Erschienen in Ausgabe: No 105 (11/2014) | Letzte Änderung: 04.12.14 |
von Nathan Warszawski
Noch nie haben in Deutschland so viele Menschen über soviel
freie Zeit verfügt. Es ist nicht lange her, dass nur Reiche und Mächtige den
Luxus der Muße genossen haben und Tagelöhner und Knechte nicht einmal sonntags
die Kirche besuchen gedurft haben, da ihre Arbeitskraft ständig benötigt worden
ist. Heute ist die Arbeit geregelt. Jeder hat ein verbrieftes Recht auf
Freizeit.
Mehr als 1.500 Menschen kommen am 16. Oktober 2014 in
Wittlich in der Südeifel zusammen, um die Worte des Benediktinermönchs Pater
Amseln Grün zu hören. Er spricht auf Einladung des 11. Eifel-Literatur-Festivals,
der vom Gymnasiallehrer Dr. Josef Zierden aus Prüm und seiner Gattin ehrenamtlich,
aufopferungsvoll und gekonnt geleitet wird. Jeder Schriftsteller, der in der
deutschsprachigen Literatur zu Recht Rang und Namen trägt, tritt im
Eifel-Literatur-Festival auf. Pater Amseln Grün hat die Gelegenheit 2014 im 11.
Eifel-Literatur-Festival zweimal erhalten und angenommen.
Die größte Versammlungshalle der Südeifel reicht kaum
aus, um alle Zuhörer zu fassen. Der freundliche und scheue Pater Amseln Grün
tritt im glänzend schwarzen Talar auf. Seit einem halben Jahrhundert lebt,
wirkt und arbeitet er in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg. Nach
den Studien der Philosophie, der Theologie und der Betriebswirtschaft ist er von
1977 bis 2013 Cellerar - wirtschaftliche Leiter - der Abtei Münsterschwarzach
und trägt für 300 Mitarbeiter in über 20 Betrieben die Verantwortung. Er hat
unzählige Bestseller geschrieben und ist ständig unterwegs, um seine Mission zu
erfüllen.
Der kleine Priester mit dem gepflegten Vollbart steht mit
beiden Beinen fest auf dem Boden dieser Erde.
Nach kurzen Einführungen durch Bürgermeister Rodenkirch
und Herrn Zierden beginnt der Mönch seinen Vortrag. Er spricht über die
Ruhezeit, die uns allen fehlt. Trotz geregelter Freizeit sind wir Getriebene
unserer Süchte, die nicht zur Ruhe kommen. Nicht erst seit der digitalen
Revolution erfinden wir Geräte, die uns Arbeit abnehmen und Zeit schenken. Doch
die gewonnene Freizeit setzen wir nicht zur Entschleunigung oder Muße ein,
sondern stopfen sie voll mit Aufgaben, die wir multitasking erledigen. Muss man
im Kloster leben, um sich Ruhe zu gönnen? Ist nicht der Pater über 36 Jahre
wirtschaftlicher Leiter der Abtei gewesen? Der Zuhörer merkt, dass die Worte
des Paters dem echten Leben entsprungen sind. Er verkauft keine fiktiven
Heilsbotschaften, die unerreichbar sind.
Pater Amseln Grün kommt nach Wittlich als Missionar
seines Glaubens. Er drängt dem Zuhörer seinen Glauben nicht auf. Er erwartet
und setzt voraus, dass der Zuhörer die Existenz Gottes annimmt, um seine
Mission zu verstehen.
Wir werden getrieben, weil wir nie genug haben, nie
zufrieden sind. Wir vergleichen uns ununterbrochen mit anderen Menschen, die
mehr besitzen. Wir überlegen andauernd, was der Nachbar von uns denkt. Wir
akzeptieren unsere Schwächen und Fehler nicht. Unsere Ruhelosigkeit entspringt
der Angst, etwas zu verpassen. Ständig sorgen wir uns, statt dem Segen Gottes
zu vertrauen. „Otium“, die Muße, wird zu „negotium“, zur Arbeit negiert. Wir
können nicht abschalten, obwohl die Ruhe oder Gott in uns wohnen will. Wir
leiden unter Schlafstörungen. Um die Ruhe zu erlangen, sollen wir behagliche,
heilige Rituale pflegen. Nur so können wir erfolgreich otium von negotium
trennen.
Der Vortrag wird mit einem jüdischen Witz aufgelockert.
Der New Yorker Manager beklagt sich bei seinem jüdischen Psychiater über
Durchschlafstörungen. Er wache immer um 2 Uhr nachts auf und könne nicht mehr
einschlafen. Der Arzt verschreibt dem gestressten Manager Zitate aus der Bibel.
Nach einiger Behandlungszeit wird der Manager gefragt, ob er durchschlafen
könne. „Das nicht“, antwortet er, „aber es stört mich nicht mehr.“
Pater Amseln Grün beendet seinen Vortrag mit einem Gebet.
Die Zuhörer stehen auf und kreuzen ihre Arme vor der Brust, um die innere Ruhe
wirken zu lassen. Pater Amseln Grün spricht sein Gebet mit klarer Stimme. Er
verbreitet eine Ruhe, die einem angenehm durchdringt. Während der Fürbitte um
die Ruhe Gottes verstummen sogar die Hustenanfälle der Zuhörer.
Anselm Grün
Trau deiner Kraft - Mutig durch Krisen gehen
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