Erschienen in Ausgabe: No 101 (07/2014) | Letzte Änderung: 09.07.14 |
von Hans Gärtner
Genau
dort, wo eben die an Ludwig den Bayern erinnernde Bayerische Landesausstellung 2014
Besucher aus nah und fern anzieht, kam grad ein Buch heraus, das erneut den
Blick weit zurück in die Geschichte des Freistaats werfen lässt. „Bairisches
Poeticum“ nannten Herausgeber Peter Kaspar und Verleger Norbert Stellner das
gemeinsam ausgeheckte Werk. Sie setzen, nicht weniger als das Haus der
bayerischen Geschichte, auf ein vorwiegend historisch interessiertes Publikum. Stellner
aus Taufkirchen im Landkreis Mühldorf geht es in der von ihm ins Leben
gerufenen Edition Vulpes nicht zum ersten Mal darum, Leser für Geschichte zu
erwärmen. Speziell fürs „Gewordensein“ und „So-und-nicht-anders-sein“ der bairisch
verschrifteten Sprache – wozu sich der promovierte Verleger der
„nachwörtlichen“ Unterstützung des an der Regensburger Uni lehrenden
Bairisch-Deutsch-Professors Ludwig Zehetner sicher sein konnte.
Dass
der rührig publizierende Dialekt-Experte für die von ihm gelehrt „ausgeleitete“,
gut 100 Seiten starke, schlanke, im Druck nicht weniger nüchtern gehaltene wie
illustrativ schnickschnack-freie Sammlung von Mundart-Gedichten aus, sage und
schreibe, zwölf Jahrhunderten lobt, ist nur recht und billig. Hat der
Herausgeber, im Buch bekennender Weise Lehrer und mit einer 2013 gelieferten
Doktorarbeit über das Werk der Bayerwald-Dichterin Emerenz Meier kundige
Regensburger Germanist, doch der verschrifteten (und ganz und gar nicht leicht
optisch erfassbaren und dann wiederzugebenden) Dialektdichtung seiner eigenen
Heimat einen respektablen Dienst erwiesen. Geradezu gefeiert wird das oft
ausschließlich „heimattümelnd“ begriffene Genre der Dialekt-Lyrik in dieser
Anthologie. Die ganze „Bandbreite an Dialektvarianten“ – von Altbayern über
Österreich und Südtirol bis zurück in den Böhmerwald und ins Egerland – wird
von namhaften, bekannten und bis dato oft genug auch übersehenen Autorinnen und
Autoren aus Geschichte und Gegenwart abgedeckt.
Exakt
1200 Jahre ist es her, dass in Bayern erstmals, soweit nachweisbar, ein
dialektal-schriftliches „Gedicht“ entstand: der so genannte Wessobrunner Hymnus
aus dem Jahr 814. Ihn und so manche anderen bald köstlich-kurzen, bald
balladesk längeren bairischen Gedichte übertrug Peter Kaspar so trefflich und
so klug, so zungenschlaggenau und so verschmitzt, dass es eine wahre Freude
ist, sich die „hartleibigen“ mittelalterlichen Texte zu Gemüte zu führen. Das
reichlich bekannte Tegernseer Liebesgedicht (um 1200) etwa – „Du bist min, ich
bin din“ – überträgt und deutet Kaspar für unser heutiges Ohr so (Seite 18):
Du ghörst
mei, i ghör dei,
Des soist
oiwei wissn.
Tiaf in
mei Herz
hab i di
einigsperrt,
an
Schlüssl valorn:
Und iatz
muasst aa oiwei drinna sei.
Warum
nur beginnt Kaspar Zeile 2, obwohl nach einem Komma, mit großgeschriebenem
„Des“? Hat er den Unsinn der eines Druckfehlers wegen unkorrekten Stelle im
„Schnitterlied“ von 1637 (Seite 30/31: „Wan Sichel mit letzet / so wird ich
versetzet …“) nicht erkannt? Auch der Schluss-Absatz desZehetner-Artikels verunglückte
orthographisch. Doch sind dies Lappalien gegen die auf Seite 36 völlig
missratene Wiedergabe des humoresken Karl Stieler-Gedichts „Der oan
G`schwister“, das in dieser Version schlicht unverständlich ist. Eine Publikation,
so klein sie sein mag, braucht so viel Obhut wie nur möglich.
Gut,
dass sonst nur Gutes über dieses Buch zu sagen ist: verdienstvolle
Zusammenschau, eigenwillige anregende Bairisch-Verdeut/lich/schungen uralter,
schwer verständlicher Texte, Einbezug des gesamten, wenn auch naturgemäß quantitativ
unausgewogenen ostoberdeutschen Sprachraums. Wie stets bei derartigen
Chrestomathien: die Auswahl selbst bleibt angreifbar. Warum, ist etwa zu
fragen, nahm Olga Hartmetz-Sagers „Am Ufer“ (Seite 94)manch gewiss willkommenerem
Text den Platz weg, wenn sich da zwei dicke Grammatik-Verstöße (schon im
Original) eingenistet haben: die Zeit (weiblich) kann doch nicht im Ernst
„seine“ Stunden mit mir teilen, und die „Sunn“ kann, wenn überhaupt, nicht
einen Gutteil „seiner“ Zeit – auch die Sonne ist weiblich – an die Nacht
verschenken. Kopfschütteln. Wo doch sonst durchwegs nur Kopfnicken angesagt
war. Da man gern auch über eine Liste mit kurzen Hinweisen zu den
Text-„Spendern“ froh gewesen wäre. Sie reichen von Anonym aus geradezu
vorliterarischer Zeit bis zu Thaddäus Sturm. Von ihm erfährt man, dass er dem
Jahrgang 1981 angehört, mehr nicht. Er ist der Benjamin der Textlieferanten: „Oamoi“, so überschreibt er seine Verse,
„wead er …Umigäh
/ Mit da Sunn iwan Woid. / So schee schdaad … / schee schdaad … / so - - -. Dieses
Gedicht allein lohnt das Buch.
„Bairisches Poeticum“.
Mundartgedichte aus 12 Jahrhunderten. Nachwort von Ludwig Zehetner“,
herausgegeben von Peter Kaspar in der Edition Vulpes, Regensburg 2014, 104
Seiten, 16 Euro
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.
Mattl 27.06.2014 23:11
Herr Gärtner, bei der Beurteilung des Gedichtes von Olga Hartmetz-Sager irren Sie! Im Bairischen, wenigstens wie es in der Mühldorfer Gegend gesprochen wird, gibt es "sein" durchaus auch im Zusammenhang mit weiblichen Begriffen. Es gibt die Unterscheidung "eam sei Haus" statt "sein Haus" und "ihra sei Haus" statt "ihr Haus" im Hochdeutschen. "Sei" ist hier vom Geschlecht unabhängig, Kopfschütteln ist unnötig!