Erschienen in Ausgabe: No 111 (05/2015) | Letzte Änderung: 14.05.15 |
von Axel Reitel
Über zwei neue Bücher des
renommierten F.A.Z.- Kunstkritikers Dieter Hoffmann und aus gegebenem Anlass
über Dieter Hoffmann selbst
Es ist wichtig, dass man
vieles zusammensieht.
Dieter Hoffmann zu Hubertus
Giebe, S. 76.
Der renommierte Kunstkritiker Dieter Hoffmann wurde 80
Ein Leben. Und was für ein Leben. Und zum 80ten legen gleich zwei Verlage
jeweils einen Übersichtsband vor. Doch wo bleibt das hochverdiente, das große
Echo? Wir vergessen zu schnell. Wir sind ja verrückt. Dieter Hoffmann, ein
verdienter Mann, fast vergessen? Ich rufe einige Kunstfreunde an, aber so
richtig fällt bei denen der Groschen nicht. Ich will Dieter Hoffmann aber nicht
vergessen. Sicherlich hat er viele Leute noch immer um sich. Aber eine große
Leserschaft, wie er dereinst hatte als Autor der FAZ? Die Zeit ist derart
schnelllebig und wir vergessen wie im Rausch. Wir sind ja verrückt. Ich will
Dieter Hoffmann aber nicht vergessen.
Ich kannte vor unserer ersten Begegnung von Dieter Hoffmann immerhin ein
Gedicht, in: Meine liebsten Gedichte, von Johannes Bobrowski (1985 aus dem
Nachlaß herausgegeben). Das Gedicht heißt "Meierei”. Ich schlage Seite 369
auf, ahne wieder etwas und lese: "Quarkgemäuer, / Lehmkuchen, / Meierei in
der Lößnitz./ Hahnenschrei glänzt wie Fayence. / Taxushecke dunkelt./
Hochzeitskleid./ Kapelle schwillt./ Vergißmeinnicht, /einst/Blume der Hetären./
Spaziergang volèrenbunt. /Glasbläser trinken./ Nachmittagsgäste / sitzen auf
dem breiten / Backblech des Hofes. Erwartend / rosinfarbenen Abend." Es
ist so. In nuce enthält dieses Gedicht bereits Hoffmanns Blick auf das, was ihm
wichtig ist als Spaziergänger seiner Zeit und auf seine Themen. Johannes
Bobrowski entnahm Hoffmanns Gedicht dem 12. Jahrgang des Literaturkalenders "Spektrum
des Geistes" .Das war 1964. Dieter Hoffmann ist Anfang Dreißig.
So alt war ich auch, als ich Dieter Hoffmann Anfang der 1990er im Haus von
Marlies und Hubertus Giebe erstmals begegnet bin. Ich war frischer Mitbegründer
und Redakteur (neben Roland Erb und Utz Rachowski) der brandneuen Dresdner
Kulturzeitschrift "Ostragehege" (den Namen setzte Heinz Czechowski
durch) und wollte sofort etwas von Dieter Hoffmann bringen (wie das
konsenstechnisch so in der Branche heißt).
Über Hubertus Giebe kannte ich ein wenig auch Hoffmanns Biografie sowie einige
seiner Kunstessays. Was mir gleich auffiel, war Dieter Hoffmanns General-Thema,
das ich, vielleicht etwas salopp, zu verknappend, "Die Stadt Dresden und
ihre Bildenden Künstler" nennen möchte. Ein weiterereinnehmender Aspekt
für mich wurde sein deutliches Engagement, mit dem er sein Thema ausleuchtet.
Es schien ihm einfach nichts Wesentliches zu entgehen.
Ich notiere. Dieter Hoffmann ist Jahrgang 1934, ein gebürtiger Dresdner. Als
der Krieg zu Ende geht, ist Dieter Hoffmann elf Jahre, so alt wie Jim Hawkins,
der frühjugendliche Erzähler der Schatzinsel und auch Dieter Hoffmann wird
reisen, (Kunst-)Schätze heben und unnachahmlich darüber erzählen, wie gesagt,
vor allem eben über Dresden und seine bildenden Künstler.
Auch der ein Lebensthema auslösende Schock fehlt nicht. Als der Krieg zu Ende
geht, brennt sich Dresdens "Ausbombung" (Eckart Kleßmann), der
kunstreichsten Stadt Deutschlands, für immer in ihm ein. Dem "Rückzug aufs
Land" (Eckart Kleßmann) bei Dresden folgen weite Erholungsspaziergänge,
was in seinem Leben zum Wirkungsprinzip noch werden soll.
Dann die zäh ablaufenden Jahre bis 1949 - Du sollst dich erinnern! - sind
geprägt von Schule und autodidaktischen Aktivitäten auf dem Gebiet der Lyrik
(!).Durch die Lektüre einer Anthologie expressionistischer Lyrik fühlt er sich
bestätigt. Der Titel "Vom Schweigen befreit" wirkt vor allem im
Hinblick auf seine Lebensumgebung exemplarisch.
Dieter Hoffmann entscheidet sich zunächst für Vorlesungsbesuche über moderne
Dichtung an der Dresdner Volkshochschule. Die Begegnung mit der Malerin Inge
Theiß regt ihn jedoch an, einen Berufs-Weg als Maler einzuschlagen, auf dem er
bald scheitert, auch den sich anschließenden Berufs-Weg zum Gartenbauarchitekt
bricht er ab. Und warum eigentlich nicht? Sein Talent lag anderswo. Aber wo? Er
wird ein Flaneur und auf seinen Spaziergängen lernt er wie im Vorübergehen die
namhaften Dresdner Künstler kennen, darunter Karl Kröner, Wilhelm Lachnit,
Hermann Glöckner – und über sie alle wird er, ihre Werk analysierend,
schreiben.
Der Nachkrieg geht vorüber. Das Deutsche Reich wird zweigeteilt, die
Bundesrepublik (September 1949) und Deutsche Demokratische Republik (Oktober
1949) entstehen. Die Interessen der West-Alliierten und Stalins erwiesen sich
unvereinbar. Dabei zeigt sich Stalins UdSSR - nach außen hin - von ihrer
Sahneseite. Russische Briefmarken gehören zu den schönsten im Haus der
Philatelie. Auch in der DDR wird früh auf Kunst gesetzt; doch der Staat hält
die Zügel fest in der Hand, was zu sagen verboten ist. Der Staatsbürger mit den
zwei Gesichtern wird geboren. Dieter Hoffmann weicht oft aus nach West-Berlin
und ist schnell hier in der Literaturszene und fühlt sich wohl.
Auch in Dresden ist Dieter Hoffmann schon gefragt und wird gefördert von den
Kunsthistorikern Wolfgang Balzer und Fritz Löffler, beide "schanzen"
ihm kunstessayistische Aufträge zu. Fast schon nolens volens wird auch Hoffmann
der geschätzte und gern gelesene und zitierte Kunstkritiker, verbunden zunächst
mit einer bezahlten Anstellung als Redakteur des Dresdner Organs der Ost-CDU,
"Die Union". Hier darf er doppelt existieren, auch einige seiner
einprägsamen Gedichte werden von der "Union" gedruckt.
Bis 1956 legt Dieter Hoffmann zwei Lyrik-Bände vor, darunter
"Mohnwahn", wohl anklingen wollend an Celans schnell berühmt
gewordenen Gedicht-Band "Mohn und Gedächtnis", der das Weltgedicht
"Die Todesfuge" enthält. Bereits 1957 werden Gerüchte von einer
Absperrung Ostberlins laut, worauf Dieter Hoffmann die DDR aus- in diesem
Zusammenhang - politisch zu nennenden Gründen verlässt.
Im neuen Heim, in Stuttgart, fasst er rasch Fuß. Er arbeitet wieder als
Redakteur, wird ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und
Literatur in Mainz, sogar über zwei Wahlperioden deren Vizepräsident.1961
erscheint beim renommierten Verlag „Luchterhand“ ein weiterer Gedichtband. 1963
folgt der Rom-Preis mit Aufenthalt in der Villa Massimo, 1964 die Niederlassung
in Frankfurt am Main, wo er als Redakteur für die „Frankfurter Neue Presse”
tätig wird. Von 1979 bis 2007 schreibt er unter dem Pseudonym Anton Thormüller
für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ über bildende Kunst. Von Anfang an
setzt er sich dabei für die klassische Moderne in Ostdeutschland und ganz
speziell in Dresden ein.
Der Rest ist die Erfolgsgeschichte eines über Jahrzehnte sich verdient
machenden Flaneurs, wie auch der von den Herausgebern Dieter Hoefer und Gisbert
Porstmann im "Verlag der Kunst" 2014 - unter dem Titel
"Trauerweidengepeitscht" - vorgelegte Prachtband mit Texten aus sechs
Dekaden von Dieter Hoffmann - zur Dresdner bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts
- hinreißend unter Beweis stellt.
Ach ja,Hoffmanns “Republikflucht” wird – wie großzügig - von der DDR 1974
amnestiert, worauf Hoffmann Dresden promptin Folge besucht. Er kann wieder
anknüpfen und es entsteht eine tiefe, nicht mehr abreißende Verbindung.Das
erfreuliche Ergebnis dieser seismographischen Verbundenheitstellen uns die
Herausgeber des mehrere Kilo wiegenden Prachtbandes “Trauerweidengepeischt.
Spaziergänge durch die Dresdner Kunst des 20.Jahrhunderts” nun vor.
Trauerweidengepeitschte Kunst
Der Band kann sich wohl sehen lassen. In summa summarum fünfundsiebzig
genussvollen Kunstkritiken setzt sich Dieter Hoffmann mit den sich ablösenden
“Kunstwenden” (Werner Haftmann), beginnend in den 1950er Jahren, auseinander. Und
auch ein roter Faden findet sich erfreulicherweise auf den ersten Seiten, wenn
Hoffmann (im August 1955 über den Maler Willy Wolff) schreibt:” Es ist nicht
immer das gleiche, was die Verkaufsgenossenschaft Bildender Künstler zu bieten
hat – dafür aber sind es immer wieder die gleichen, die aus der Masse der
Relativitäten herausragen.” (S. 13).
Er lobt (und fordert damit heraus) die “völlig neu gesehene Landschaft” (über
Ernst Hassebrauck), den “eigenen Stil” (über Wolff) und Beispiel sein dafür,
“was in Dresden doch noch an Kunst geleistet wird” und die Verwandlung des
unerträglichen Schweren in inspirierende Stimulans, “in Duft” (über Wilhelm
Lachnit und Karl Kröner. S. 14). Dabei verwandelt, dechiffriert der bildende
Künstler schließlich das, von was er sich “bewegen” lässt, Vegetation, Stadt,
Geschichte, Selbstbildnis, “Ikarus-Thema” (Dieter Hoffmann) oder
“sozialkritisches Engagement” (Hans-Jürgen Buderer, Manfred Fath) in eine eigene
sichtbare Wirklichkeit. Dass dieses “produktive Verhalten” (über Karl Kröner,
S. 19) stets “in den Kampf um eine erneuerte Kunst” (ebenda) mündet, legt uns
dieser Band nun nahe. Dazu gehört als Maxime auch, dass sich ein Künstler am
Ende nicht “unterkriegen” lässt (über Hans Jüchser, S. 21). Beachten wir dafür
bei Rainer Maria Rilke dessen Forderung:“ Überstehen ist alles!”
Darauf kommt Hoffmann mit einem Seitenhieb auf jenes Kunstvereinsleben in der
Bundesrepublik zu sprechen, das sich allzu bereitwillig den offiziellen Maßregelungen
des DDR- Behörden unterordnete, in dem “ihr Augenmerk ... den Künstlern des
Sozialistischen Realismus galt” (S.25), und damit den “inoffiziellen in der DDR
lebenden Künstlern” gleichermaßen die Aufmerksamkeit versagte und “den ihm
zukommenden Rang nicht zukommen ließ”. (ebenda)Auch wenn am Ende die
unbeachteten Künstler diese Herabwürdigungen großartig überstanden, war es in
der für sie staatlich “vorgegebenen Wirklichkeit” (Hans-Jürgen Buderer, Manfred
Fath) schwer auszuhalten. Das künstlerische “Ringen um jeden Bildzentimeter”
(S.25) schärfte gerade ihnen andererseits “deutlich” den “Blick auf die
Ursachen und Folgen”.(S.30)
Doch wo die einen den Konsens wählten - der Partei zu gefallen - und sich
gemeinhin auf das Jahr 1945 und der Zerstörung Deutschlands als den Sieg des
neuen Menschen nach sowjetischen Muster, den „Sozialistischen Realismus“ eben, einschworen,
sahen die anderen “eben nicht nur die Zertrümmerung Dresdens, sondern überhaupt
das Ende einer Epoche” (S. 37). Dieser Blick - vom Ende her – verschaffte vor
allem jenen, die “nie auf DDR-Line ausgerichtet” (über Max Uhlig, auf den sich
der Buchtitel bezieht, S. 111)waren, die innere Freiheit, ein genauer
“Betrachter durchaus .... seiner alltäglichen Lebenswelt” (Hans-Jürgen Buderer,
Manfred Fath) zu sein. Dieter Hoffmann nennt beispielgebend dafür den bereits
oben erwähnten Maler Hubertus Giebe, der zu DDR-Zeiten in Dresden“ wiederum
ironisiert diese falsch-florentinische Akademie-Kuppel, die ihm täglich vor
Augen führt, wie unerreichbar das wahre Florenz für die DDR-Bürger ... ist”.
(S. 41).
Natürlich geht es vor allem um Malerei, auch wenn Kunstwenden noch nie ohne
eine aufrechte Haltung des Künstlers auch errungen wurden. Die Schwierigkeit
bei der Gestaltung der “chaotischen Überfülle, die nun einmal Gegenwart
kennzeichnet” (Werner Haftmann), bringt Hoffmann bei der Dresdner Bildenden
Kunst des 20. Jahrhunderts nun auf die erfindungsreiche Formel einer “Kunst als
Abwehr”. Also doch nicht nur Malerei? Abgewehrt werden muss, was “die getanen
Taten, sprich Bilder” (Dieter Hoffmann zu Hubertus Giebe, S. 76) verhindern
will. Was war das - und - wie ging das?
Die beste Abwehr blieb hier auch für die von Hoffmann versammelten Maler den
Blick auf die Hauptprobleme zu richten. Diese brachten für die Künstler mit der
Lizenz zu öffentlichen Ausstellungen ihrer Arbeiten vor allem die Diskrepanz
mit sich, der gewünschten Sichtweise der alleinigen Staatspartei, die auf die
Sichtweise des Künstlers nur dann Rücksicht nahm, wenn der sich irgendwie mit
ihrem “Weltbild” in Einklang bringen ließ. Dabei sollte die Realität derart
gezeigt werden, wie es sich die Partei wünschte. Die Degradierung des Künstlers
zum Schönfärber ist bei dieser Vorgehensweise offensichtlich und nicht
akzeptierbar. Wer dieses Dilemma zu überstehen gedachte, bemühte sich sodann
vor allem redlich um verwandte Geister. Diese fanden sich für die Dresdner
bildenden Künstler in der Hauptsache im Expressionismus -hier vor allem die
Maler der Brücke - u n din der großen Kunstwende der Neuen Sachlichkeit
(empfohlen sei von Hans-Jürgen Buderer und Manfred Fath “Neue Sachlichkeit”, aus
dem bereits zitiert wurde), vorzüglich beim bis 1969 in Dresden stilprägenden
Otto Dix.
Wie das für die Folgezeit bis zur Auflösung der DDR für diese Künstler
funktioniert hat, machen die von Dieter Hoefer und Gisbert Porstmann
zusammengestellten und spannend zu lesenden Artikel Dieter Hoffmann plausibel –
und es soll auch nur noch so viel verraten werden, dass das, was vor allem die
„jungen Wilden der DDR“ wie Angela Hampel, Conny Schleime, Lutz Fleischer und
Hubertus Giebein den ideologisch betonierten 1980er Jahren gegen allen Unwillen
von oben durchsetzten, die eine „höchst lehrreiche“ Geschichte einer
Anti-Muff-Revolte wie eine “windliebende Zaubermühle” (über Veit Hofmann, S.
231), auf dem Level höchster Kunstfertigkeit, ist. Der Raum, in dem wir
existieren, wird über-deutlich, dehnt sich, er flieht, er sucht sozusagen das
Weite. Die Ideologie wollte - ganz im Gegenteil -mit aller Kraft zurückhalten,
wie wohl im Glauben, sie selbst sei das Rad der Geschichte. Doch das Rad der
Geschichte ist eine Erfindung, es dreht sich im Kreis, während die Zeit ein
Blutstrahl ins Offene ist.
Die vielen Beispiele, die uns hierfür Dieter Hoffmann auf seinen
“Spaziergängen” vor Augen führt, sind insgesamt auch nach mehr als fünfzig
Jahren seit Erscheinen des ersten Artikels, “so lehrreich wie das Vorzeigen des
Schönen.” (über Josef Hegenbart, Ernst Hassebrauk und Albert Wiegand, S. 117).
Der Band “Trauerweidengepeischt” sei, wie der Roman, “Der Turm” von Uwe
Tellkamp, zur Einstimmung auf Dresden und für Sightseeing-Touren durch Dresden
wärmstens empfohlen.
Dazu gleichfalls empfohlen Dieter Hoffmanns, ich will sagen besten seiner
Lyrik-Bände, "Gedichte aus der Augustäischen DDR", allesamt poetische
Momentaufnahmen und Reflexionen der Neuentdeckung seiner Geburtsstadt und
angestammten Heimat, nun einer „HEIMAT-IM- UNTERWEGS“ (Karen Joisten), die ihm
trotz der herrschenden Politik des politisch oktroyierten Selbstverhältnisses
des Menschen dennoch wieder eine vertraute Heimat wurde. Hoffmanns Geheimnis –
wie dies gelang – auf die Spur zu kommen, sind die detektivisch veranlagten
Leser herzlich eingeladen.
Sein essayistisches Hoheitsgebiet bleibt das "Dresdner der Bildenden
Künste", wobei er sich in den 1980er Jahren vor allen mit dem Werk des
Malers und Zeichners Hubertus Giebe vertraut macht, den er überaus schätzt und
bald im Regal der liebsten Maler ganz nach oben stellt. Von der Geschichte
dieser achtsamen Entdeckung erzählt Hoffmann in seinem 2014 im Sandstein Verlag
erschienenen Band “Dieter Hoffmann zu Hubertus Giebe”, für den er Texte der
Jahre 1986 bis 2009 zusammenstellte.
Der Mensch erscheint im Phänomen
Ach dass man wo wenig begreift, solange die Augen nur Abend wissen.Nelly Sachs
Auch dieser Band, “Dieter Hoffmann zu Hubertus Giebe”, ist Quintessenz, will
sagen: vulkanisierte Analyse des “komplexen Phänomens” (Werner Haftmann), das
der Künstler ist (als Vertreter e i n e s Menschentyps). Vom Maler und Zeichner
Hubertus Giebe nun gibt es, schreibt Hoffmann, “grausame Bilder grausamer
Geschehnisse – von Inquisition, Faschismus, Stalinismus. Dix grüßt aus den
Katakomben. Der gegen den Moloch anmalende Giebe … distanziert sich im
Bildgerüst, denn nicht zufällig hatte er mit Zeichnen begonnen.“ (S. 20)
Und weiter: „Giebe schätzt das Menschliche, wo es nicht das Allzumenschliche
ist, sondern- das Humane. Das geht durch das ganze Werk.“ (S.21) Und: „Hubertus
Giebe ist auch ein homo politicus, in seiner Generation unter den deutschen
Künstlern Ost und West, wenn man noch so sagen kann, sicher der bedeutendste
‚politische‘ Maler“. (S.120)
„Lieber schreibe ich über Einen viel als über Viele etwas“, schreibt Dieter
Hoffmann in seinem Vorwort (S.6f). Er hat – nicht als Einziger aus kritischer Hingabe
- viel über Hubertus Giebe geschrieben. Allesamt sind es Versuche, die
Quintessenz aus Werk, Künstler und schöpferischen Anlass zu zeigen. Quasi „die
Bilder als aufgebrochene Schädeldecken“ (S.49), “getane Taten“ (S.67) mündend-
Eugène Delacroix‘ zitierend -in einem „Fest für das Auge“ (S.97).
Die Zusammenhänge dabei führt Dieter Hoffmann in glänzenden Überleitungen aus
und alles klar: das Auge will sehen, weil es auf die Sprünge helfen will. Es
will dahin, wo es hell ist und dass vor allem, damit aus dem Menschen, dem es
diese guten Dienste tut, schließlich ein heller Kopf wird, der wirklich sehen –
womöglich kausal sehen - kann. Ob er das auch will, geht das Auge nichts an.
Die bildende Kunst – das Bildermachen – steht im Dienst am Auge. Und immer wieder
stellt Dieter Hofmann Hubertus Giebe als manischen Maler, Zeichner - und Leser
und Kunstessayisten übrigens - dar. Das scheint ihm wichtig und er behält
offensichtlich recht.
Auch was letztlich alles zu diesem Dienst gehört, beschreibt Dieter Hoffmann im
Fall des Laudiertenausführlich. So gehören zu den verzahnt zu sehenden
Grundlagen gleichermaßen das Handwerk, vom anatomischen Zeichnen bis zum
„Verwirklichungsort“ (Werner Haftmann) des Gemäldes, eine bestimmte Tradition,
da „ohne Erbe keine Identität“(Johannes Bobrowski) ist, und nicht zuletzt ein
fundiertes kunstgeschichtliches Wissen. Zu wirklicher Größe führt natürlich der
eigene Weg [Stil] und den hat der Maler nun einmal zu entdecken.
Das ist soweit klar. Bei Hubertus Giebe drängt Dieter Hoffmann nun auf ein
wesentlich dichteres Gewebe: neben Handwerk, Tradition und Stil, kommt des
Malers persönliches Ansinnen, mit seiner „Kunst…die Erinnerung wachzuhalten“
(S.80). Gemeint sind hier die weitreichenden Erinnerungen an die „Bloodlands“
(Timothy Snyder) von Hitler und Stalin und ihre Folgen: der Kalte Krieg, die
DDR und Osteuropa.
Nichts kommt von ungefähr, so habe der Maler Hubertus Giebe„die Hitler-Greul …
nicht am eigenen Leibe erlebt, aber ihre Folgen“ (S.75). Dazu gehört vor allem
der frühe Tod des Vaters: er war bis Anfang 1950 in einem sowjetischen Lager
inhaftiert. In einem, eines der Hauptwerke Giebes, das er auch „Das Lager“
nennt, treten die traumatisierenden Zeichen der Gegen-Menschen und deren
Produktion lichtlosen Licht mit bannender, dechiffrierender Klarheit hervor.
Über das Thema Konsens, „konspirative Disziplin“ (Peter Weiss) als modernes
Trauma, dachte auch der Rezensent nach, als er das „grausamen Bild ‚Der
Schmaus‘“ (S.30) betrachtete.Andernorts, sogar in der Neuen Nationalgalerie
Berlin, dann ebenfalls die „Gekreuzten Männer“, die „wie zwei gekreuzte
Klingen, wie zwei Geschosse (die aneinander vorbeigehen, und beide dennoch tief
verwunden)“ (S.28).Dieter Hoffmann schreibt in schöner klarer Sprache. Seinen
Stil hat er früh gefunden und ausbauen können. Als Kunstkritiker gibt er seine
Bildbetrachtungen in inspirierenden, nachvollziehbaren Bildern zurück. Eine
angenehme Seltenheit.
Jeder hat ein Geheimnis – Giebe selbst
auch. Dieter Hoffmann zu Hubertus Giebe (S.30)
Als „balladesk“ und von ungeheurer Schönheit geprägt bezeichnet Dieter Hoffmann
das Aquarellwerk sowie das zeichnerische Werk des entdeckten Malers.Und es ist auch nicht nur ein anderer Ausdruck für
das „gefilterte Entsetzen“ in den Bildern [auch] über die „Grausamkeit der
modernen Welt“ (S.27). Vieles führt bei Hubertus Giebe über die Literatur: er
„liest süchtig, liebt Dichtung, er lässt sich intellektuell und emotional
anregen, aber er ist ihr nicht hörig.“ (S.25)
Nadeshda und Ossip Mandelstam, Anna Achmatowa, Joseph Brodsky, Joseph Roth,
Arthur Koestler, Peter Weiss, insgesamt eine lange Namensreihe, und immer
wieder zu Albert Camus, allesamt Dichter der Freiheit wie der „Hochzeit des
Lichts“ (Albert Camus).Der Begriff der Freiheit – nie Angst vor Freiheit (!) –
ist verständlicherweise für den Maler Giebe von elementarer Bedeutung.
Und last but not least thematisiert auch Dieter Hoffmann in seinen Texten zu
Hubertus Giebe die „Verteidigung der Freiheit“ (Albert Camus), aber nie die
Angst vor der Freiheit! Der Freiheiten sind freilich so viele wie ihre Formen:
die bürgerliche Freiheit nannte Camus eine „Schaukel“ (Albert Camus, Brot und
Freiheit, Ansprache vom 10. Mai 1953 an der Arbeitsbörse von St. Étienne).
Für die DDR, in die der Maler Giebe geboren wurde und hineinwuchs, galt das
wenige klare aber geflügelte Wort: „Freiheit, das ist die Einsicht in die
Notwendigkeit.“ Von der Analyse des Zusammenhangs und welche Notwendigkeit denn
gemeint ist, einmal abgesehen, wurde selbst dieser reduzierende Ausdruck mit
der Zeit noch weiter reduziert, bis die Floskel von der „Einsicht in die
Notwendigkeit“ übrigblieb.
Und da Kritik in der DDR so gut wie nicht möglich war, es dafür aber eine
verminte Grenze mit zu Scharfschützen gemachten Grundwehrsoldaten gab, bei der
es vor allem darum ging, die eigene gefangen gehaltene Bevölkerung davon
abzuhalten, doch noch ein Schlupfloch in die Freiheit zu finden, ist es wenig
verwunderlich, dass es in diesem Land zeitweise die höchste Selbstmordrate
weltweit gegeben hat.
Und schließlich, so Dieter Hoffmann, male auch Hubertus Giebe soviel „den Tod,
weil er das Leben liebt“ (S.81) Der Künstler hat im Auge die erzählende Welt, die
den darin erscheinenden Menschen, als einen „Rebus“ (S.29),den
auseinanderschachteln Aufgabe des Künstlers ist.
Dieter Hoffmann. Trauerweidengepeitscht. Spaziergänge
durch die Dresdner Kunst des 20. Jahrhunderts. Verlag der Kunst Dresden, 323
Seiten, 2014. ISBN 978-3-86530-203-8. 29 €.
Dieter Hoffmann zu Hubertus Giebe. Sandstein Verlag
Dresden, 141Seiten, 2014. ISBN 978-3-95498-153-3 18 €.
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