Erschienen in Ausgabe: No 103 (09/2014) | Letzte Änderung: 04.09.14 |
von Anna Zanco-Prestel
(c) Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
Wie alljährlich zwischen Ende Juli und Ende August wird der Bayreuther
Festspielhügel zum mondänen Treffpunkt der deutschen Gesellschaft sowie der
zahlreichen um den Erdball verstreuten Wagnerianer, die dem Komponisten immer
noch die Treue halten.
Dass etwas weniger Prominenz als üblich zur
Premiere am 25. Juli erschienen ist, hat mit Sicherheit nichts mit den auf dem
Programm stehenden Opern zu tun. Im Jahr nach einer neuen Auflage des Rings
finden traditionsgemäß keine Neuinszenierungen statt und die Wiederaufnahmen
der bereits vorgestellten Opern bieten genug Möglichkeiten für eine exklusive
Unterhaltung.
Gründe für ein Nachlassen des Interesses, das sich auch
in einem – wie sonst immer – nicht restlos ausverkauften Theater niederschlägt,
sind eher in einem gewissen Unbehagen gegenüber mancher interpretatorischen
Exzessen bei den jüngsten Inszenierungen zu suchen, allen voran in Baumgartens
umstrittenen Tannhäuser, mit dem die diesjährigen Festspiele eröffnet
werden.
Offenkundige Missgunst aus den Publikumsreihen hat aber
in Bayreuth auch Tradition und dies bereits seit den von Wagner selbst
organisierten Festspielen im fernen 1876.
Gespannt wartet man nun auf den von Katharina Wagner
geplanten neuen Tristan im kommenden Jahr und noch mehr auf die für 2016
angesagte Parsifal-Inszenierung des Künstlers Jonathan Meese, der mit seinen
Provokationen schon im Vorfeld für Aufsehen sorgte.
Neugierig ist man schließlich auch auf die Übernahme der Meistersinger
durch den Intendanten der Berliner Komischen Oper Barrie Kosky, die kurz
vor Beginn der Festspiele zur Überraschung vieler bekanntgegeben wurde.
Zu den musikalischen Höhepunkten dieser Festspieledition,
die sich im Zeichen umfangreicher Umbauarbeiten am Theatergebäude abspielt,
zählen zweifelsohne die Wiederaufnahmen vom Fliegenden Holländer und vom Lohengrin.
Beide Werke gehören zu Wagners „romantischen“ Opern,
komponiert in Zeiten großer politischer und sozialer Umwälzungen, die jenen
ähneln, die wir heute selbst durchleben. Dominierend ist bei beiden das Thema
der Liebe in unterschiedlichen Facetten und Akzentuierungen.
Wie im wagnerschen Schaffen überhaupt geht es hier auch
um die Suche nach Erlösung, nach Erlösung durch die Liebe einer Frau. Der
Holländer und Senta, die weibliche Hauptfigur, sind zwei Außenseiter auf der
Suche nach „Ruhe aus den Stürmen des Lebens“. Sentas Treue bis in den Tod soll
zum Gegenmittel für seine eigene Zerrissenheit in Momenten voller Nöten und Sorgen
werden, die Wagners Biographie als glückloser Künstler in Paris widerspiegeln.
Der zum ewigen Herumirren auf den Weltmeeren verdammte
Holländer, weil er sich weigerte, die Gesetze der Natur zu befolgen, braucht in
der nach Realismus trachtenden Inszenierung von Jan Philipp Gogler kein
gespenstiges Boot. Unberechenbar und heimtückisch rückt das Meer in den
Vordergrund, das sich in der Installation von Christof Hetzer wie ein komplexes
Datennetz zeigt.
Und der Wind, dem zu trauen gleicht, auf „Satans
Erbarmen“ zu „bauen“, wird versinnbildlicht durch kleine weiße Ventilatoren,
die Frauen in hellblauen Kostümen vor sich schwenken und in einer modernen
Industriewerkstatt in Kartons verpacken. Die Lagerhalle ist das Reich von
Sentas Vaters Dalad, eines vom Profitdenken korrumpierten Industriellen, und
das - wenig romantische - Liebesnest auf Pappschachteln des Liebespaares
zugleich. Assoziationen zur gegenwärtigen, scheinbar nicht steuerbarenglobalen
Finanzkrise machen sich auf Anhieb erkennbar in dieser düsteren Geschichte, die
von Heines Romanfragment „Memoiren des Herren von Schnabelewoski“ inspiriert
wurde. Zum Kunstwerk erhoben wird die Aufführung erst durch die
virtuos-leidenschaftliche Führung von Christian Thielemann, der goldene Klänge
aus dem „mystischen Abgrund“ meisterhaft filtrieren lässt und das Publikum zum
Jubeln bringt. Zum Erfolg des Musikdramas tragen schon ab Beginn der Ouvertüre
der mächtige Festspielchor unter Eberhard Friedrich und das Ensemble, aus dem
Benjamin Bruns als Steuermann, Samuel Youn als der Holländer,
Ricarda Merbeth als Senta und vor allem Kwanchul Youn als Daland
herausragen, der – nach seinem Debüt 1996 – zum sechzehnten Mal in Bayreuth
mitwirkt.
Nach der düstereren Höllengestalt des Holländers
präsentiert sich Lohengrin als strahlende Figur. Seine Suche nach
Erlösung durch die Liebe ist nicht nur metaphysischer Art sondern ganz konkret.
In der Schwebe zwischen heidnischer und christlicher Welt vollzieht sie sich
dies in einem Streben nach Freiheitserlangung, einem Privileg, das nur dem
Menschen gegönnt ist, denn allein der Mensch kann frei sein. In der
Inszenierung vom erfahrenen Opernregisseur Hans Neuenfels, die zum vierten Mal
in Bayreuth zu sehen ist, wird Lohengrins sagenumwobene Geschichte in ein Labor
transponiert, in dem Tierversuche gemacht werden. Von jedem Heldentum befreit,
schreitet der Titeldarsteller ohne Ritterausrüstung und ohne Schwan voran, und
scheint nur seine Liebessehnsucht erfüllen zu wollen. Feinfühlig interpretiert
wird er von einem Klaus Maria Vogt, der fast ätherisch, wie ein Wesen aus einem
anderen Planeten wirkt. In einem herrlichen weißen Kleid aus Schwanenfedern
tritt neben ihm eine selbstbewusste Elsa auf, dargestellt durch Edith Haller
als optimaler und sehr geschätzter Ersatz für die aus Mutterschutzgründen
ausgefallene Rolleninhaberin Annette Dasch. In Andris Nelsons findet Vogts
lyrische Interpretation den kongenialen musikalischen Leiter, der die
Klangfarbe seiner engelhaften Stimme voll zur Geltung kommen lässt.
Dem gegenüber steht kontrastreich und theatralisch
äußerst wirkungsvoll das Spektakel, das durch die Auftritte des – wie beim
Holländer – von Eberhard Friedrich geleiteten Festspielchors geboten wird. Surreal
und gleichzeitig sehr ästhetisch präsentiert sich das Volk von Brabant
als der andere Protagonist der Oper. Ratten in menschlicher Größe mit Kunststoffkrallen
und langen hängenden Schwänzen bringen nicht nur eine humorvolle Note in das
Ganze hinein. In witzigen, von Reinhard von den Thannen entworfenen mal
schwarzen, mal weißen oder sogar rosafarbenen Neopren-Kostümen sind sie die
Überbringer der Botschaft, die Regisseur Neuenfels ihnen anvertraut hat. Ihre
durch Laborversuche schrittweise erzielte Menschwerdung ist auch eine Form von
Erlösung aus einer Existenz, die sich als bloßes Da-Sein vollzieht. Indem sie
die äußere Hülle fallen lassen, zeigen sie, dass sie nicht mehr als Ratten
leben wollen. Ihr Experiment ist aber dazu verurteilt zu scheitern, weil es
„keine Flucht aus dieser Welt“ gibt. Es ist das gleiche Scheitern, das
Lohengrin widerfährt, als er glaubt, die Befreiung aus seiner existentiellen
Einsamkeit in Elsas bedingungsloser Hingabe zu finden, und von ihrer Frage nach
seinem Geheimnis enttäuscht wird. Großzügig und lang anhaltend der Applaus, mit
dem das Publikum sich für die Meisterleistung von Orchester und Ensemble
revanchiert. So wie Baumgartens Tannhäuser von 2011, Glogers Holländer von 2012 und Frank Castorf Ring
im vergangenen Jahr wurde auch Neuenfels Lohengrin bei der Premiere
mit heftigen Buh-Rufen empfangen. Inzwischen gehört Wagners populärste Oper in
der Neuenfelser Deutung zu den ausgesprochenen Publikumslieblingen. „Kein
Wunder – kommentiert Dr. Sven Friedrich, Direktor des Wagner Museums, bei
seinem „inszenierungsbezogenen Einführungsvortrag“ am Vormittag vor der
Vorstellung. „In Bayreuth wird der Skandal von heute zum Kult von morgen“.
Etwa reduziert erscheint - nach den umfangreichen
Aktivitäten im Wagner- Jubiläumsjahr 2013 - das rund um Bayreuth gebotene
Rahmenprogramm.
Noch zu sehen am Grünen Hügel, wo sie unbedingt bleiben
sollte, ist die Freiluftausstellung der Axel-Springer-Stiftung über die
jüdischen Musiker, die in Bayreuth mitwirkten, während deren Fortsetzung Die
Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945vom 13. August bis zum
16. Oktober August ins Alte Schloss in der
Stadtmitte wieder einzieht. Zum Höhepunkt der Festspiele (26.07 bis 10.8.)
zeigte Klaus Billand aus Wien in den gleichen Räumen eine eindrucksvolle Schau
mit Plakaten zu Wagners Neuinszenierungen in Europa, Amerika und Asien mit dem
klangvollen Titel (...und Tristan-Zitat)„Wie, hör ich das Licht? “Eine
weitere Ausstellung über den vergessenen Zweig der Wagner-Familie in der
Schweiz kann bis zum 10. September in der Stadtbibliothek besucht werden. Ein
ganz besonderes Highlight bietet schließlich in der zauberhaften Atmosphäre der
Klaviermanufaktur und Kulturzentrum im historischen Steingräber-Haus eine vom
Leipziger Grassi Museum übernommene Ausstellung über Wagners vergessenes
Instrumentarium. Die Schau dokumentiert seinen phantasievollen Umgang mit den
Instrumenten seiner Zeit, seine Aufgeschlossenheit für Neuerungen und
gleichzeitig für längst vergessene Instrumente, die er teilweise als Attrappen auf der Bühne stellen ließ, sowie seine
Vorliebe für Sonderanfertigungen von so genannten „Effektivinstrumenten“ wie
„Trommel-Donnermaschinen“, „gestimmte Ambosse“ oder „Hängebecken“.
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