Erschienen in Ausgabe: No 106 (12/2014) | Letzte Änderung: 04.12.14 |
von Hans Gärtner
Eigentlich
sollte das ganze Nationaltheater laut loslachen, als sich der Vorhang zur
zweiten Neuinszenierung der Saison 2014/15, zu Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“,
hob. Da schickte Skandal-Regisseur Hans Neuenfels eine Reihe überdicker
rothaariger unisexual Wesen auf die Bühne, die neckisch von der Liebe singen, unter
der Fuchtel des leptosomen Gesangslehrers Edmondo alias Dean Power. Von einer
Liebe, die für sie, die grotesken Chor-/Statisterie-Gestalten,
unerfüllt geblieben ist. Es lacht aber keiner im Publikum. Denn jeder hat zu
tun, um das Gesehene zu deuten. Im Lauf des Abends gibt Neuenfels, der wieder
einmal seine Ironie-Tage gehabt hatte, als man ihn nach München holte, um hier
seinen ersten Puccini in Szene zu setzen, noch mehr zu denken, zu tüfteln und
zu deuteln, angefangen bei den grauen „Mäusen“ bis hin zu einer scheinheiligen
Äbte-Riege.
Eingespannt
in diesen Rätselabend sind Stefan Mayer, der das schwärzeste aller
Bühnen-Dekors eiskalt neongasig von Designer Stefan Bolliger umrahmen und ausleuchten
lässt und Andrea Schmidt-Futterer, die als Kostümdesignerin viel Kunst- und nur
schwarzen Stoff zurSchneiderei gab –
denn außer den Rotschöpfen der Liebeshungrigen durfte sie kein Fetzchen Buntes
verarbeiten. Ist ja auch eine tiefschwarze Angelegenheit, diese Oper. Eine
Heldin, die dem Luxus verfiel, Pech hat mit einem stinkreichen alten Galan, ihr
Glück mit einem feschen, leicht entzündbaren, aber armen Studiosus sucht,
fliehen muss, geschändet wird und schließlich in der Ödnis Amerikas nach
Deportation das Leben aushaucht.
Dass
die Darstellung dieser zuerst verwöhnten, dann aber zur abgetakelten, maroden
Zerrissenen verdammten Titelfigur bei Superstar Anna Netrebko auf Widerstand
stieß, ist spätestens im kurzen Schlussakt klar. Zwei Wochen vor der Premiere
warf die Netrebko hin, weil sie Neuenfels` Galanterie-Theorien nicht folgen
konnte. Kristine Opolais schlug da die Münchner „Manon“-Stunde, nachdem sie –
über die Kinoleinwand war es weltweit zu erleben – schon sommers in London in
dieser Rolle glänzte, zusammen mit Traumpartner Jonas Kaufmann. Beide sparten sie
im Nationaltheater nicht mit heißer Liebesglut, sangen, erst im 4. Akt wie aus
einer Kehle, mit Kraft und Saft und viel Überschuss, bis die völlig derangierte
Manon vollkommen fertig war und ihren ihr völlig verfallenen Des Grieux im Stich
und im Leben zurück ließ.
Am
Pult des rüde spielenden Bayerischen Staatsorchesters stand erstmals der sichtlich
ehrgeizige Franzose Alain Altinoglu. Er war durchglüht von Puccinis aufpeitschend-dramatischer
Leitmotivik, forderte den Holzbläsern für Manon, den Streichern für Des Grieux
alles ab, was die auf Abbé Prevost fußende Schmonzette hergab, war aber viel zu
nervig und überforderte selbst sein eigenes disziplinäres Kontingent. Das mit
Spannung erwartete, vielsagende, zu Herzen gehende Intermezzo, das den 3. Akt
einleitet, gelang dann doch zu überdreht und gab wenig von dem Feingespinst musikalischer
Raffinesse frei, dem sich der „Manon Lescaut“-Liebhaber so gerne genussvoll
hingibt.
Bewundernswert:
der wandelbare Staatsopernchor unter Sören Eckhoff, der all die bissigen Neuenfels-Sperenzchen mitmachte und sich
professionell wie gewohnt in die sich etwas dahinschleppende Liebes-Akrobatik
einbrachte. Puccinis dritte Oper vom ausgehenden 19. Jahrhundert – in München
seit Humokis nicht unbedingt geliebten Versuch vor 12 Jahren wieder mal fällig
gewesen – lebte diesmal von der kaum unschlagbaren Intensität des
Protagonisten-Paars Opolais/Kaufmann, brachte einen beachtlichen Bariton ins
böse Spiel, Markus Eiche als durchtriebenen Lescaut, ließ einige
Ensemble-Mitglieder in Winzig-Rollen Großes bieten: Ulrich Reß als Tanzmeister,
Okka von der Damerau als Musikus, nicht zu vergessen den Recken Roland Bracht
als widerlichen Geronte.
Trost
für die, die keine Tickets mehr bekommen für die nächsten Aufführungen am 19.,
24., 27. und 30. 11. sowie am 4. und 7. 12., warte bis zur Gratis-Vorstellung
„Oper für alle“ am letzten Juli-Tag des nächsten Jahres.
Applaus
für Kristine Opolais (Manon), Jonas Kaufmann (Des Grieux) und den Chor der BSO.
Foto: Hans Gärtner
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