Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 27.03.09 |
von Peter Scholl-Latour
Die Vorstellung fällt schwer, dass vor vierzig Jahren im
Nahen Osten jener Sechstagekrieg stattgefunden hat, der dem Staat Israel nach
einem fulminanten Sieg über seine arabischen Nachbarn –Ägypten, Syrien,
Jordanien – das endgültige militärische Übergewicht verschaffen und seine
Sicherheit auf unbegrenzte Zeit verankern sollte. Seitdem ist das
Einflussgebiet des Judenstaates, wenn man von der fortschreitenden
zionistischen Besiedlung des Westjordanlandes absieht, wie ein Chagrin-Leder
geschrumpft. Auf die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Kairo und territoriale
Konzessionen auf den Golanhöhen an Damaskus folgte im Jahr 2000 die Preisgabe
des israelischen Sicherheitsgürtels im Südlibanon. Schließlich traf Ariel
Sharon die Entscheidung, seine Streitkräfte auch aus dem Gazastreifen
abzuziehen, was sich nachträglich als fataler Irrtum erweisen könnte. Im
Orient werden nämlich Gesten der Konzilianz stets als Zeichen der Schwäche
gedeutet. Nie war die Situation verworrener und hoffnungsloser im Heiligen
Land. Mochten ein paar israelische Politiker anfangs gehofft haben, dass der
zum Bürgerkrieg ausgeuferte Konflikt zwischen den Palästinenserparteien Fatah
und Hamas zur Splitterung und Schwächung ihrer arabischen Gegner führt, so sind
die Illusionen verflogen. Wie konnte nur der israelische Geheimdienst – als er
auf freie und international kontrollierte Wahlen in den palästinensischen
Autonomiegebieten pochte – ignorieren, dass sich die radikalislamische
Hamas-Bewegung, zumindest im Gazastreifen, als der weitaus stärkere Faktor
erweisen würde? Wusste man in Jerusalem denn nicht, dass der amtierende
Präsident Mahmud Abbas und seine engere Umgebung den Kontakt zu den verarmten,
elenden Massen längst verloren hatten, dass sie im Ruf einer skandalösen
Korruption, ja der heimlichen Komplizenschaft mit Amerikanern und Juden stehen?
Nicht nur der gesamte Palästina-Komplex muss neu überdacht werden. Nachdem die
Bush-Administration in Washington die Abhaltung freier Wahlen als
Voraussetzung eines jeden Friedensfortschritts im »Broader Middle East«
angepriesen hat, bringt sie sich selbst und den gesamten Westen um ihre
Glaubwürdigkeit, wenn sie das Resultat einer solchen Volksbefragung verwirft,
sobald das Resultat des Urnenganges nicht den eigenen Voraussagen und Interessen
entspricht. Die ganze Demokratie-Theorie wird über den Haufen geworfen und
jedes Gespräch mit den wirklich repräsentativen einheimischen Kräften
verweigert. Vorsicht ist offenbar geboten, wenn man sich anschickt, im
gesamten islamischen Raum dem breiten Volkswillen durch freiheitliche Wahlen
Rechnung zu tragen. Die Frage stellt sich allerdings, ob ein
radikal-islamisches Regime, wenn es einmal die Macht übernommen hat, jemals
bereit sein wird, diesen Vorteil wieder preiszugeben.
Der Sechstagekrieg von 1967 erscheint im Rückblick als historische Wende, aber
in einem ganz anderen Sinne, als die Sieger dieses phänomenalen Feldzuges es
sich vorgestellt hatten. Die Israeli, die – mit Ausnahme der orthodoxen Juden –
einer überwiegend säkularen Staatsdoktrin anhängen, haben in jener Stunde des
absoluten Triumphes die segnende Hand ihres Gottes Jahwe über ihren Heerscharen
verspürt. Von nun an war der Weg frei für die fortschreitende Besitznahme
arabischen Landes in Judäa und Samaria. Die abrahamitische Verheißung an die
Kinder Israels schien sich zu erfüllen.
Auf der arabischen Seite waren die Konsequenzen noch weit schwerwiegender.
Bislang hatte man in der islamischen Welt geglaubt, die Rückständigkeit und
mangelnde Kampfkraft der eigenen Staatswesen könnte überwunden werden, wenn
man sich die Technologie des Westens und auch dessen fortschrittliche Regierungsformen
zu eigen machte. Selbst der ägyptische Präsident Ga-mal Abdel Nasser, der bis
zu seiner Niederlage im Sommer 1967 zwischen Marokko und dem Persischen Golf
als »batal«, als Held der arabischen Wiedergeburt, als Hoffnung der
panarabischen Einigung gefeiert wurde, blieb mit seinen nationalistischen und
sozialistischen Vorstellungen zutiefst im westlichen Gedankengut verhaftet,
auch wenn er den Suezkanal verstaatlichte und Washington den Fehdehandschuh
zuwarf.
Der »Rais« Nasser war ein frommer Muslim. Die islamischen Extremisten sperrte
er jedoch in Konzentrationslager. Ihren fanatischen Wortführer Sayid Qutb ließ
er kurzerhand hinrichten. Nachdem der Nasserismus und damit das unislamische
Konzept einer »arabischen Nation« auf dem Schlachtfeld des Sinai kläglich zerbrochen
war, besannen sich die arabischen Massen darauf, dass für die wahren
Korangläubigen nur eine einzige weltweite Gemeinschaft gelten darf, nämlich
die islamische »Umma«.
Seitdem findet die theologisch vorgeschriebene Einheit von »Religion und
Staat«, ja der Vorrang der Religion über den Staat, massive Anhängerschaft.
Noch stemmt sich der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mit vielerlei Tricks
und mit Gewalt gegen den Durchbruch der Eiferer von Hamas auf der Westbank.
Doch auch in Nablus, Jenin, ja sogar in der gemäßigten Stadt Ramallah wird der
Ruf immer stärker: »El Islam hua el hall« – der Islam bietet die einzige Lösung!
(c) Mit freundlicher Genehmigung der Ullstein-Buchverlage GmbH. Der Text ist
ein Auszug aus: Peter Scholl-Latour, Der Weg in den neuen kalten Krieg,
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2008.
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