Erschienen in Ausgabe: No 112 (06/2015) | Letzte Änderung: 09.06.15 |
von Stefan Groß
„Wir sind Papst“ – so titelte spektakulär die Bildzeitung
vor zehn Jahren. Spektakulär war die Botschaft, denn seit fast 500 Jahren gab
es keinen Deutschen mehr auf dem Stuhl Petri. Es war der 19. April 2005, der
Tag, als aus dem Theologen, Philosophieprofessor, Kardinal von München-Freising
und dem langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation in Rom Benedikt der
XVI. wurde. Schon im vierten Wahlgang fiel die Entscheidung auf den
langjährigen Vertrauten, Freund und theologischen Berater von Johannes Paul
II., der mit seiner Namensgebung Benedikt XVI. den Ordensgründer Benedikt von
Nursia, den Patron Europas, und Benedikt XVI., den „Friedenspapst“, vor Augen
hatte. Seine Wahl zum Pontifex hatte ihn überrascht und erschreckt zugleich.
„Einen Blitz aus heiterem Himmel“ hatte er, wie sein Privatsekretär Erzbischof
Georg Gänswein berichtet, seine Wahl genannt. Völlig überraschend kam am
Rosenmontag 2013 dann die Rücktrittserklärung. Als zweiter Papst, nach
CoelestinV. im Jahr 1294 schied damit ein Papst vor seinem Tod aus dem Amt.
Bayerische Herkunft
Grundständig sind die Wurzeln von Joseph Ratzinger, dem Papst aus Bayern, der
als Sohn von Joseph Maria, am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn geboren
wurde. Der bayerische Katholizismus, die weißblauen Wolken und die
Zwiebelturm-Kirchen, sie haben den Jungen geprägt. Tittmoning, Aschau am Inn,
Hufschlag bei Traunstein – dies waren die frühen Stationen seiner Kindheit,
doch Hufschlag war, wie er seiner Autobiographie „Aus meinem Leben“ schreibt,
die eigentliche Heimat der Familie. Ungetrübt war seine Jugend während des
NS-Regimes und dem Zweiten Weltkrieg nicht. Ratzinger wird als Flakhelfer und
zum Reicharbeitsdienst eingezogen. Als amerikanischer Kriegsgefangener kampiert
er sechs Wochen mit 50 000 anderen Gefangenen bei Ulm. Nach dem Krieg studiert
er katholische Theologie und Philosophie in Freising und München; Professuren
führten den Frühbegabten und Berater des II. Vatikanischen Konzils nach München,
später nach Bonn, Münster, Tübingen und 1969 – endlich – wieder in die
bayerische Heimat – an die Universität Regensburg.
Ein Tag im Leben
des Papa emeritus
Seit seinem
Rücktritt 2013 lebt Papst Benedikt XVI., Papa emeritus, zusammen
mit Georg Gänswein und vier Ordensschwestern im Klausurkloster Mater Ecclesiae
inmitten der Vatikanischen Gärten. Geistig ist er „topfit“, das Gehen fällt ihm
schwerer, er hat einen Herzschrittmacher bekommen und ist auf dem linken Auge
fast völlig erblindet – Angst vor dem Tod hat er allerdings keine. Sein
„Klösterchen“ verlässt der kaum; er führt das Leben eines Mönchs. Nach der
Heiligen Messe am Morgen, Benedikt ist eigentlich kein Frühaufsteher, ist der
Tag mit Lesen, Musik, Klavierspielen, privaten Gesprächen und Briefen
ausgefüllt: nach dem Mittagessen 13.30 Uhr gibt es eine Siesta. Und nach der
Abendandacht geht Ratzinger früh ins Bett. Er ist kein „Schattenpapst“, die bei
seinem Rücktritt gelobte Nichteinmischung in die Geschäfte seines
Amtsnachfolgers Papst Franziskus I. befolgt er konsequent.
Ein Blick zurück 2005 – 2013
Leicht hatte es Benedikt XVI. während seines Pontifikates nicht – international
hochgeachtet, waren es immer wieder die eigenen Landsleute, die den scheuen
Mystiker, für den die Wahrheit aus dem Inneren, aus der Gottes- und
Nächstenliebe kommt, kritisch begleiteten. Zu unpolitisch murrten die einen, zu
konservativ die anderen. Oft wurde er mißverstanden, wollte man ihn
mißverstehen – den großen Kirchenmann, der mehr Theologe als ein medialer
Medienstar wie sein Vorgänger Johannes Paul II. war. Ratzinger liebt die leisen
Töne – und das oft scheue Auftreten ist die äußerliche Antwort eines Denkers und
gottesfürchtigen Menschen. Gelebte Innerlichkeit und Gottesglaube sind die
Basis wirklicher Liebe. Gott ist die Liebe – so lautete die erste Enzyklika
„Deus caritas est“. Aber Ratzinger kritisiert nicht blindlings die Welt, in der
er lebt, aber er diagnostiziert der Moderne den „Zustand der Apostasie, des
Glaubensabfalls“. Es ist der moderne Relativismus, der für den Missionar des
alten Europas der Stachel im Fleisch des Glaubens ist. Sein Kampf gilt der
säkularisierten Gesellschaft und er wirbt für eine Erneuerung der Kirche und
des Menschen, die nur jenseits von materieller Glückseligkeit und Selbstverliebtheit
möglich ist. Von Entweltlichung hatte er in Freiburg gesprochen, und von den
Christen fordert er, das „Salz der Erde“ zu sein – gegen den Relativismus der
Werte aufzubegehren und aus der Selbstverliebtheit heraustreten.
Neben den großen theologischen Fragen zum Verhältnis von Vernunft und Glaube
appelliert Benedikt immer wider an die Nächstenliebe, plädiert für „Regeln der
Gerechtigkeit“, die erst ein soziales Miteinander in einer globalisierten Welt
erlauben. Der technische Machbarkeitswahn ist ihm nicht nur Gnade, sondern auch
die Möglichkeit des Bösen. Einer durchtechnisierten Welt samt der darin
waltenden Unlogik des Konsums stellt er – neben dem klassischen Umweltschutz –
eine Ökologie des Menschen, eine „Humanökologie“ gegenüber und fordert im
Angesicht von Krieg, Armut und Verfolgung weltweite Solidarität. Nur ein neues
moralisches Koordinatensystem aus dem ursprünglichen Geist des Christentums
gewachsen, kann das das Leid in der Welt verändern.
Bei seinem Plädoyer für Europa vor dem Deutschen Bundestag 2011 hat Benedikt
XVI. vor einem Absinken in die Bedeutungslosigkeit dieses Europas gewarnt. Schon
2007 in Mariazell betonte er: „Das Haus Europa wird nur dann ein für alle gut
bewohnbarer Ort, wenn es auf einem soliden kulturellen und moralischen
Fundament von gemeinsamen Werten aufbaut […]. Europa kann und darf seine christlichen
Wurzeln nicht verleugnen. Sie sind ein Ferment unserer Zivilisation auf dem Weg
in das dritte Jahrtausend.“ Der „Status der Kulturlosigkeit“ tritt ein, wenn
die kulturellen Werte und Normen des christlichen Abendlandes zugunsten eines
entgrenzten Kapitalismus, in der nur die Rendite zählt, und zugunsten einer
rein medialen Infrastruktur ausgetauscht werden. Benedikt warnte schon 2009 in
der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ vor den „Wundern der Finanzwelt“.
Dieser „prometheischen Anmaßung“ der Akteure auf den Finanzmärkten ist nur
durch eine Freiheit zu begegnen, die die Spiritualität in den Mittelpunkt
stellt und den Menschen nicht dem Markterfolg unterordnet, ihm zum Produkt der
Märkte macht. Benedikt aber weiß: „Weil der Mensch immer frei bleibt und weil
seine Freiheit immer auch brüchig ist, wird es nie das endgültig eingerichtete
Reich des Guten in dieser Welt geben.“
„Il pastore tedesco“ lautete die Überschrift im „Manifesto“ nach der Papstwahl.
„Pastore“ bedeutet „Hirte“ – und unter diesem Credo hat Benedikt XVI. sein fast
8-jähriges Pontifikat gespannt. Das Amt hat ihn gefordert und herausgefordert.
Herausgefordert wurde er mit seinem Langmut
gegenüber der Piusbrüderschaft. In diesem rein kirchenrechtlichen
Verfahren hat er die Pius-Brüder, die das Zweite Vatikanische Konzil nicht
anerkennen, niemals rehabilitiert, sie blieben suspendiert. Als guter Hirte ist
er, für viele nicht energisch genug, gegen Bischöfe vorgegangen, die über
Missbrauchsfälle in ihren Diözesen nicht aufgeklärt hatten. Undurchsichtige Geldgeschäfte
im Vatikan und die „Vatileaks“-Affäre – sie haben ihre Spuren beim „einfachen
und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn“, so die ersten Worte als Papst am 19. April 2005, hinterlassen. Seinen
Rücktritt hat Benedikt XVI. nie bereut. Die Entscheidung hatte er damals gut
abgewogen, und heute weiß er um so mehr, dass sein Schritt richtig war.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.