Erschienen in Ausgabe: No 103 (09/2014) | Letzte Änderung: 03.09.14 |
Der französische Philosoph und Begründer der Diskursanalyse Michel Foucault (1926 – 1984) verdeutlicht, auf welche Weise und in welchem Ausmaß, durch Diskurse zustande gekommenes und weitergetragenes objektiv geglaubtes Wissen vermag Macht auszuüben und Menschen dadurch zu konstituieren. Das Essay erhebt nicht den Anspruch kulturell tradierte Wissensbestände als, um die Absolutheit dessen auszudrücken, ,,falsch“ zu bezeichnen. Vielmehr ist es das Anliegen vorliegenden Essays, zu veranschaulichen, dass – nach kritischer Auseinandersetzung mit Foucaults Diskursproblematik – ,,objektives“ Wissen nicht notwendigerweise wahr sein muss, sondern auf Kontingenz basiert. Auch wenn in die Problematik der verfälschten Tradierung kulturellen Wissens durch aus ebenfalls der sozialkonstruktivistische Aspekt Berger und Luckmanns und auch die Durkheimsche Thematik ,,sozialer Tatsachen“ eine bedeutende Rolle spielen, bezieht sich vorliegender Text ausschließlich auf die Foucaultsche Diskursanalyse bzw. -problematik. Durch die hier vorgenommene knappe und konzentriert dar-gestellte Analyse des Zustandekommens von Diskursen und deren Funktionsweise, kommt genau das zustande, was Foucault kritisiert. Vorliegendes Essay verknappt Foucaults Diskurs, bündelt Elementares und lässt Unwichtiges seiner Theorie wegfallen. Somit kommt zwangsläufig exakt das Zustande, was innerhalb des Essays kritisiert wird – das hier postulierte ,,Wissen“ basiert bewusst auf Verknappung und Auslassung der Foucaultschen Ausführungen und kann aufgrund dessen schon keinerlei Vollständigkeit mehr beanspruchen; dies gilt es an dieser Stelle mitzubedenken.
von Susanne Weiß
Die Entstehung, Ordnung und Kontrolle
von Diskursen
Der
Poststrukturalist Michel Foucault veranschaulicht in seinem Text ,,Die Ordnung
des Diskurses“[1], nach welchen
Ordnungsmustern Diskurse entstehen, welche Struktur sie aufweisen und anhand
welcher Verknappungs- und Kontrollprozeduren sich ihre Aufrechterhaltung und
Weitertragung vollzieht. Wenn im Folgenden die wichtigsten Prozeduren des
Zustandekommens von Diskursen knapp und konzentriert dargestellt werden, kommt
damit genau das zustande, was Foucault kritisiert. Das von mir verfasste Essay verknappt
Foucaults Diskurs, bündelt Elementares seiner Darstellung und lässt Unwichtiges
wegfallen. Anfänglich erfolgt eine Gliederung der ,,Ordnung der Diskurse“, die
sich im Groben in Systeme der äusseren und inneren Diskurskontrolleund zu-dem in Verknappung und
Zulassungsbeschränkung von Diskursberechtigten differenzieren. Unter einem
Diskurs verstehtFoucault:
,,jede Gruppe von Aussagen, die in einer Beziehung
stehen, die durch bestimmte Formationsregeln analysiert werden kann. Aussagen
sind dabei nicht als Akte der Äußerung oder logische Gehalte zu verstehen, sondern
als das Gesagte in seiner reinen Materialität (bzw. Positivität), eben als
Gesagtes. Die Konzeption der Aussage als diskursives
Ereignis schaltet Verzerrungen der Analyse durch die eigene Episteme, d.h.
epochenspezifische Wissensordnung, dadurch aus, dass Aussagen nicht auf einen
inhärenten Sinn befragt werden, sondern allein aus ihren Beziehungen
untereinander untersucht werden. Die Beziehungen, die Aussagen zu diskursiven
Formationen verbinden, werden in Bezug auf die Gegenstände,
Äußerungsmodalitäten, Begriffe und Strategien von Diskursen analysiert, denn
Diskurse bringen hervor, worüber gesprochen wird, welche Auffassungen geäußert
werden, mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg das geschieht“ (Rosa. 2007:
283. Hervorheb. i. O.).
Diskurse
sind laut Foucault durch drei grosse äussere Kontrollsysteme (Ausschließungs-systeme)
gekennzeichnet: Durch das Verbot, durch den Ausschluss des Wahnsinnigen und
durch den Willen zur Wahrheit (vgl. Foucault. 2007: 11f.). Das sichtbarste Aus-schließungssystem
des Verbots beinhaltet das Tabu des Gegenstands, das Ritual der Umstände und
den Ausschluss des sprechenden Subjektes. Diese drei Dimensionen des Verbots
beeinflussen sich gegenseitig und entfalten ihre Kräfte insbesondere in den
Bereichen der Sexualität und der Politik. Das zweite äußere
Diskurskontrollsystem, das der Grenzziehung zwischen Vernunft und Wahnsinn, hat
sich im historischen Kontext gewandelt. Einstige Grenzziehungsprozesse früherer
Jahrhunderte, wie der Ausschluss von Wahnsinnigen, sind heute keineswegs
verschwunden. Diese verlaufen gegenwärtig lediglich nach anderen Linien, durch
andere Institutionen und auch die Reichweite der Wirkungen hat sich verändert (vgl.
ebd.: 12f.). Dem Willen zur Wahrheit unterliegt das dritte, sich geschichtlich
herausgebildete Diskurskontrollsystem, bei dem die Grenze zwischen Wahrem und
Falschem gezogen wird (vgl. ebd.: 14). Während bei den Dichtern des 6.Jhds. derjenige
Diskurs als der Wahre angesehen wurde, der von den jeweils befugten Personen
verbreitet worden ist, hat sich bereits ein Jahrhundert später die Ansicht
dahingehend verschoben, dass das als wahr galt, was der Diskurs gesagt hat. Der
wertneutrale Wille zum Wissen hat sich im 19. Jhd. zu einem Willen zur Wahrheit
verlagert und beruht, wie sämtliche anderen Ausschließungssysteme auch, auf
einem institutionellen Ursprung (vgl. ebd.: 15).
Das
zweite System des Diskurses, die innere Diskurskontrolle, verläuft über die
Dimensionen des Kommentars, der Autorenschaft und der Disziplinen.
,,Interne Prozeduren, mit denen die Diskurse ihre
eigene Kontrolle selbst ausüben; Prozeduren, die als Klassifikations-,
Anordnungs-, Verteilungsprinzipien wirken“ (ebd.: 17).
Als
besonders bedeutend ist der Kommentar hervorzuheben, da dieser sogar im Stande
ist, den Primärtext völlig zu verdrängen. Dem Kommentar, welcher Einzug in
literarische, religiöse und auch wissenschaftliche Bereiche genommen hat, kommt
die Aufgabe zu, das Verschwiegene im bereits Gesagten auszudrücken – dadurch
eliminiert er den Zufall des Diskurses (vgl. ebd.: 22). Der Autor als
Ordnungsprinzip führt ebenfalls zur Konstellation von Diskursen und deren Verknappung
(vgl. ebd.: 20). Als dritten und letzten Aspekt innerer Diskurskontrolle nennt
Foucault die Disziplinen. Dieser Bereich kann durch Gegenstände, einem Bündel
von Methoden, einem Zusammenspiel von als wahr angesehener Sätze, durch Regeln
und Definitionen und letztlich durch Techniken und Instrumente charakterisiert werden.
,,Die Disziplin ist ein Kontrollprinzip der Produktion
des Diskurses. Sie setzt ihre Grenzen durch das Spiel einer Identität, welche die Form einer permanenten Reaktualisierung der Regeln
hat“ (ebd.: 25. Hervorh. i. O.).
Das
dritte System des Diskurses, die Verknappung und Zulassungsbeschränkung von
Diskursberechtigten, wird durch den Abschirmmechanismus von Ritualen – im
Bereich der Religion, der Gesetze oder der Politik vorherrschend –
gewährleistet. Des Weiteren besitzen Diskursgesellschaften, welchen die Aufgabe
zukommt Diskurse aufzubewahren und hervorzubringen, das Merkmal der Verknappung.
Ausserdem spielen Doktrine, als Zeichen einer Klassenzugehörigkeit, einer
Nationalität oder einer Interessengemeinschaft und die Erziehung, als
politische Methode das Wissen des Diskurses aufrechtzuerhalten, spielen eine
entscheidende Rolle im Diskurssystem der Verknappung und
Zulassungsbeschränkung. ,,Es handelt sich hier, mit einem Wort, um die großen
Prozeduren der Unterwerfung des Diskurses“ (ebd.: 30). Zur Gewährleistung der
Diskurskontrolle werden den Individuen gewisse Regeln auferlegt, um so den
Zugang zu den Diskursen nicht jedermann zugängig zu machen (vgl. ebd.: 26).
Foucault gelingt es mithilfe seines Werkes bzw. Vortrags,,Die Ordnung des Diskurses“ und durch die
Freilegung der, das Denken, das Handeln und das Sein der Menschen bestimmenden
Wissensordnung, aufzudecken, dass Wissen nicht als rationaler Denk- und
linearer Fortschrittsprozess zustande kommt, sondern vielmehr als Ergebnis
kontingenter, politisch durchdrungener Machtstrukturen innerhalb diskursiver
Strukturen zu bezeichnen ist (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 282f.) – und
nicht notwendigerweise derart entstanden ist. Überdies ist zu betonen, dass herrschende
Diskurse sowohl die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Menschen (auf der
Mikroebene) beeinflussen bzw. manipulieren, als auch das ge-sellschaftlich
tradierte kulturelle Wissen (auf der Makroebene).
Die Diskurstransformation am Beispiel
des literarischen Diskurses
Das
Anliegen der Diskursanalyse ist es nicht – wie etwa in der Hermeneutik – einen
literarischen Text in seiner Gesamtheit zu durchdringen und zu deuten. Vielmehr
sollen anhand dessen Diskursformationen entschlüsselt werden, die sich durch
verschieden-artige Texte und Epochen hindurchziehen. Der Diskurs ,,ist
dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu
bemächtigen sucht“ (ebd.: 11). Foucault interessiert die Modernisierung als
Prozess der Disziplinierung und sein Erfolg resultiert aus dessen öffentlich
politischem Engagement und dem Bezug zur Gegenwart seiner Diskursanalysen (vgl.
Kaesler. 2007: 119f.). Er untersucht in seinem Werk ,,Ordnung der Dinge“ aus
dem Jahre 1966, aus welchem der Text ,,Ordnung des Diskurses“ stammt, nach
welchen systematischen Regelmäßigkeiten und welchen Kontrollmechanismen sich
Diskurse aufrechterhalten, weiterverbreiten und umgestalten. Diese
Transformation sieht Foucault nicht durch Umbrüche im Bereich der Vernunft
gekennzeichnet, sondern zudem dadurch, dass die Seinsweise und die Ordnung der
Diskurse eine elementare Veränderung erfahren. Die Überlieferung und Weitergabe
von Wissen hat daher einen historischen Wandel erlebt. Foucault versucht die
Sprache der Disziplinen, welche Wissen festlegt, zu definieren. Ähnlich dem,
was Kant mit dem Begriff ,,transzendental“ bezeichnet hat, schreiben Diskurse
vor bzw. konstituieren, unter welchen Bedingungen Wissen verstanden werden
soll. Foucault geht es somit, ähnlich wie Adorno, um die Verzahnung von Sprache
und Macht. Foucault zufolge ist der Diskursinhalt durch das geprägt, was zu
einem bestimmten historischen Zeitpunkt als wahr und richtig angesehen wird.
Ergo kommt Wissen für ihn nicht als rationaler Denkprozess zustande, sondern
ist vielmehr als Ergebnis kontingenter und politisch durchdrungener
Machtpositionen innerhalb diskursiver Strukturen zu verstehen (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann.
2007: 282f.). Während in der Renaissance das Denken – nach Foucault – noch von
Ähnlichkeiten charakterisiert gewesen ist, ändert sich im Zeitalter der Klassik
der Begriff der Epistème grundlegend. Die Begrifflichkeit der Episteme bezeichnet
nach Foucault:
,,Die Wissensordnung einer Epoche bzw. die implizite
epochenspezifische Logik, die paradigmatisch bestimmt, wie Wissen generiert
wird und auf welche Weise grundlegende Klassifikationsschemata,
Wahrnehmungsformen und Wertmuster die Wissensproduktion einer Gesellschaft
still-schweigend beeinflussen“ (ebd.: 282). Diese, aus diskursiven Formationen
hervorgehenden, Macht-Wissens-Komplexe beeinflussen nicht nur das
gesellschaftliche Wissen, sondern auch die körperlich verankerten Wünsche und
Bedürfnisse, sowie die Selbstbilder der Menschen (ebd. 294).
Anhand
der Analyse von Diskursen sollen die Episteme einer Epoche, sprich die das
Denken, das Sein und das Handeln der Menschen bestimmenden Regeln, und der
historische Background der Diskurse zugängig gemacht werden (vgl. ebd.: 283).
Ziel Foucaults ist es gewesen, die kontingenten Voraussetzungen einer Epoche
freizulegen und zu demonstrieren, dass der Fortschrittsvorgang nicht
schlichtweg linear zu denken ist. Wissen wird im historischen Verlauf nicht
mehr ausschließlich diskursspezifisch verstanden, sondern als eigendynamische
Faktoren, die das Hervorbringen von Wissen prägen. Foucaults Ansatz einer
Genealogie der Macht versucht, wie bereits erwähnt, sichtbar zu machen, dass jegliche
gesellschaftliche Ordnung ein auf Kontingenz basierender Sachverhalt ist und dieser
unter anderen Umständen auch in vollkommen anderer Weise hätte zustande gekommen
sein können. Foucault fordert eine Abkehr von der geschichtswissenschaftlichen
Betrachtung historischer Taten und bedeutender Ideen; historische Datenquellen
werden allerdings als die eigentlichen Materialien der Untersu-chung und
Ansatzpunkte der Entwicklung theoretischer Konzepte betrachtet (vgl. Kaesler.
2005: 111f.) – der unhinterfragte Bezug auf historische, scheinbar ,,objektiv“
geltende Quellen kann und sollte daher, meiner Ansicht nach, äußerst kritisch
betrachtet und hinterfragt werden.
Foucaults
theoretische Überlegungen werden nun im Folgenden am Beispiel des literarischen
Diskurses veranschaulicht. Wenn beispielsweise in bezug auf den literarischen
Diskurs ein Autor und die von ihm verfassten Texte als Einheit angesehen und
diesem Autor spezifische Denkweisen zugeordnet werden, handelt es sich um das
Diskurskontrollsystem der Verknappung. Sämtlicher Sinn, der nicht in bezug zu
diesem Autor steht, kommt nicht zum Vorschein, obwohl er sprachlich gesehen
existiert. Auf diese Art und Weise wird diesem die schöpferische Leistung des
Autors als produzierendes Subjekt aberkannt. Jeder Urheber eines Textes wird
nicht mehr als individuell genial geschätzt, vielmehr wird dieser im Schatten
seiner institutionellen Bedingtheit betrachtet. Das individuelle Subjekt ist
Foucault zufolge als ein Produkt von Machtkonstellationen zu verstehen, die als
schlussfolgernde Formationen bezeichnet werden können (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann.
2007: 285f.). Gegenwärtig müsste die Frage aufgeworfen wer-den, ob die neuen
Medien beispielsweise zu einer Lockerung der eingrenzenden Mechanismen des
Diskurses beitragen können? Zu Foucaults Zeit – Mitte des 20.Jhds. – haben sich
die Ausschlusssysteme des Autors noch maßgeblich um den Bereich der Verlage
verdichtet bzw. zentriert. Die heutige verlagsfreie Verbreitung von Texten per
Com-puter oder das Internet umfasst eine gravierende Veränderung in der
medialen Verfasstheit von Texten und einen tiefgreifenden Wandel möglicher
Ausschlussprinzipien. Die Verbreitung von Texten hat sich von Druckereien, über
die Verlage und die Schreib-tische der Autoren bis gegenwärtig hin zur direkten
und allzeit möglichen Veröffentlichung per Internet ausgedehnt. Die einstig
geschützten Zugangsberechtigungen spezifisch verfasster Literatur gehen immer
stärker in die Hände öffentlicher Netzbetreiber oder Programmierern von
öffentlich zugängigen Datenbanksystemen über. Dies nimmt gegenwärtig überaus
kritisch zu betrachtende Züge an. Somit ist heute der Zugang zu spezifischem
Wissen, was einstig bestimmten Diskursen und den dazu Berechtigten vorbehalten
gewesen und dementsprechend penibel geschützt worden ist, quasi für jedermann
zugängig. Dieses Problem würde sich, um Foucaults System auszuweiten, oh-ne ihm
zu widersprechen, problemlos in dessen Ausschlusssysteme integrieren lassen.
Für die detaillierte Erforschung, inwiefern die neuen Medien den Diskurs
verknappen oder ihm Chancen einräumen, sind neuere diskursanalytische
Untersuchungen anzuschließen, die Foucaults Ansatz aufnehmen und zusätzlich
erweitern. Es existieren gegenwärtig unzählige Diskursanalysearten, die von
historischen Diskursanalysen – einen Bezug zur Geschichte herstellend – über
genealogische Diskursanalysen – sich mit Familien- und Ahnenforschung befassend
– bis hin zu wissenssoziologischen Diskursanalysen reichen. Diese setzen sich
allesamt mit Prozessen der sozialen Konstruktion und der Analyse
gesellschaftlicher Wirkungen auseinander. Aufgrund der Unvereinbarkeit
genannter Diskursanalysegebiete verfolgen unterschiedliche Diskursanalysearten
auch unterschiedliche Perspektiven bei der Analyse. Es sind somit für die
Erforschung der Wirkung differenter Diskursformationen jeweils divergierende
Herangehensweisen von Nöten.
Die Ausschlüsselung bzw.
Ausklammerung von Diskursen durch die phänomenolo-gische Methode der Epochè –
das vorurteilslose ,,zum Ursprung Finden“
An
dieser Stelle erachte ich es als bedeutsam, die Methode der ,,Epochè“bzw. der ,,phänomenologischen Reduktion“
Edmund Husserls – Philosoph und Vater der Phäno-menologie – anzuführen. Durch
diese wird versucht Bewusstseinsebenen streng voneinander zu unterscheiden
zwischen Meinungen, Spekulationen, Vorurteilen, Paradigmen oder Diskursen auf
der einen Seite und zwischen Wirklichkeit bzw. dem an sich er-scheinenden Phänomen
auf der anderen Seite. Dies könnte, meiner Ansicht nach, ein wichtiger Schritt
in der Aufschlüsselung bzw. Ausklammerung herrschender Diskursformationen
darstellen. Husserls Methode der ,,phänomenologischen Reduktion“ (auch Epochè
genannt) ermöglicht es aufzuzeigen, wie so manches, als wahr bzw. geltend angenommenes
Wissen, nicht auf objektiver Faktenlage, sondern vielmehr auf
Forschungstraditionen, vorherrschenden Paradigmen, Spekulationen, menschlicher
Konstruktionsleistung und vor allem auf herrschenden, politisch durchdrungenen Diskursen
basiert und daher eine kritische Betrachtung erfordert (vgl. Godina. 2012:
50f.). Durch die Vorgehensweise der ,,phänomenologischen Reduktion“ wird
versucht von einem ,,natürlichen Bewusstsein“ – dem Bewusstseinszustand, in dem
ich der Welt als ,,Welt vor aller Theorie“ begegne – durch Anwendung der
,,phänomenologischen Reduktion“, einer strikten Enthaltung jeglichen
Seinsglaubens, einem Innehalten und Einklammern jeglichen Vorwissens über die
vorgegeben Wirklichkeit, zu einem ,,phänomenologischen Bewusstsein“ zu gelangen,
welches frei von jeglichem Wissen ist (vgl. Waldenfels. 1992: 30f.). Durch
diese ,,phänomenologische Reduktion“ wird im letzten Schritt der
phänomenologischen Methode Husserls ein ,,absolutes Bewusstsein“ angestrebt,
welches der Klärung der grundsätzlichen Frage der Wahrheitsgewinnung dienlich
ist und eine radikal vorurteilsfreie Erkenntnis ermöglicht (vgl. Husserl. 1998:
13f.). Die Herangehensweise der ,,Epochè“ könnte für die kritische Betrachtung
und Ausschlüsselung herrschender Diskursformationen von enormer Wichtigkeit
sein und so manchen Diskursen auf der Ebene der rein theoretischen Betrachtung ein
wenig den ,,Wind aus den Segeln nehmen“. Ob allerdings die wirkungsvolle Macht
herrschender Diskurse durch die Methode der ,,phänomenologischen Reduktion“
einzudämmen oder gar zu beseitigen ist, bleibt an dieser Stelle fraglich bzw.
unbeantwortet.
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Waldenfels, Bernhard. (1992): Einführung in die Phänomenologie.
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Welzer, Harald.
(2001): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung,
Tradierung.
Hamburg: Hamburger Edition.
Wetzel, Dietmar J. (2003): Diskurse des Politischen. Zwischen Re- und
Dekonstruktion.
München: Fink Verlag.
[1] Der Text
,,Die Ordnung des Diskurses“ – auf dem vorliegendes Essay fußt – entstammt
Foucaults Ge-samtwerk ,,Die Ordnung der Dinge“ (1966), worauf im Weiteren noch
näher eingegangen wird.
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