Erschienen in Ausgabe: No 102 (08/2014) | Letzte Änderung: 06.08.14 |
von Hans Gärtner
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farbenprächtig von Jakob Kirchmayr neu eingepinselte Sagen – „reloaded“ – mit
einer „Zugabe“, die Original-Sage von der „Nase von Lichtenegg“, alles
geschrieben und ausgesucht von Folke Tegetthoff. Ein veritabler Verschenk-Band
wie seine Vorgänger, die Sagen aus Kärnten, Tirol, Wien,Salzburg, Vorarlberg, Oberösterreich und die
Donau entlang versammeln.
Ein
schöner Platz war`s, den die Mostviertler da für ihre Valentinskirche
ausgewählt hatten, auf dem Hügel bei Altenhofen, gerade dort, wo der Hallerhof
jetzt steht. Aber irgendwas muss da schief gelaufen sein, sonst gäbe es ja
heute nicht ein Ortsanfangs- und ein Ortsendeschild, auf dem groß „St.
Valentin“ zu lesen ist, und die Hallerhofer würden nicht drauf hinunterschauen
können …
So
fängt der Erzähler fast immer irgendwie an, wenn es um eine seiner für diesen
Band ausgesuchten Sagen aus Niederösterreich geht. Jede Sage ist, wie man weiß,
örtlich fest verankert. Wenn auch das Geschehen nicht verbürgt, sondern schön erfunden
ist und über Jahre hinweg mündlich so oder ein bisserl anders weitergegeben
wurde, so ist der heimatliche Boden jeder „Geschichte“ doch echt.
Gehen wir
also zurück, nicht nur mit Schritten, sondern auch im Kopf, ein paar
lächerliche hundert Jahre, und schauen den Männern und Frauen droben auf dem
Hügel zu, wie sie zu bauen beginnen. Und blöd schauen, wenn am nächsten Tag
alle Geräte, Schaufeln, Krampen, Kraxen verschwunden sind und alles
Aufgegrabene wieder zugeschüttet und alles Aufgebaute wieder verschwunden ist.
Ins
Mostviertel führt diese Sage, in einen naturbedingt bezeichneten Landschaftsteil.
Dorthin, wo die Leute schwer arbeiten auf den Feldern, in den Obstgärten und
Fruchtanbaugebieten, von wo die einheimischen, aber auch die (Super-)Märkte und
Läden der weiteren Umgebung beliefert werden. Lächerlich sei die Zeit, die wir,
nach hinten zu, überbrücken sollen, um sich weiter erzählen zu lassen:
Bald
darauf wird alles Gerät unten in der Ebene beim Erlabach gefunden und jetzt ist
den Kirchen-Bauern klar, dass es wohl die Ungläubigen … gewesen sein müssen,
die sich einen Scherz machten oder gar verhindern wollten, was nicht zu
verhindern ist.
Gut
und Böse wird in der Sage oft gegeneinander gesetzt, gar ausgespielt. Spannung bringt ins Geschehen, wer nicht zu
den Üblichen gehört, die Außenseiter, die leicht zu Ausgestoßenen werden
können.
…
Als
sie am nächsten Morgen zur Baustelle kommen, das gleiche Bild: Werkzeug weg,
die getane Arbeit wie ausradiert. „Das gibt’s doch nicht“, rufen die frommen
Männer und Frauen, schicken einen von den Ihren hinunter zu der Stelle, wo das
Werkzeug gestern gelegen war, und wirklich, da liegt es, zwischen einer
frischen Baugrube und einem Stückchen Mauer!
Also
ist wahr, was sich da – wundersamer Weise – ereignete. Das Unerklärbare spielt
in der Sage eine größere Rolle noch als im Märchen, wo oft alles mitsammen
unerklärlich ist, märchenhaft halt, über- und unwirklich, nicht von dieser,
aber in dieser Welt.
Und da man
nun nicht mehr annehmen kann, dass die Handvoll Ungläubigen sich zweimal
hintereinander so viel „Scherz“ antun würde, spricht man schon vom Teufel, der
nicht will, dass dem heiligen Valentin ein Kirchlein gebaut werde.
Was
also ist zu tun, um aus der misslichen Lage herauszukommen? Wer die Sage
erzählen hört, wird sich seins denken. Wer sie liest, weiß vielleicht schon,
wie das Ganze ausgeht oder liest schnell nach vorne, um es so rasch wie möglich
zu erfahren.
Also
werden das Werkzeug und das Erdloch und das Mauerwerk nun jeden Tag vom Pfarrer
gesegnet und mit Weihwasser bespritzt, werden Wachen aufgestellt – aber es
hilft nichts. Jede Nacht – völlig unerklärlich – dasselbe Spielchen: hier
verschwunden – dort aufgetaucht!
Noch
immer ist die Lösung nicht ausgesprochen. Der Teufel soll die „Sage vom Sankt
Valentiner Kirchenbau“ holen! Der ist natürlich im Spiel. Damit es gruselig
zugeht und die bösen Mächte königlich vertreten sind. Fast jede Sage hat etwas
Unheimliches, etwas, wovor man sich fürchten mag oder gar Angst kriegt und sich
duckt – worunter? Unter Gottes weiten, schützenden Mantel …
Bis man
endlich kapiert, dass es weder die Ungläubigen noch der Leibhaftige, sondern
Gott selbst ist, der ihnen ein Zeichen geben und anzeigen will, wo dereinst ein
Ortsanfangs- und ein Ortsende-Schild zu stehen habe. Und weil es ein gar so
herrliches, göttliches Zeichen gewesen ist, geben sich die frommen Mostviertler
nun nicht mehr nur mit einem Kapellchen zufrieden, sondern …
Wer
kann die Sage zu Ende erzählen? Wer in St. Valentin im Mostviertel sich
auskennt, weiß es: Sie bauten gleich das großartige Gotteshaus, in
dem noch heute die Menschen vor Ehrfurcht und Andacht verstummen.
Dies
ist nur eine von vier mal zehn Sagen, hübsch ausgewogen für jedes der vier
allseits bekannten niederösterreichischen „Viertel“ (samt einer angehängten
„Bonus-Geschichte“), in die zu fahren vielleicht mancher Leser samt Kind und
Kegel noch diesen Sommer gedenkt. Das Buch wär ein sinnvoller Begleiter im
Gepäck für diese Reise.
Folke Tegetthoff mit
Jakob Kirchmayr: „Sagen aus Niederösterreich“, 190 Seiten, 19,95 Euro, Tyrolia
Verlag, Innsbruck 2014
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