Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 23.03.09 |
von Franz Xaver Schmidt
Wolfram Weimer, der vor drei Jahren seinen kleinen,
eindrucksvollen Essay über die neu erwachte Religiosität vorlegte, veröffentliche
nunmehr im Gütersloher Verlagshaus ein Buch mit dem Titel „Freiheit,
Gleichheit, Bürgerlichkeit“, eine überarbeitete Sammlung seiner monatlich im
Cicero erscheinenden Kolumnen, dessen zentrale These es ist, daß uns die Krise
konservativ mache. Eine „Streitschrift“ soll es darüber hinaus sein und ein
„fröhlicher Leitfaden“, eine „Provokation für Alphatiere wie Mitläufer, für „Neo-Cons
wie Neo-Commies“.
Was sofort auffällt, wenn man diese „Streitschrift“ zur Hand nimmt, ist, daß zumindest eines für
Weimer nicht konservativ ist, sein Schreibstil. Es wimmelt von Anglizismen,
von einem verwirrenden Spiel der Begriffe. Auch mag man jene ausgelassene „Schnöseligkeit“,
die seiner Generation, der 89er wohlgemerkt, wesenhaft anhaftet, gerade auch
aus dem Blickwinkel eines Ostdeutschen nicht teilen. Maueröffner war diese
„wohlhabendste Generation“ sicherlich nie, eher Wendegewinner, die zuerst den
Osten aufkauften und dann auf die Welt abzielten. Moralisch und konservativ wurden
jene erst als es ihnen das Geld abhanden kam, ihr einziges Heiligtum. Denn da
plötzlich erwachte ihr Wertkonservatismus, der bei genauerem Hinsehen gar
keiner ist, sondern nur eben wieder ein Spiel mit der Sprache, ganz dem
Zeitgeist wohlgefällig und angepaßt.
Die großen Crashs, von denen Weimer spricht, die die 89er
Generation aus den Fugen ihres wohlgebügelten Weltbilds riß, waren
selbstverständlich nicht mit der Inszenierung der Macht dieser aufstrebenden Bank-
und Finanzadelelite aus wohlbehütetem Elternhaus vereinbar. Die Finanzkrise, nicht
die Attentate des 11. September, ist daher
auch die zwangläufige Folge einer Generation und ihrer Denkart, der es aus purem
Luxus nur um das Höher, Schneller und Weiter ging. Anders gesagt: Die 89er
Generation wird nun für das bestraft, was sie mit ihrem unreflektiertem
Neo-Liberalismus selbst ausgelöst hat. Und auch das vielbeschworene Pathos,
Kämpfer gegen den Ismus zu sein, klingt irgendwie komisch, denn gegen welche
Ismen mußten sie denn streiten? Der Habgier und Profilierungssucht dieser Generation
haben wir schließlich die derzeitige Misere mit zu verdanken und nicht, wie
Weimer meint, einer Welt, die es noch nicht versteht, mit der Freiheit
umzugehen.
Auch Weimers Bekenntnis: „Der Mauerfall von 1989 war unsere
Signatur“ erscheint wie blanke Ironie, denn eins war der Mauerfall von 89
wirklich nie, eine Signatur der westlichen Neoliberalen. Eine Signatur
höchstens für den bald einbrechenden Aufkaufrausch, für spekulative
Finanzgeschäfte, bei denen traditionelle Werte, die alten Tugenden, überhaupt
keine Rolle spielten.
Wenn man Weimers Buch liest, freut man sich insgeheim
darüber, doch einen gewissen Teil seiner Lebenszeit in einem Land mit Ismen verbracht
zu haben, wo der Spaß und die ungezwungene Freiheit eben keineswegs in Strömen
flossen.
Die Kapitulationserklärung dieser sogenannten 89er bleibt
letztendlich die Folge ihres falschverstandenen Freiheitsbewußtseins. Um so
mehr verwundert es dann, warum sich diese Generation anschickt, für einen neuen
Konservatismus zu plädieren, gerade sie, für die das Konservativ-Sein immer ein
Greuel war. Dieser neue Konservatismus klingt irgendwie komisch, ist
Geschichtsverzerrung oder -glättung.
Auch die These, daß sich die Gesellschaft in Zeiten
aktueller Beschleunigung, bei Modernisierungsschüben, entschleunigt oder instinktiv
retardiert, überzeugt nicht, dies war und wird immer so bleiben. Und: Ob der
„chronische Kohäsionsreflex“ tatsächlich reicht, um schon von konservativ
sprechen zu können, mag ganz dahingestellt bleiben; eher doch ist dieser Reflex
dem moral sense oder dem common sense jedes einzelnen oder der Gesellschaft
zuzuschreiben.
Überzeugen mag auch Weimers These nicht, daß die
intellektuelle Szene schläft, daß alle „Debatten luftdicht verpackt wie in einer
Tupperware-Box“ schlummern. Vielmehr will man sie in gewissen
Intellektuellenkreisen eben gar nicht hören, weil auch sie den sensiblen Seelchen
der Neoliberalen möglicherweise schadeten, die nun gerade erst lernen müssen,
daß Freiheit Einsicht in die Notwendigkeit ist. Auch wenn andauernd gegen den
geistigen Schlaf der Nation angestritten wird, wenn man dieser Lethargie und
Selbstzufriedenheit zu Lasten legt, dann muß man diesem kritischen Befund schon
etwas Positives gegenüberstellen und sich nicht mit Zeitgeistgeplänkel
aufschaukeln. Das intellektuelle Niveau ist keineswegs ruiniert, nur findet es
sich eben nicht in der aufgeblasenen Kaste des Modejournalismus, der
letztendlich für das Auferstehen der „geistigen Rezession“ mitverantwortlich
ist, weil hier ohne Inhalte nur mit Ismen, Pseudo-Ismen, die geistige Kultur kritisiert
wird. Feinsinnige Geister haben überhaupt keine Lust, in dieses Medienkonzert
einzustimmen. Und ohnehin weiß der Konsument auch nicht, was ehrlicher ist, die
Flirtportale, die Lifestyle-Staffagen oder der so belehrende und gutsituierte
Modejournalismus der Berliner Republik.
Anstatt ein Buch gegen den Zeitgeist zu schreiben, das nun
tatsächlich konservativ wäre, hat Weimer ein Zeitgeistbuch vorgelegt, das
selbst in seinen kritischen Tönen nur das wiederholt, was jedermann weiß, dies
aber geschickt und kenntnisreich.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.