Erschienen in Ausgabe: No. 36 (2/2009) | Letzte Änderung: 27.03.09 |
von Papst Benedikt XVI.
Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!
Die Aufhebung der Exkommunikation für die vier von Erzbischof Lefebvre im Jahr
1988 ohne Mandat des Heiligen Stuhls geweihten Bischöfe hat innerhalb und
außerhalb der katholischen Kirche aus vielfältigen Gründen zu einer
Auseinandersetzung von einer Heftigkeit geführt, wie wir sie seit langem nicht
mehr erlebt haben. Viele Bischöfe fühlten sich ratlos vor einem Ereignis, das
unerwartet gekommen und kaum positiv in die Fragen und Aufgaben der Kirche von
heute einzuordnen war.
Auch wenn viele Hirten und Gläubige den Versöhnungswillen
des Papstes grundsätzlich positiv zu werten bereit waren, so stand dagegen doch
die Frage nach der Angemessenheit einer solchen Gebärde angesichts der
wirklichen Dringlichkeiten gläubigen Lebens in unserer Zeit. Verschiedene
Gruppierungen hingegen beschuldigten den Papst ganz offen, hinter das Konzil
zurückgehen zu wollen: eine Lawine von Protesten setzte sich in Bewegung, deren
Bitterkeit Verletzungen sichtbar machte, die über den Augenblick hinausreichen.
So fühle ich mich gedrängt, an Euch, liebe Mitbrüder, ein klärendes Wort zu
richten, das helfen soll, die Absichten zu verstehen, die mich und die
zuständigen Organe des Heiligen Stuhls bei diesem Schritt geleitet haben. Ich
hoffe, auf diese Weise zum Frieden in der Kirche beizutragen.
Eine für mich nicht vorhersehbare Panne bestand darin, dass die Aufhebung der
Exkommunikation überlagert wurde von dem Fall Williamson. Der leise Gestus der
Barmherzigkeit gegenüber vier gültig, aber nicht rechtmäßig geweihten Bischöfen
erschien plötzlich als etwas ganz anderes: als Absage an die
christlich-jüdische Versöhnung, als Rücknahme dessen, was das Konzil in dieser
Sache zum Weg der Kirche erklärt hat. Aus einer Einladung zur Versöhnung mit
einer sich abspaltenden kirchlichen Gruppe war auf diese Weise das Umgekehrte
geworden: ein scheinbarer Rückweg hinter alle Schritte der Versöhnung von
Christen und Juden, die seit dem Konzil gegangen wurden und die mitzugehen und
weiterzubringen von Anfang an ein Ziel meiner theologischen Arbeit gewesen war.
Dass diese Überlagerung zweier gegensätzlicher Vorgänge eingetreten ist und den
Frieden zwischen Christen und Juden wie auch den Frieden in der Kirche für
einen Augenblick gestört hat, kann ich nur zutiefst bedauern. Ich höre, dass
aufmerksames Verfolgen der im Internet zugänglichen Nachrichten es ermöglicht
hätte, rechtzeitig von dem Problem Kenntnis zu erhalten. Ich lerne daraus, dass
wir beim Heiligen Stuhl auf diese Nachrichtenquelle in Zukunft aufmerksamer
achten müssen. Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser
wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu
müssen glaubten. Um so mehr danke ich den jüdischen Freunden, die geholfen
haben, das Missverständnis schnell aus der Welt zu schaffen und die Atmosphäre
der Freundschaft und des Vertrauens wiederherzustellen, die – wie zur Zeit von
Papst Johannes Paul II. – auch während der ganzen Zeit meines Pontifikats
bestanden hatte und gottlob weiter besteht.
Eine weitere Panne, die ich ehrlich bedaure, besteht darin, dass Grenze und
Reichweite der Maßnahme vom 21. 1. 2009 bei der Veröffentlichung des Vorgangs
nicht klar genug dargestellt worden sind. Die Exkommunikation trifft Personen,
nicht Institutionen. Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag bedeutet die Gefahr
eines Schismas, weil sie die Einheit des Bischofskollegiums mit dem Papst in
Frage stellt. Die Kirche muss deshalb mit der härtesten Strafe, der
Exkommunikation, reagieren, und zwar, um die so Bestraften zur Reue und in die
Einheit zurückzurufen. 20 Jahre nach den Weihen ist dieses Ziel leider noch
immer nicht erreicht worden. Die Rücknahme der Exkommunikation dient dem
gleichen Ziel wie die Strafe selbst: noch einmal die vier Bischöfe zur Rückkehr
einzuladen. Diese Geste war möglich, nachdem die Betroffenen ihre
grundsätzliche Anerkennung des Papstes und seiner Hirtengewalt ausgesprochen
hatten, wenn auch mit Vorbehalten, was den Gehorsam gegen seine Lehrautorität
und gegen die des Konzils betrifft. Damit komme ich zur Unterscheidung von
Person und Institution zurück. Die Lösung der Exkommunikation war eine Maßnahme
im Bereich der kirchlichen Disziplin: Die Personen wurden von der Gewissenslast
der schwersten Kirchenstrafe befreit. Von dieser disziplinären Ebene ist der doktrinelle
Bereich zu unterscheiden. Dass die Bruderschaft Pius’ X. keine kanonische
Stellung in der Kirche hat, beruht nicht eigentlich auf disziplinären, sondern
auf doktrinellen Gründen. Solange die Bruderschaft keine kanonische Stellung in
der Kirche hat, solange üben auch ihre Amtsträger keine rechtmäßigen Ämter in
der Kirche aus. Es ist also zu unterscheiden zwischen der die Personen als
Personen betreffenden disziplinären Ebene und der doktrinellen Ebene, bei der
Amt und Institution in Frage stehen. Um es noch einmal zu sagen: Solange die
doktrinellen Fragen nicht geklärt sind, hat die Bruderschaft keinen kanonischen
Status in der Kirche und solange üben ihre Amtsträger, auch wenn sie von der
Kirchenstrafe frei sind, keine Ämter rechtmäßig in der Kirche aus.
Angesichts dieser Situation beabsichtige ich, die Päpstliche Kommission
„Ecclesia Dei“, die seit 1988 für diejenigen Gemeinschaften und Personen
zuständig ist, die von der Bruderschaft Pius’ X. oder ähnlichen Gruppierungen
kommend in die volle Gemeinschaft mit dem Papst zurückkehren wollen, in Zukunft
mit der Glaubenskongregation zu verbinden. Damit soll deutlich werden, dass die
jetzt zu behandelnden Probleme wesentlich doktrineller Natur sind, vor allem
die Annahme des II. Vatikanischen Konzils und des nachkonziliaren Lehramts der
Päpste betreffen. Die kollegialen Organe, mit denen die Kongregation die
anfallenden Fragen bearbeitet (besonders die regelmäßige Kardinalsversammlung
an den Mittwochen und die ein- bis zweijährige Vollversammlung), garantieren
die Einbeziehung der Präfekten verschiedener römischer Kongregationen und des
weltweiten Episkopats in die zu fällenden Entscheidungen. Man kann die
Lehrautorität der Kirche nicht im Jahr 1962 einfrieren – das muss der
Bruderschaft ganz klar sein. Aber manchen von denen, die sich als große
Verteidiger des Konzils hervortun, muss auch in Erinnerung gerufen werden, dass
das II. Vaticanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer ihm
gehorsam sein will, muss den Glauben der Jahrhunderte annehmen und darf nicht
die Wurzeln abschneiden, von denen der Baum lebt.
Ich hoffe, liebe Mitbrüder, dass damit die positive Bedeutung wie auch die
Grenze der Maßnahme vom 21. 1. 2009 geklärt ist. Aber nun bleibt die Frage: War
das notwendig? War das wirklich eine Priorität? Gibt es nicht sehr viel
Wichtigeres? Natürlich gibt es Wichtigeres und Vordringlicheres. Ich denke,
dass ich die Prioritäten des Pontifikats in meinen Reden zu dessen Anfang
deutlich gemacht habe. Das damals Gesagte bleibt unverändert meine Leitlinie.
Die erste Priorität für den Petrusnachfolger hat der Herr im Abendmahlssaal
unmissverständlich fixiert: „Du aber stärke deine Brüder“ (Lk 22,32). Petrus
selber hat in seinem ersten Brief diese Priorität neu formuliert: „Seid stets
bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die in
euch ist“ (1 Petr 3,15). In unserer Zeit, in der der Glaube in weiten Teilen
der Welt zu verlöschen droht wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet,
ist die allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen in dieser Welt und den
Menschen den Zugang zu Gott zu öffnen. Nicht zu irgendeinem Gott, sondern zu
dem Gott, der am Sinai gesprochen hat; zu dem Gott, dessen Gesicht wir in der
Liebe bis zum Ende (Joh 13,1) – im gekreuzigten und auferstandenen Jesus
Christus erkennen. Das eigentliche Problem unserer Geschichtsstunde ist es,
dass Gott aus dem Horizont der Menschen verschwindet und dass mit dem Erlöschen
des von Gott kommenden Lichts Orientierungslosigkeit in die Menschheit hereinbricht,
deren zerstörerische Wirkungen wir immer mehr zu sehen bekommen.
Die Menschen zu Gott, dem in der Bibel sprechenden Gott zu führen, ist die
oberste und grundlegende Priorität der Kirche und des Petrusnachfolgers in
dieser Zeit. Aus ihr ergibt sich dann von selbst, dass es uns um die Einheit
der Glaubenden gehen muss. Denn ihr Streit, ihr innerer Widerspruch, stellt die
Rede von Gott in Frage. Daher ist das Mühen um das gemeinsame Glaubenszeugnis
der Christen – um die Ökumene – in der obersten Priorität mit eingeschlossen.
Dazu kommt die Notwendigkeit, dass alle, die an Gott glauben, miteinander den
Frieden suchen, versuchen einander näher zu werden, um so in der
Unterschiedenheit ihres Gottesbildes doch gemeinsam auf die Quelle des Lichts
zuzugehen – der interreligiöse Dialog. Wer Gott als Liebe bis ans Ende
verkündigt, muss das Zeugnis der Liebe geben: den Leidenden in Liebe zugewandt
sein, Hass und Feindschaft abwehren – die soziale Dimension des christlichen
Glaubens, von der ich in der Enzyklika „Deus caritas est“ gesprochen habe.
Wenn also das Ringen um den Glauben, um die Hoffnung und um die Liebe in der
Welt die wahre Priorität für die Kirche in dieser Stunde (und in
unterschiedlichen Formen immer) darstellt, so gehören doch auch die kleinen und
mittleren Versöhnungen mit dazu. Dass die leise Gebärde einer hingehaltenen
Hand zu einem großen Lärm und gerade so zum Gegenteil von Versöhnung geworden
ist, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber nun frage ich doch: War und ist es
wirklich verkehrt, auch hier dem Bruder entgegenzugehen, „der etwas gegen dich
hat“ und Versöhnung zu versuchen (vgl. Mt 5,23f)? Muss nicht auch die zivile
Gesellschaft versuchen, Radikalisierungen zuvorzukommen, ihre möglichen Träger
– wenn irgend möglich – zurückzubinden in die großen gestaltenden Kräfte des
gesellschaftlichen Lebens, um Abkapselung und all ihre Folgen zu vermeiden?
Kann es ganz falsch sein, sich um die Lösung von Verkrampfungen und Verengungen
zu bemühen und dem Raum zu geben, was sich an Positivem findet und sich ins
Ganze einfügen lässt? Ich habe selbst in den Jahren nach 1988 erlebt, wie sich
durch die Heimkehr von vorher von Rom sich abtrennenden Gemeinschaften dort das
innere Klima verändert hat; wie die Heimkehr in die große, weite und gemeinsame
Kirche Einseitigkeiten überwand und Verkrampfungen löste, so dass nun daraus
positive Kräfte für das Ganze wurden. Kann uns eine Gemeinschaft ganz
gleichgültig sein, in der es 491 Priester, 215 Seminaristen, 6 Seminare, 88
Schulen, 2 Universitäts-Institute, 117 Brüder und 164 Schwestern gibt? Sollen
wir sie wirklich beruhigt von der Kirche wegtreiben lassen? Ich denke zum
Beispiel an die 491 Priester. Das Geflecht ihrer Motivationen können wir nicht
kennen. Aber ich denke, dass sie sich nicht für das Priestertum entschieden
hätten, wenn nicht neben manchem Schiefen oder Kranken die Liebe zu Christus da
gewesen wäre und der Wille, ihn und mit ihm den lebendigen Gott zu verkünden.
Sollen wir sie einfach als Vertreter einer radikalen Randgruppe aus der Suche
nach Versöhnung und Einheit ausschalten? Was wird dann werden?
Gewiss, wir haben seit langem und wieder beim gegebenen Anlass viele Misstöne
von Vertretern dieser Gemeinschaft gehört – Hochmut und Besserwisserei,
Fixierung in Einseitigkeiten hinein usw. Dabei muss ich der Wahrheit wegen
anfügen, dass ich auch eine Reihe bewegender Zeugnisse der Dankbarkeit
empfangen habe, in denen eine Öffnung der Herzen spürbar wurde. Aber sollte die
Großkirche nicht auch großmütig sein können im Wissen um den langen Atem, den
sie hat; im Wissen um die Verheißung, die ihr gegeben ist? Sollten wir nicht
wie rechte Erzieher manches Ungute auch überhören können und ruhig aus der Enge
herauszuführen uns mühen? Und müssen wir nicht zugeben, dass auch aus
kirchlichen Kreisen Misstönendes gekommen ist? Manchmal hat man den Eindruck,
dass unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe benötigt, der gegenüber es
keine Toleranz zu geben braucht; auf die man ruhig mit Hass losgehen darf. Und
wer sie anzurühren wagte – in diesem Fall der Papst –, ging auch selber des
Rechts auf Toleranz verlustig und durfte ohne Scheu und Zurückhaltung ebenfalls
mit Hass bedacht werden.
Liebe Mitbrüder, in den Tagen, in denen mir in den Sinn kam, diesen Brief zu
schreiben, ergab es sich zufällig, dass ich im Priesterseminar zu Rom die
Stelle aus Gal 5,13–15 auslegen und kommentieren musste. Ich war überrascht,
wie direkt sie von der Gegenwart dieser Stunde redet: „Nehmt die Freiheit nicht
zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! Das ganze Gesetz
wird in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie
dich selbst! Wenn ihr einander beißt und zerreißt, dann gebt acht, dass ihr
euch nicht gegenseitig umbringt.“ Ich war immer geneigt, diesen Satz als eine
der rhetorischen Übertreibungen anzusehen, die es gelegentlich beim heiligen
Paulus gibt. In gewisser Hinsicht mag er dies auch sein. Aber leider gibt es
das „Beißen und Zerreißen“ auch heute in der Kirche als Ausdruck einer schlecht
verstandenen Freiheit. Ist es verwunderlich, dass wir auch nicht besser sind
als die Galater? Dass uns mindestens die gleichen Versuchungen bedrohen? Dass
wir den rechten Gebrauch der Freiheit immer neu lernen müssen? Und dass wir
immer neu die oberste Priorität lernen müssen: die Liebe? An dem Tag, an dem
ich darüber im Priesterseminar zu reden hatte, wurde in Rom das Fest der
Madonna della Fiducia – unserer Lieben Frau vom Vertrauen – begangen. In der
Tat – Maria lehrt uns das Vertrauen. Sie führt uns zum Sohn, dem wir alle
vertrauen dürfen. Er wird uns leiten – auch in turbulenten Zeiten. So möchte
ich am Schluss all den vielen Bischöfen von Herzen danken, die mir in dieser
Zeit bewegende Zeichen des Vertrauens und der Zuneigung, vor allem aber ihr
Gebet geschenkt haben. Dieser Dank gilt auch allen Gläubigen, die mir in dieser
Zeit ihre unveränderte Treue zum Nachfolger des heiligen Petrus bezeugt haben.
Der Herr behüte uns alle und führe uns auf den Weg des Friedens. Das ist ein
Wunsch, der spontan aus meinem Herzen aufsteigt, gerade jetzt zu Beginn der Fastenzeit,
einer liturgischen Zeit, die der inneren Läuterung besonders förderlich ist und
die uns alle einlädt, mit neuer Hoffnung auf das leuchtende Ziel des
Osterfestes zu schauen.
Mit einem besonderen Apostolischen Segen verbleibe ich
im Herrn Euer
Benedictus PP. XVI.
Aus dem Vatikan, am 10. März 2009
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Heiligen Stuhls:
www.vatican.va
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