Erschienen in Ausgabe: No 108 (02/2015) | Letzte Änderung: 02.02.15 |
von Herbert Csef
„Elend
und Größe dieser Welt:
Sie
bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten.
Es
herrscht das Absurde.
Und die
Liebe errettet davor.“
(Albert
Camus, Tagebücher Band I, S. 60)
Liebe ist ein Hauptthema im Leben und Werk von Albert Camus
(1913-1960). Anlässlich seines 100. Geburtstages hat im Jahre 2013 die
Journalistin Anne-Kathrin Reif ein sehr lesenswertes Buch hierüber vorgelegt.
Der Titel: „Albert Camus – vom Absurden zur Liebe.“ Die Autorin hatte bereits
im Jahre 1999 ihre Dissertation diesem Thema gewidmet: „Die Welt bietet nicht
Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten. Zur Bedeutung der Liebe im Werk von
Albert Camus.“ (Wuppertal 1999). Albert Camus ist als Schriftsteller und als
Existenzphilosoph berühmt geworden. Als Schriftsteller errang er Weltruhm, weil
sein literarisches Werk 1957 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet
wurde. Als Philosoph zählt er zu den fünf wichtigsten Existenzphilosophen des
20. Jahrhunderts. Er steht in einer Reihe mit berühmten Vertretern dieser
Richtung wie Karl Jaspers, Martin Heidegger, Viktor Frankl und Jean-Paul
Sartre. In der Gegenwart ist eine gewisse Camus-Renaissance zu beobachten.
Diese wurde durch zwei Gedenktage wesentlich beflügelt: der 50. Todestag im
Jahre 2010 und der 100. Geburtstag im Jahre 2013. Allein im Jahre 2013 sind im
deutschsprachigen Raum drei bedeutende neue Biographien über Albert Camus
erschienen (von Iris Radisch, Martin Meyer und Michel Onfray). Im französischen
Verlag Gallimard, in dem Camus zu seinen Lebzeiten jahrelang Lektor und
zeitweise sogar Cheflektor war, wurden im Jahr 2013 fast 30 Bücher über Camus
publiziert. Schließlich plädierte vor einigen Jahren der französische
Staatspräsident Nicolas Sarkozy dafür, dass die sterblichen Überreste von Camus
umgebettet werden sollten, damit er ruhmesreich im Pantheon in Paris in der
Reihe von Voltaire und Rousseau seine letzte Ruhestätte fände. All dies
verdeutlicht die Modernität und Bedeutung von Albert Camus. Eine kürzlich
veröffentlichte Facebook-Analyse verdeutlicht, dass sich Camus besonders bei
der jüngeren Generation großer Beliebtheit erfreut. In dieser Analyse wurden
Facebook-Mitglieder danach untersucht, welche Angaben sie über Literatur- oder
Dichtervorlieben machten, oder von welchen Dichtern sie ihre Lieblingszitate
auf ihren Facebook-Profilen hatten. Das Ergebnis offenbarte, dass in der
Facebook-Generation Albert Camus mehr Anhänger, Fans oder Liebhaber hat als
Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder Thomas Mann. Der in der
Wochenzeitschrift „Die Zeit“ (vom 1. April 2010) veröffentlichte Artikel von
David Hugendick trägt den Titel „Nietzsche schlägt Schiller“. Friedrich
Nietzsche war der absolute Sieger dieses Facebook-Wettbewerbs.
Albert Camus war ja überwiegend Dramatiker, Romancier und
Essayist. Liebeslyrik haben wir von ihm also nicht zu erwarten. Dennoch ist
Liebe zentrales Thema in seinen Tagebüchern, seinen Essay-Bänden, in den Dramen
und Romanen. Hinsichtlich der Geschlechter hat Camus eine deutliche Tendenz,
was das Scheitern oder Gelingen der Liebe anbelangt. Die männlichen
Protagonisten (z.B. Caligula, Meursault in „Der Fremde“) scheitern in ihrem
Liebesleben. Sie werden entweder als liebesunfähig, beziehungslos und
kontaktgestört dargestellt oder sie widmen ihre Lebensenergie anderen
Leidenschaften (z.B. Caligula der Macht). Die weiblichen Hauptfiguren wollen in
Camus‘ Dramen und Romanen meist die Männer, die sie lieben, „erretten“, was
ihnen jedoch oft nicht gelingt. Die Frage, ob die Kunst des Liebens gelingt
oder ob die Liebenden scheitern, ist für Camus ein tägliches Ringen um einen
hohen Wert. Für diese große existenzielle Aufgabe des Liebens gilt, was Camus
im Sisyphos-Mythos beschreibt: Entscheidend ist das tägliche Sich-Bemühen, das
„immer wieder den Stein den Berg hochrollen“, das immer wieder neu versuchen,
auch wenn etwas zeitweise misslingt. Insofern spricht Camus sogar von der Liebe
als „Pflicht“.Die gelebte Liebe ist ja
meistens in einen längeren Beziehungsprozess eingebettet, in dem die Liebenden
sich kennenlernen, sich ausloten und durchdringen, miteinander streiten und
sich wieder versöhnen. Bindung und Trennung sind schließlichoft die Wendepunkte des Liebeslebens. Die
Trennung von Liebenden oder eine Scheidungwerden von den Betroffenen oftals Scheitern erlebt. Für viele Menschen folgt jedoch einem Scheitern
auch ein Neubeginn – und das spricht sehr für die Liebesauffassung von Albert
Camus.
Um die Kunst des Liebens zu erlernen, plädiert Albert Camus
für die aktive Form des Liebens und nicht für das passive Geliebtwerden:
„Wer je das Glück hatte, einmal heftig zu lieben, wird sein
Leben verbringen auf der Suche nach dieser Glut und diesem Licht“ (Camus,
Hochzeit des Lichts).
Die Camus-Kennerin Annemarie Piper (1984) fasst diese
Grundideen treffend wie folgt zusammen:
„Der Mensch ist
mithin für Camus nur dort ganz Mensch, wo er liebt, und lieben heißt im
umfassenden Sinn: sich leidenschaftlich auf alles Lebendige einlassen, in der
Öffnung aller Sinne für die Schönheit des Lebendigen das eigene Leben bejahen.
In der liebenden Vereinigung mit dem Lebendigen fallen kosmischer Akt und
erotischer Akt unterschiedslos zusammen und durchdringen sich in
wechselseitiger Einheit.“
In seinen frühen Werken – besonders in „Hochzeit des Lichts“
– verwendet Camus eine sehr lyrische, bildhaft-poetische Sprache. Diese mutet
den Leser vollkommen anders an, als die in einem philosophischen Duktus
geschriebenen berühmten Essays. Ein Beispiel aus „Hochzeit des Lichts“ soll den
lyrischen Sprachstil von Camus verdeutlichen:
„…schon nach wenigen
Schritten überwältigt uns der Duft der Wermutbüsche. Ihre graue Wolle bedeckt
die Ruinen, soweit das Auge reicht. Ihr Saft gärt in der Hitze und verbreitet
über das ganze Land einen Duftäther, der zur Sonne steigt und den Himmel
schwanken macht. Wir gehen der Liebe und der Lust entgegen. Wir suchen weder
Belehrung noch die bittere Weisheit der Größe. Sonne, Küsse und erregende Düfte
– alles Übrige kommt uns nichtssagend vor. Ich möchte hier nicht allein sein.
Oft bin ich hierher gekommen mit denen, die ich liebte, und habe auf ihren
Gesichtern das leuchtende Lächeln der Liebe gelesen… Die verwirrende Duft- und
Farbenfülle war dahin; in der kühlen Abendluft beruhigte sich der Geist, und
der entspannte Körper genoss jenes innere Schweigen, das eine Frucht gestillter
Liebe ist.“
Für Camus ist die Liebe in erster Linie ein Geschenk, das
aus wechselseitiger Zuneigung und Zuwendung entsteht. In seiner Sprache klingt
dies wie folgt:
„Und
wenn ich mich damals liebend selbst hingab, so war ich doch endlich ich selbst,
da uns allein die Liebe uns selbst zu schenken vermag.“
(Albert Camus, Literarische Essays, S. 36)
„Es ist
nicht nötig, sich den anderen anzuvertrauen, sondern nur denen, die man liebt.
Denn in dem Fall gibt man sich nicht mehr preis, um etwas zu scheinen, sondern
einzig, um zu schenken.“
(Albert
Camus, Tagebücher, Band 1, S. 39)
Sehr viel ernster und besinnlicher wird der Sprachduktus in
seinem Roman-Fragment „Der erste Mensch“. Dieser Roman sollte „ein Fresko der
Gegenwart“ werden, „eine Art Krieg und Frieden“. Höchste Ansprüche hatte er an
diesen Roman, über den er viel in seinen Tagebüchern geschrieben hat. Hier geht
es hinsichtlich der Liebe nicht nur um Hingabe, Verlangen, Lust und
Vereinigung, sondern auch um Eifersucht, Ehebruch, Liebesschmerz, Unfähigkeit
zu lieben und das Scheitern an der Liebe. „Der erste Mensch“ hat in seiner
Entstehungsgeschichte viele Besonderheiten: Er blieb ein Fragment. Albert Camus
hatte die 144 Manuskriptseiten bei sich, als er bei dem Autounfall im Januar
1960 sein Leben verlor. Die Erben konnten sich lange nicht zu einer
Veröffentlichung durchringen und brauchten 34 Jahre, bis schließlich der Roman
erstmals in französischer Sprache erschien. 1997 folgte dann die deutsche
Übersetzung im Rowohlt-Verlag. In seinen späten
Tagebucheintragungen finden sich wichtige Hinweise zu seinem Verständnis von
Liebe. Sie sind durchwachsen, zum einen zeugen sie von der großen Kraft der
Liebe, jedoch auch von ihrem möglichen Scheitern. Mit Worten von Camus
wirddie große Bedeutung der Liebe im
menschlichen Leben nochmals verdeutlicht:
„Eine
Frau, die wirklich liebt, mit ihrer ganzen Seele, mit völliger Hingabe, und
dann erlangt sie eine so maßlose Größe, dass es mit ihr verglichen keinen Mann
gibt, der nicht mittelmäßig wäre, erbärmlich und bar jeder Großmut.“
(Albert Camus, Tagebücher, Band 2, S. 24)
„Denn
nicht geliebt zu werden ist nur misslicher Zufall, nicht zu lieben jedoch ist
Unglück.“
(Albert
Camus, Heimkehr nach Tipasa, S. 175)
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