mit einer globalen Vision und Verbreitung geworden.
Er macht den Geist der Zeit aus, in der wir heute leben, das neue Opium
für das Volk. Das ,einheitliche Denken’ hat, abgesehen davon, dass es
sozial und politisch totalitär ist, gnostische Strukturen. Es ist nicht
menschlich, es schlägt verschiedene Formen des absoluten Rationalismus
vor, mit denen sich der hedonistische Hedonismus ausdrückt, den Methol
Ferré beschrieben hat. Es dominiert ein zerstäubter Teismus, ein
diffuser Teismus, ohne historische Inkarnation. Im besten aller Fälle
die Schaffung eines freimaurerischen Ökumenismus.“
Wer sich an den
„Spray-Gott“ erinnert, von dem Franziskus bei einer Frühmesse gesprochen
hat, weiß nun genauer, was der Papst damit meint: Der praktische
Atheismus der heutigen Zeit macht keine Jagd auf Gott, er will nicht den
Tod Gottes verkünden und besiegeln – aber wehrt sich entschieden
dagegen, dass Gott für den einzelnen Menschen konkrete Gestalt annimmt,
so wie für die Christen Gott in Jesus Christus Fleisch geworden ist. Man
soll Gott einen müden, alten Mann bleiben lassen, der irgendwo über den
Wolken thront. Jeder kann sich seinen Gott basteln, so wie er will. Man
kann ihn in politischen Eidesformeln nennen oder einer gewissen
religiösen Folklore frönen. Nur eines darf Gott nicht: In irgendeiner
Form Einfluss auf das öffentliche oder gar politische Leben nehmen und
als Maß aller Dinge darüber bestimmen, was moralisch und ethisch gut und
vertretbar beziehungsweise was immer und überall schlecht und
abzulehnen ist. Der kulturell vorherrschende Teismus von heute, so
Methol Ferré und so auch Papst Franziskus, darf sich wie ein Zuckerguss
über die Geschicke der Menschheit legen, aber diese durchdringen und
bestimmen, das darf er nicht.
Für einen Lateinamerikaner wie Methol
Ferré oder Jorge Mario Bergoglio sind die Vereinigten Staaten die
Weltmacht Nummer eins, wenn es darum geht, das „einheitliche Denken“ zu
verbreiten, das heißt jenen diffusen Teismus, der keine Menschwerdung
Gottes kennt, mit jenem nicht ideologischen, aber doch praktisch
gelebten Atheismus zu verbinden, für den alle moralischen und ethischen
Normen gleich gültig und damit gleichgültig sind. Der über allen
christlichen Konfessionen seiner protestantischen Heimat, aber irgendwie
auch über den Religionen schwebende Barack Obama hat sich diese Form
der völligen Liberalisierung aller bisher geltenden Grundsätze in
besonderer Weise auf die Fahne geschrieben: Das gilt für sein Bemühen,
Gender mainstreaming und allen Kombinationen sexuellen Zusammenlebens
den Weg freizuschießen, wie auch für seine Gesundheitsreform, die als
Kollateralschaden zur Folge haben wird, dass es katholische
Krankenhäuser mit ihren ethischen Grundsätzen etwa zur so genannten
„reproduktiven Gesundheit“ in absehbarer Zeit in den Vereinigten Staaten
nicht mehr geben wird. War es Zufall oder nicht? Als der Präsident am
27. März dem Papst in Rom seine Aufwartung machte, freute sich Obama wie
ein Schneekönig und fand es „wonderfull“, Franziskus endlich begegnen
zu dürfen. Dieser jedoch blieb bei dem anschließenden Fototermin
auffallend kühl und zurückhaltend. Und wie dem vatikanischen Kommuniqué
nach der Begegnung zu entnehmen war, hat man im Vatikan hinter
verschlossenen Türen vor dem Präsidenten auch die Knackpunkte
angesprochen: etwa das Lebensrecht und die von der Kirche eingeforderte
Religionsfreiheit, die auch für katholisches Gesundheitspersonal zu
gelten hat, das sich nicht am ungeborenen Leben vergreifen will.
Doch
die Sache mit dem „einheitlichen Denken“ hat bei Methol Ferré und so
auch bei Franziskus ein „happy end“: In dem oben genannten
Interview-Buch meint der Philosoph aus Montevideo: „Der libertinäre
Atheismus ist keine Ideologie (wie der Marxismus), sondern eine Praxis.
Einer Praxis kann man sich aber nur mit einer besseren Praxis erwehren,
die um sich selber weiß, das heißt intellektuell begabt ist. Historisch
gesehen ist die Kirche das einzige Subjekt auf der zeitgenössischen
Bühne, das dem libertinären Atheismus entgegnen kann. Für mich ist nur
die Kirche post-modern.“ Denn der hedonistische Atheismus hat, so Methol
Ferré, einen winzigen Kern an Wahrheit: Er sucht das Schöne. Aber er
trennt das Schöne vom Wahren und somit von der Gerechtigkeit. Und nur
die Kirche hat darauf die richtige und in die Praxis umsetzbare Antwort.
Darum spricht Franziskus von der Freude des Evangeliums, von der
Schönheit des Glaubens, die den Bedürfnissen des menschlichen Herzens
entspricht. Der Papst lamentiert nicht. Er kapituliert nicht vor der
Globalisierung der Einförmigkeit. Er weiß stattdessen, dass die Kirche
mit der Frohen Botschaft einfach die besseren Karten hat.
(c)-Vermerk: VATICAN-Magazin
www.vatican-magazin.de
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FranzJosefNeffe 25.06.2014 14:33
Na klar: Pädagogik unterteilt sich auch exakt in Heilpädagogik und Unheilpädagogik. So sehe ich das als ich-kann-Schule-Lehrer. Aber man muss nicht UR teilen, man kann UR auch ganzlassen. Sobald wir uns auf das Niveau begeben, den Teufel - den Diabolus - den Gegenspieler zu beschwören, kommt Gott ohne ihn nicht mehr aus. Wir müssen aber gar nicht alles einheitlich MACHEN, wir können auch DAS EINE in allem entdecken. Ich grüße freundlich. Franz Josef Neffe