Erschienen in Ausgabe: No 118 (12/2015) | Letzte Änderung: 01.12.15 |
von Siegmar Faust
Es war ganz zu Beginn der neunziger Jahre, als ich
irgendwie, denn genau weiß ich es nicht, als Dissident und freigekaufter
politischer Häftling unter die Bürgerrechtler geriet, mit denen ich mich
anfangs gar nicht gut verstand, weil sie ja die DDR retten und einen
„Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ herstellen wollten. Ich hingegen
verstand mich mittlerweile als unversöhnlicher Antikommunist und hatte seit
1988 als Chefredakteur der Zeitschrift „DDR heute“ über der Überschrift das
Motto „Die Mauer muss weg!“ veröffentlicht. Im Oktober 1989 hatten wir mit
Unterstützung der ebenso als rechts verschrienen Internationalen Gesellschaft
für Menschenrechte (IGFM) noch einen gut besuchten Kongress in Frankfurt am
Main veranstaltet unter dem Motto „Deutschland, einig Vaterland?“.
Damit galt ich selbst im Westen als Entspannungsstörer und
Rechtsaußen, so dass sich auch der Verfassungsschutz für mich interessierte.
Selbst Altbundeskanzler Helmut Kohl gab zu: „Schon in den siebziger Jahren war
die Einheit nur noch für wenige in unserem Land eine Herzensangelegenheit. Wer
damals für die Einheit eintrat, galt als Ewiggestriger oder Kriegstreiber.“
Nun saß ich also mit Bürgerrechtlern und Günter Schabowski
in einem Vorraum der Ost-Berliner Akademie der Künste. Schon im Vorgespräch zu
der anschließenden Podiumsdiskussion gerieten Schabowski und ich dermaßen
aggressiv und lautstark aneinander, dass ich in ihm den typischen
Brutalo-Funktionär der SED-Diktatur zu erkennen glaubte. Aber mich konnte nach
insgesamt 17 Monaten Stasi-Untersuchungshaft nichts mehr einschüchtern.
Doch als die Veranstaltung eine Stunde danach auf einer Art
Rundbühne begann und wir von der Bühnenbeleuchtung geblendet kaum das Publikum
erkennen konnten, erschütterte mich Schabowski auf überraschende Weise. Denn
auf einmal gab er sich ganz milde und bedauerte, dass „solche wertvollen
Menschen“, und er wies mit beiden Händen auf die beiderseits um ihn sitzenden
Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley, Wolfgang Templin und andere, „die in unserem
Staat nicht anerkannt, sondern drangsaliert worden“ waren. Er kam wohl gar
nicht bis zum Ende seines Satzes, weil aus der Dunkelheit des Publikums
Buh-Rufe und Schmähworte wie „Heuchler!“ erschallten. Plötzlich tat er mir
trotz eines Anflugs von Schadenfreude etwas leid.
Anschließend nach dieser mir als unerquicklich in
Erinnerung haftender Veranstaltung lud uns der Veranstalter zu einem Abendessen
ein. Doch es waren nirgendwo Tische reserviert worden, so dass wir wie zu
besten DDR-Zeiten von einem Restaurant zum anderen zogen, bis endlich der
mittlerweile dezimierte Haufen kurz hinter dem ehemaligen Grenzübergang
Checkpoint Charlie in einer griechischen Gaststätte Platz fand. Ausgerechnet an
einem der Tischenden dieser langen Tafel saß mir Schabowski gegenüber. Mir
verging fast der Appetit.
Doch wie es im richtigen Leben manchmal so sein kann,
entwickelte sich zwischen uns nach anfänglichem Zögern ein so lebhafter Dialog,
dass wir alles um uns herum vergaßen und gegen halb drei in aller Frühe als
letzte die Lokalität verließen. Draußen lag erster Schnee. Bevor wir
auseinander gingen, wies ich über die Straßenseite auf das private Mauermuseum
und sagte, dass ich dort schon einige Male zusammen mit meinem väterlichen
Freund Dr. Rainer Hildebrandt Opfer-Täter-Gespräche moderiert hatte.
„Würden Sie sich dort ebenfalls zu einem solchen Gespräch
zur Verfügung stellen?“
Spontan erwiderte er: „Nee, Herr Faust, das können Sie von
mir nicht verlangen. Das war ja eine Feindzentrale Nummer 1, äh…“
„Nun, dann glaube ich Ihnen kein Wort von dem, was Sie mir
gerade berichtet hatten!“
Er rang um Worte, kniff die Lippen zusammen, bevor er
trotzig hervor brachte: „Na gut… äh, dann mache ich das!“
Er hielt sein Wort, und so kam es endlich im März 1992
unter großer Medienpräsens zu einem öffentlichen von mir moderierten
Streitgespräch zwischen ihm und dem drei Monate älteren Journalisten,
Historiker und Schriftsteller Dieter Borkowski (1.11.1928 – 22.2.2000). Beide
hatten als Jugendliche an den versprochenen Sieg des Führers geglaubt und als
17-jährige in den Trümmern Berlins gestanden und sich gefragt: Wer war schuld,
wem haben wir das zu verdanken?
Und so gerieten beide an alte Kommunisten, die ja immer
einfache und damit für Jugendliche plausible Antworten parat hatten. Beide
machten fortan als Journalisten Karriere, doch Borkowski wurde schon abtrünnig,
nachdem er die Ereignisse am 16. und 17. Juni 1953 in Berlin genau beobachtet
hatte. Man schloss ihn bald aus der SED aus, zudem erhielt er Berufsverbot.
1960 verhaftete man ihn zum ersten Mal und hielt ihn für zwei Jahre hinter Gittern.
Fünf Jahre schrieb er anschließend anonym für die Hamburger Wochenzeitung „Die
Zeit“, was ihm erneut Gefängnis einbrachte. 1972 wurde er gegen eine
DDR-Agentin aus dem Vorzimmer des damaligen Bundesinnenministers Genscher
ausgetauscht und freigekauft.
Schabowskis Karriere ging hingegen ungebremst weiter, vor
allem nachdem er 1967 bis 1968 eine Ausbildung an der Moskauer Parteihochschule
beendet hatte. So brachte er es nicht nur zum Chefredakteur der Parteizeitung
„Neues Deutschland“, sondern stieg 1985 zum Ersten Sekretär der Bezirksleitung
der SED von Ost-Berlin auf, 1986 zum Sekretär des ZK und unterstand somit
direkt dem Generalsekretär Erich Honecker. Aufgrund dieser Position galt er
zeitweise sogar als sein Nachfolger.
Die SED-Schriftstellerin Christa Wolf erinnerte sich „an
einige der wenigen Auftritte Schabowskis im Schriftstellerverband. Vor dem
hatte man Angst“, er sei „wirklich einer der Schlimmsten vor der Wende“
gewesen.
Und dann kam das, was Kommunisten „die Wende“ nennen, also
das, was sie trotz des größten Überwachungsapparates der Welt nicht mehr
aufhalten konnten: die gewaltlose Revolution, also den sanften Zusammenbruch
nicht nur der DDR, sondern des gesamten Ostblocks.
In dieser Zeit, als die führenden SED-Bonzen sich schon vor
Angst verkrochen hatten, weil Gorbatschow nicht mehr die Panzer zu
Macht-Rettung der deutschen Genossen zur Verfügung stellte, trat Schabowski
ziemlich mutig agitierend den Massen entgegen, auch wenn er kräftig
ausgepfiffen wurde.
Mit seinem Konkurrenten Egon Krenz, dem er geistig
überlegen war, tüftelte er mit weiteren SED-Treuen hektisch einen Plan zur
Rettung der DDR aus. Kurz nach dem Sturz Honeckers und der Inthronisierung von
Krenz war Schabowski so eine Art Regierungssprecher geworden. Um eine
politische Explosion in der DDR zu verhindern, versuchte man die Luft herauszulassen,
indem man die DDR-Bewohner endlich auch in den Westen ausreisen lassen wollte.
Man war überzeugt, dass die Mehrheit, wenn sie ohnehin ein- und ausreisen
dürfe, auch wieder zurück käme, weil eine Massenflucht zu Freunden und
Verwandten in der Bundesrepublik Deutschland nach einer Weile zu viele
Unannehmlichkeiten mit sich brächte. Seit Mitte 1989 kamen einige Vertreter des
SED-Regimes zu der Erkenntnis, dass ihr System nur überleben könne, wenn man
der wachsenden Opposition etwas entgegenkomme. Zu diesem Zweck wurde
„Dialogbereitschaft“ kreiert. Schabowski gehörte zu denjenigen, die sich hier
besonders einsetzten.
Am 9. November 1989 gab die neue DDR-Regierung eine erste
öffentliche Pressekonferenz, an der auch der Klassenfeind mit seinen
Journalisten teilnehmen durfte. Auf den verschiedenen Ebenen des
Zentralkomitees, des Politbüros, den Ministerien und jenen, die Texte
auszuarbeiten hatten, ging es ziemlich drunter und drüber. Der Druck von der
Straße mit dem Ruf „Wir sind das Volk“, der überging zu dem bedrohlichen Ruf
„Wir sind ein Volk“, machte nicht nur nervös, sondern Angst. Noch waren einige
überzeugt: „Wir schaffen das!“
Obwohl ihn sein Vorgesetzter Egon Krenz zur Pressekonferenz
noch mit auf dem Weg gegeben hatte: „Du musst unbedingt über den Reisebeschluss
informieren. Das ist die Weltnachricht“, hätte Schabowski diese Thematik bald
verschlafen. Erst kurz vor Schluss fragte ein italienischer Journalist in etwas
gebrochenem Deutsch: „Herr Schabowski, Sie haben von Fehlern gesprochen.
Glauben Sie nicht, dass es war eine große Fehler, diese Reisegesetzentwurf,
das Sie haben vorgestellt vor wenigen Tagen?“ Schabowski drückte zunächst sein
Erstaunen aus, die neue Regelung sei nach seiner Kenntnis doch schon
veröffentlicht worden – was nicht stimmte. Dann suchte er aus den mitgebrachten
Unterlagen den Text des Regelungsentwurfs heraus und las daraus vor.
Auf die Nachfrage eines Bild-Zeitungsreporters „Wann tritt
das in Kraft?“ antwortete Schabowski verunsichert: „Das tritt nach meiner
Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“
Er wusste weder, ob das mit den sowjetischen Besatzern
abgesprochen, noch dass dieser Termin erst für den nächsten Tag festgelegt
worden war. Der Nachrichtensprecher sollte diese Nachricht der freien Aus- und
Einreise früh um 4 Uhr in den Nachrichten melden, wenn das Volk noch schliefe,
um bis dahin auch die Passkontroll-Offiziere informieren zu können.
Zum Glück hielt sich kein Grenzoffizier an den Schießbefehl
als die Massen immer dichter an die Grenzschranken drückten. Und als sie endlich
ohne direkten Befehl von oben geöffnet wurden, wussten vorerst wohl nur die
Wenigsten, dass damit das Ende der DDR eingeläutet worden war.
Der größte Schock für Günter Schabowski war, als er neben
den meisten anderen Politbüro-Mitgliedern von der Zentralen Schiedskommission
aus der SED-PDS, quasi aus seiner ureigenen Familie ausgeschlossen wurde.
Später gab er jedoch zu, diese Vorwürfe und den Ausschluss zunächst mit
Enttäuschung und Wut über die Heuchelei, später allerdings als Beginn seiner
geistigen Freiheit empfunden zu haben. Nun nahm er sich auch die Freiheit,
Bücher von Renegaten und Dissidenten zu lesen, die er zuvor nie eines Blickes
gewürdigt hatte: „Wir hatten doch gar keine Zeit, uns mit denen zu
beschäftigen, die uns verraten haben, die von uns abgefallen waren. Das war für
uns Abfall. Damit konnte sich die Staatssicherheit beschäftigen, doch nicht
wir. Wir hatten nach vorn zu blicken, da gab es genug Probleme, denn das
kommunistische Paradies, das Marx gesetzmäßig kommen sah, war doch nicht so
schnell zu ergreifen, wie wir es gehofft hatten, denn noch immer funkten die
Klassenfeinde dazwischen.“
Aber dann nahm er sich endlich die Zeit, zusammen mit
seiner russischen Frau Irina das berühmteste Werk eines Ketzers in die Hand
zu nehmen - Arthur Koestlers (1905-1983) Roman „Sonnenfinsternis“. Die
Hauptfigur dieses Romans war inspiriert von so alten Bolschewiki wie Nikolai
Bucharin und Karl Radek, die neben Millionen anderer Unschuldiger zu Opfern der
berüchtigten Moskauer Prozesse gemacht worden waren. Anschaulich und atemberaubend
wurde hier die willenlose Unterwerfung des Individuums unter Stalins
mörderische politische Maschinerie dargestellt.
In den 1992 eröffneten Politbüroprozessen wurde Schabowski
im Januar 1995 zusammen mit anderen auf Grund des Todes von DDR-Flüchtlingen
wegen mehrfachen Totschlags angeklagt. Nach langer Verhandlung machte das
Berliner Landgericht Schabowski zusammen mit Egon Krenz und Günther Kleiber für
den Schießbefehl an der Mauer mitverantwortlich und verurteilte Schabowski erst
im August 1997 wegen Totschlags zu einer Strafe in Höhe von drei Jahren. Seine
Anwälte gingen zwar gegen die rechtliche Würdigung des Urteils beim
Bundesgerichtshof in Revision, doch Schabowski erkannte seine moralische Schuld
an den Todesschüssen an und bat die Angehörigen der Opfer um Verzeihung. Ende
1999 trat er die Haftstrafe in Berlin-Hakenfelde an, wurde jedoch schon nach
einem knappen Jahr Haft entlassen, nachdem er vom damaligen Regierenden
Bürgermeister von Berlin begnadigt worden war.
Schabowski war einer der wenigen von den ehemaligen
SED-Bonzen, die sich nicht nur im Politbüroprozess, sondern auch weiterhin
öffentlich zu ihrer Mitverantwortung an dem DDR-Unrechtssystem bekannten und
anschließend aktiv an deren Aufarbeitung mitwirkten. Dass er dafür von den
Wendehälsen und davongekommenen Stasi- und Politoffizieren, die sich in
verschiedenen Verbänden zusammenschlossen, regelrecht gehasst und als
„Verräter“ beschuldigt wurde, kann nicht verwundern.
Was ich ihm zugutehalte ist, dass er, obwohl er von seiner
Natur her ein Machtmensch war, nie wieder Machtfunktionen annahm, die ihn bald
wieder angeboten wurden. Beruflich musste Schabowski nach dem Zusammenbruch der
DDR neu anfangen, und zwar von ganz unten als kleiner Redakteur einer lokalen
Wochenzeitung im hessischen Rotenburg an der Fulda.
Es war ja bekannt geworden, dass die oberen Funktionäre in
ihrer Wandlitz-Siedlung ziemlich geprasst haben auf Kosten des Volkes. Auch
das gab Schabowski zu, obwohl es ihm peinlich war. Nun war er durch die
Prozesse und die Anwaltskosten total verschuldet.
Und so kam es, dass wir uns fast 15 Jahre nach unserer
ersten persönlichen Begegnung in der Akademie der Künste, also im ersten
Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wieder trafen und gemeinsam mehr als ein
Dutzend Einladungen an Gymnasien zwischen Bayern, Baden Württemberg und Hamburg
für kleine, also die üblichen Honorarsätze für Referenten annahmen, die
zumeist von der Konrad-Adenauer-Stiftung gesponsert wurden.
So lernten wir uns besser kennen. Schabowski übernachtete
zweimal in meinem Mietshaus in einem Dorf bei Würzburg. Sogar meine beiden
jüngsten Söhne, damals noch Vorschulkinder, konnten sich, als von Schabowskis
Tod in den Nachrichten berichtet wurde, noch an ihn erinnern, denn er hatte sie
mit Fotos beeindruckt. Denn wenn ich mit „Schabbi“ telefonierte, quatschte
immer jemand herein. Es war aber nicht seine kluge Frau, sondern sein Papagei.
An diesen Papagei, auf dem Foto auf einer seiner Schulter sitzend, konnten sie
sich noch erinnern.
Einige DDR-Dissidenten und Haftkameraden nahmen es mir
anfangs noch übel, dass ich mit diesem angeblichen Politbonzen durch die Gegend
zog. Sie waren schwer davon zu überzeugen, dass dieser Mann, wenn auch erst
nach dem Zusammenbruch seines Staatssystems, eine gründliche Wandlung
durchmachte und so von einem Saulus zum Paulus geworden war. Meine engsten
Freunde und Glaubensbrüder einer evangelischen Bruderschaft wurden neugierig,
und so luden wir Günter Schabowski einmal zu einem unserer Konvente ein. Er war
in seiner Kindheit auch evangelisch getauft worden, so dass er in unserem
Kreise nicht nur mit uns diskutierte, sondern in Neudietendorf sogar an einem
Gottesdienst mit Abendmahl teilnahm.
In seinem letzten Buch „Wir haben fast alles falsch gemacht
– die letzten Tage der DDR“ von 2009 gibt er in einem Interview zu: „Mit
Siegmar Faust entwickelte sich danach sogar eine Art Freundschaft. Zu Beginn
war er natürlich skeptisch, aber ich habe den Kontakt mit ihm gehalten.“
Wenn wir dann vor Schülern auftraten, oft war die ganze
Aula voll, dann versuchte ich immer eine Brücke zu meinem Nachredner zu bauen,
indem ich nicht nur als Dissident und Regimegegner auftrat, sondern
berichtete, dass ich selber in meiner Jugend ein begeisterter Marxist war. In
einem Bericht der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule von 2009 hieß es:
„Faust sieht einen Zusammenhang zwischen ‚systematischer
religiöser Entwurzelung‘ in der DDR und der Verführung ihrer Jugend zur
Ersatzreligion Marxismus. Er plädiert deshalb für die Entwicklung und
Verteidigung einer echten Streitkultur, denn ‚Streit ist Demokratie‘. Den
Verlust seines eigenen Glaubens an das Dogma des Marxismus schilderte er als
sehr schmerzhaft – ‚so verliert man ja auch seinen Freundeskreis‘. Dass er
während seiner Jahre in DDR-Gefängnissen gefoltert wurde, ergänzte erst
Schabowski, der sich anschließend vorstellte. Stolzer als auf seine Leistungen
als Bürgerrechtler zeigte sich Faust auf seine Entdeckung des Dichters und
Schriftstellers Wolfgang Hilbig.
Biografisch wesentlich später erfolgte Schabowskis
Desillusionierung, der noch mit 60 als eines der jüngsten Politbüro-Mitglieder
überzeugter Marxist war. Er stellte seine ideologische Prägung als Folge der
Opposition gegen den Einfluss des Nationalsozialismus in Deutschland dar. Heute
gehe es ihm aber nicht bloß um Vermittlung von Zeitgeschichte, sondern um die
Deutung der Gegenwart, etwa um die Enttarnung der ‚Linken‘ als ‚Bankrottpartei‘,
deren Vorläufer und Geburtshelfer, die SED, den Staatsbankrott der DDR herbeigeführt
habe.“
Was wäre dem noch hinzuzufügen? Nun, ich bin froh, in
meinem Leben die Wandlung eines in das DDR-Unrechtssystem verstrickt gewesenen
Menschen hautnah miterlebt haben zu dürfen, aber auch traurig, dass es nun nur
noch die Erinnerung an diese Persönlichkeit gibt.
Günter Schabowski fasste unsere Auftritte vor Schülern sehr
treffend zusammen: „Ich wollte von ihnen wissen, wie sie es finden würden, dass
Täter und Opfer heute beisammensitzen können und miteinander diskutieren, zudem
zwei Ossis im Westen. Sie waren begeistert davon, dass dies so unkompliziert
möglich war. Das ist nur möglich, erwidere ich, wenn der Täter seine Schuld
begreift und diese Schuld beschreiben kann, und das Opfer verzeihen kann, ohne
dass beide eine heuchlerische Masche daraus machen.“
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