Erschienen in Ausgabe: No 109 (03/2015) | Letzte Änderung: 25.03.15 |
von Heike Geilen
Ich
habe versucht, einen Wind einzufangen.
Aber
ich fand das Gefangene nicht.
Ich
bin durch tiefe Wälder gegangen,
Wo
der Wind ganz tief mit den Wipfeln spricht,
Wipfeln
von ganz hohen Kiefern.
Ich
sah im Moos eine Bierflasche liegen.
Wenn
ich in einem Bierversand
Die
würde abliefern,
Bekäme
ich zehn Pfennige Pfand.
Ich
habe versucht, das viele Versuchen
Ganz
aufzugeben.
Ich
nahm einer Wanze das Leben,
Die
mich nur gejuckt hat.
Unsereiner
Wird
immer kleiner,
Je
tiefer er ins Leben geguckt hat.
Geschrieben
hat dieses wunderbar schräge, sonderbar erscheinende und doch in seinem Ton so
unnachahmliche Gedicht ein kleiner Mann mit vorstehendem Kinn, großer Nase und
noch größerer Phantasie: Joachim Ringelnatz. Hans Bötticher, wie es in seiner
Geburtsurkunde steht, liebte das Besondere, verkörperte, ja lebte das Abseitige
und wurde damit, in einer doch relativ kurzen Schaffensperiode während der
Weimarer Republik berühmt. Wohl jeder kennt heute seinen Namen, aber nur wenige
wissen wirklich um das Leben diesen großen kleinen "fremdfernen"
Mannes, der zur See fuhr, Orte und Berufe in rasanter Abfolge wechselte und
seine Identität "wie die Schlange ihre alten Häute" ablegte.
Hilmar
Klute - Streiflichtchef der Süddeutschen Zeitung - hat sich dem Mann "mit
dem untrüglichen Gespür für falsche Töne und echte Kunst" angenommen und
schaut in seinem Buch hinter die scheinbar so witzige Oberfläche des gebürtigen
Sachsen. Entstanden ist eine wunderbare Biografie, die jedoch nicht nur bei dem
"fabelhaften Schriftsteller, dem sarkastischen, ernsten und weltklugen
Kindskopf, der seine feste Adresse in unserem Gedächtnis hat",
stehenbleibt, sondern zugleich auch den Blick weitet auf unser Land mit seiner
seltsamen Geschichte. Gut lesbar, zuweilen unterhaltsam-amüsant, dann wieder
mit Tiefe und fundierten Recherchen, gibt er einen Einblick in das Leben dieses
"Seismografen des Alltags", des düsteren Weltdeuters, des
Melancholikers oder aber des rauen Seemannes, der "am Ende von beinahe allen
und allem entfremdet ist".
"Wer
war dieser in seiner Kunst und Haltung so radikale, des groben Witzes und der
feinen lyrischen Empfindung gleichermaßen fähige Joachim Ringelnatz, der in nur
vierzehn Jahren ein Werk geschaffen hat, das heute zu den wichtigsten und
beliebtesten der deutschen Literatur zählt? Was war an diesem kleinen,
spindeldünnen und zarten Mann, der das Publikum seiner Zeit in einer Weise
verzauberte, dass diejenigen, die ihn sahen, die Nachgeborenen bemitleideten,
weil ihnen das Ereignis Ringelnatz nicht vergönnt sein würde?" Klute hat
sich an seine Fersen geheftet und ist diesem immer betrunkenen Matrosen
gefolgt. Er untersucht dessen lyrischen Rang genauso wie sein waches
politisches und gesellschaftliches Treiben jener Zeit und entdeckt einen
Künstler, "dessen Texte deshalb Gültigkeit behalten, weil sie aus dem
Alltäglichen eine allgemeine, für alle Generationen teilbare Erfahrung
schöpfen." Natürlich kommen auch seine privaten Beziehungen, allen voran
die mit seiner Frau Muschelkalk, nicht zu kurz. Denn, so Hilmar Klute:
"Die Größe dieses Schriftstellers ist die Summe seiner Erfahrungen und
seiner Neuanfänge, wenn man so will: seines glücklichen Scheiterns."
Fazit:
Joachim Ringelnatz, 'der Andere', der auch die anderen anders machen konnte,
indem er sie poetisch neu einkleidete", wird in dieser wunderbaren
Biografie von Hilmar Klute gezeigt wie er wirklich war. Ein Blick hinter die
Fassade des großen Schabernacktreibers, "der alles in sein Gegenteil
verkehrt und dieses Gegenteil auch noch infrage stellt" und eine Würdigung
seines ungeheuer farbigen, vielstimmigen, aber zuweilen auch unergründlichen
Werkes, welches wert ist, unbedingt tiefer ergründet zu werden.
Hilmar Klute
War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz
Galiani
Berlin (Februar 2015)
240
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3869711094
ISBN-13:
978-3869711096
Preis: 19,99 EUR
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