Erschienen in Ausgabe: No 104 (10/2014) | Letzte Änderung: 16.10.14 |
von Axel Reitel
Das Elend überredet uns
zur Verzweiflung;
der Stolz zur Anmaßung.
Pascal, Pen., Aph. 229
Der Weg ins
Paradies führt über das Universum der Niedertracht. Wieviele unsagbare
Schicksale bilden das schreckliche Antlitz dieser Welt? Wir sind Verdammte, seit wir das zulassen.
Wir sehen, was wir sehen wollen, und das sind vor allem: keine Schwierigkeiten.
Romantisch, was wie schön gedeckt mit Kerzenschein aussieht und wenn einer dazu
am Klavier sitzt. Und wenn der Klavierspieler gerade von da herkommt, wo
gequält wird? Nur Kinder stellen solche Fragen. Das ist so sicher,wie auf ihren Spaziergängen durch die Wohnung
keine Tür verschlossen bleibt. Mutti, Vati, was geschieht in einem Lager? Die
Antwort lautet – wetten -,dass sich das
so einfach gar nicht sagen lässt.
Susanne Schädlich
leuchtet in ihrem Roman „Herr Hübner und die sibirische Nachtigall“ das
Unsagbare aus und verwebt die Lebensfäden zweier Schicksale zu einer
lehrreichen Geschichte: die des Liberaldemokraten Dietrich Hübner, der im Jahr
1948, mit 21, von der sowjetischen Militärverwaltung verhaftet wird. Mara
Jakisch, eine Operettensängerin und Filmschauspielerin, ist bei ihrer
Verhaftung bereits 42. Beide schmoren in der KGB-Untersuchunghaftanstalt am Münchner
Platz in Dresden.
Und beide werden
dort für kurze Zeit Zellennachbarn und tauschen sich über Klopfzeichen aus (A 1
bis Z 26, Wortende kurz zweimal kurz, Ende der Info dreimal kurz). Sehen werden
sie sich nie, aber sie werden sich für immer im Gedächtnis bewahren. Beide
hatten einst vor, die Welt zu verbessern - er über die Politik, sie über die
Macht der Musik (was ihr noch helfen wird) -, jetzt warten drakonische Strafen
auf sie. Beide erhalten 25 Jahre Arbeitslager. Wobei Dietrich Hübner in der Sowjetisch
besetzten Zone bleibt, –die am 07.
Oktober 1949 zur Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR, umgestaltet wird
-,und wünscht sich im Laufe der
Haftjahre manchmal nach Sibirien.
Während Mara Jakisch tatsächlich in den
sibirischen Gulag kommt und sich nach Deutschland zurücksehnt. Doch gegenüber
der Präsenz des Lagers und was es über die Jahre dem Leidtragenden zunehmend an
Kraft abringt, spielt am Ende nur noch innere Stärke die Rolle, selbst das
Leiden als erträgliche Existenz anzuerkennen.
Lenin, der für
ein irdisches Paradies war, hatte die Losung ausgegeben, dass uns Menschen,
anstatt mit dem Wahren, Schönen und Guten zu begeistern, stets ordentlich eins
über den Schädel gehört. Genau in diesem Sinne gestaltete sich auch die
Lagerwelt des KGB.
Was Susanne
Schädlich auszeichnet ist, dass sie die Strategie der Lagertechnik eher in der
Unschärfe lässt – darüber wurde ja eh schon alles geschrieben -, während ihre
ganze Aufmerksamkeit der Technik des Überlebenskampfes der Leidtragenden gilt.
Aufmerksamkeit?
Moment mal! Was ist mit den begangenen Verbrechen? Nun ja, wenn das Verbrechen
sind. Also: Dietrich Hübner war Liberaldemokrat und damit kein Kommunist.
Punkt. Er musste weg. Auch über diese Technik gibt es bereits ausgezeichnete
Literatur. Und Mara Jakisch? Die sang auch im braunen Reich, das stimmt. Sang
sie aber auch im Herzen für Hitler? Spielte Heinrich George auch im Herzen für
Hitler? 1941 war Mara auch in Paris. Von der"Austellung 'Le Juif des France"' (S. 27) hielt sie sich
jedoch fern.
Dietrich Hübner
war von Herzen Liberaldemokrat und kein Kommunist, das stimmt. Dürfen wir einen
Menschen aber nur deswegen zum Verstummen bringen, weil er uns irgendwie nicht
- oder nicht mehr -,in den Kram passt? Der
KGB durfte das nicht nur, er war besessen vom Verstummenbringen anderer
Menschen. Das war sein inneres Ziel. Nur zu diesem Zweck wurden in den Lagern
die unwürdigsten Bedinungen geschaffen.
Susanne
Schädlichs weist in ihrem ausgezeichnet strukturiertem Roman drei Möglichkeiten
auf, die Würde und das Leben in diesen Lagern zu bewahren: ein festes Herz und
einen eisernen Willen (Hübner) oder eine goldene Stimme (Jakisch); die größere
Rolle aber spielt die Zeit.
Im Roman klingt
das so: "An einem kühlen Morgen nahm eine sehr viel ältere russische Frau
Maras Gesicht in ihre Hände, küßte die rechte Wange, die linke Wange, die
rechte, die linke. Die viel ältere Frau bekreuzigt sich. 'Sobaka umerla! Sobaka
umarla!' sagte sie. Der Hund ist tot.'" (S. 90)
Stalin war
gestorben und die Zeiten änderten sich. Mara Jakisch durfte im Lager auftreten,
singen und sich und den anderen Trost spenden. Auch solche Erfahrungen haben
Folgen. Später, als sie längst entlassen ist, in Frankfurt am Main lebt,ist sie, sobald am Himmel der "Mond als
Sichel" steht, wieder "in Sibirien".Im Buch klingt das so: "Und sie sah
dieses Licht. Dieses blaue Licht von Sibirien. Das sie nicht ersehnte. Das sie
nicht losließ." (S. 192)
In der SBZ, seit
1949 DDR,knallten indessen weiter die
schweren Riegel. "Gesicht zu Boden." ... "Umdrehen, Gesicht zur
Wand." ... "Gehnse." "Stehenbleiben. Gesicht zur
Wand." (S. 193) Und diesging
bekanntlich weiter so bis zum Herbst 1989, in dem sich - und das in nur drei
Wochen -, alle acht Völker des kommunistischen Osteuropas von ihrer Machthabern
befreiten. Dietrich Hübner gelangte im August 1964 aus der Haft in die
Bundesrepublik und fand erfolgreich seinen Platz in der Politik.
Für beide
Protagonisten, für Dietrich Hübner wie für Mara Jakisch, bleiben es in der
Erinnerung entbehrungsreiche Jahre voller Schläge, Hunger und Kälte, aber nie
voller Einsamkeit. Susanne Schädlichs Buch ist eine kleine wunderbare
Enzyklopädie menschlicher Solidarität, das einem das Herz öffnet und wieder
einmal eine Axt ist gegen das gefrorene Meer in uns (Thank you, Mister Kafka).
Kurz: Susanne Schädlich erzählt knapp, dafür bleibt sie beim wesentlichen.
Damit weckt sie unsere Neugier, macht Wegsehen unmöglich, verdammt.
Susanne
Schädlich, Herr Hübner und die sibirische Nachtigall, Roman, Droemer 234 Seiten.
ISBN 978-3-426-19975
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