Erschienen in Ausgabe: No 113 (07/2015) | Letzte Änderung: 18.07.15 |
von Wolfgang Ockenfels
Mit dieser Parole hat Thomas Carlyle im 19. Jahrhundert aus
dem asketischen Geist der protestantischen Arbeitsethik etwas gegen die bloße
Gewinn- und Wachstumshoffnung ausrichten wollen, damit aber zugleich zur
Hypostasierung des Arbeitsbegriffs beigetragen, von dem sich wohl auch ein
wenig die Katholische Soziallehre hat anstecken lassen. Freilich hatte Johannes
Paul II. in seiner Enzyklika „Laborem exercens“ (1981) nicht bloß die Arbeit
(als abhängige Erwerbstätigkeit) in ihrem Verhältnis zum Kapital im Visier.
Sondern auch die geistige Form der Arbeit. Seine Arbeit an sozialethischen
Konzepten zielte auf die Widerlegung des Marxismus-Leninismus und hat zur
Erledigung des östlichen Staatssozialismus beigetragen. Ein schönes, gern
erwähntes Beispiel für die Wirkungsgeschichte der Katholischen Soziallehre, mit
der sich damals nicht nur Politiker, sondern sogar Intellektuelle ernsthaft
beschäftigten.
Mit der „Globalisierung“ nach 1989 schienen die alten
sozialen Fragen ausgeräumt, die sozialistischen Utopien ausgeträumt zu sein.
Aber vielleicht trifft inzwischen eher die witzige Warnung Kurt Tucholskys zu:
„Der Sozialismus wird erst siegen, wenn es ihn nicht mehr gibt.“ Unter der
westlichen Freiheitsfahne breitete sich zunächst die Hoffnung aus, daß sich
künftig ein Liberalismus (welcher?) in Verbindung mit kapitalistischen
Gewinninteressen
quasi geschichtsnotwendig und weltweit („Ende der
Geschichte“) ausbreiten würde. Dieser Erwartung ist allerdings die
Realgeschichte nicht gefolgt. Das voraussetzungslose Freiheitsverständnis
konnte nicht begreifen, daß es Kulturen, Weltanschauungen und Religionen geben
könnte, die sich nicht einfach „westlich“ vereinnahmen lassen.
Jedenfalls wollen sich China und Rußland, Afrika und
Lateinamerika, die buddhistische, hinduistische und islamische Welt nicht ohne
weiteres dem Druck, den Konditionen „des Westens“ unterwerfen. Sie wollen sich
vor allem keine neokolonialistische „Diktatur des Relativismus“ (Joseph
Ratzinger, 2005) gefallen lassen. Zu dieser sanften Diktatur bekennen sich
unausgesprochen vor allem jene, welche das Fortbestehen religiöser Traditionen
und Kulturen, überhaupt aller Wahrheitsansprüche unter Ideologieverdacht
stellen, ohne diesen Verdacht nach seinem Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Diese Überprüfung hat die katholische Kirche am wenigsten zu
befürchten, da es ihrer akademischen Theologie schon immer darum ging, den
christlichen Glauben mit der allgemein menschlichen Vernunft in Übereinstimmung
zu bringen – oder wenigstens in ein widerspruchsfreies Verhältnis. Aber was
bedeutet heute noch Vernunft? Und gibt es überhaupt noch eine klare und
distinkte Philosophie, die sich der Erfahrung, dem Phänomen des Glaubens
adäquat nähern kann? Es gibt schon lange nicht mehr die Philosophie, die der
Theologie die Kategorien undBegriffe überliefern und damit zu einer Synthese führen könnte, wie sie
mittelalterlich von Thomas von Aquin geleistet wurde.
An der modernen pluralistischen Zerrissenheit leidet
natürlich vor allem eine religiös normative Soziallehre, die sich nicht
risikolos und unkritisch irgendeiner sozial- oder politikwissenschaftlichen
Hypothese anschließen kann, deren Geltung schon morgen überholt sein wird.
Woher bezieht die Katholische Soziallehre die Kriterien ihrer Kritik, die
zugleich als Aufbaukriterien einer reformierbaren Gesellschaft und Wirtschaft
gelten können? Und zwar weltweit?
Solche geschichtsübergreifenden Wertkriterien sind der
Kirche seit zweitausend Jahren durchaus vertraut, und zwar in biblischer wie auch
naturrechtlich-vernünftiger Begründung. In ihrer eigenen Geschichte hat diese
Kirche auch genügend Lehrgeld bezahlen müssen, das in ihre Lehrtradition
eingeflossen ist. Die vielen Erfahrungen, die diese Kirche auf dem Buckel hat,
macht sie nicht gerade attraktiv für eine Gegenwart, die auf das jeweils Neue
fixiert ist und Analogien zur Vergangenheit ungern zuläßt. Schlimm wäre es
freilich, wenn sich diese Kirche von ihrer eigenen sozialethischen Tradition
ablösen könnte, indem sie sich den bloß spontanen, gefühlsmäßigen, zeitgemäßen,
rein religiös-mystischen Betroffenheiten öffnete.
Die katholisch-sozialethische Systematik bedarf durchaus
einer päpstlich approbierten Lehre, die sich in eine Kontinuität einfügt, wie
sie von Papst Benedikt XVI. vorgezeichnet wurde. Der inzwischen emeritierte
Papst hat Erhebliches zur Festigung und Weiterentwicklung der Katholischen
Soziallehre geleistet, indem er moraltheologische und sozialethische Belange,
offenbarungstheologische und natur-rechtliche Aspekte, die tugendethischen mit
strukturethischen Linien vermittelte. Der Nachfolger scheint an diesen
systematischen Fragen weniger interessiert zu sein. Aber auch ein praktischer
Pastoralpapst müßte an der grundsätzlich-ethischen Lösung
politisch-ökonomischer Fragen der Gegenwart interessiert sein. Und er täte gut
daran, den Spuren seines großen Vorgängers zu folgen.
Die Katholische Soziallehre hat einen schweren Stand in
einer Zivilisation, die den christlichen Glauben verwässert, das Soziale durch
Sexuelles verdrängt, traditionelle Werte und kulturelle Identitäten auflöst und
kirchliche Lehrtraditionen mit Fundamentalismus gleichsetzt. Dies namentlich im
„freien Westen“, dessen Freiheitsverheißungen für andere Kulturen immer weniger
anziehend wirken. Die relativistische Freiheitsideologie ist dabei, sich selber
ad absurdum zu führen, indem sie auf die Probleme, die sie selber erzeugt hat,
mit autoritären Mitteln, mit freiheitsberaubenden Kontrollen und Eingriffen
reagiert. Zum Schaden der freiheitlichen Ordnungsformen von Demokratie und
Marktwirtschaft.
Die Akkumulation der Probleme (Ehe und Familie, Erziehung,
Demographie, Sozialstaat, Einwanderung, Islamisierung, Terrorismus, Ökologie,
Europa, Finanzkrisen etc.) läßt sich nicht sozialtechnologisch lösen, sondern
bedarf der Arbeit an sozialethischen Ordnungskonzepten, an denen sich
gefälligst vor allem die Kirchen und ihre Sozialethiker zu beteiligen haben.
Diese Arbeit vertreibt die Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf einen
Himmel auf Erden.
[c] Die neue Ordnung: Nr. 3/2015 Juni
http://www.die-neue-ordnung.de/
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