Erschienen in Ausgabe: No 41 (7/2009) | Letzte Änderung: 29.03.09 |
von Eilert Herms
Eine verstörende Nachricht: Die zuständige vatikanische
Kongregation nimmt im Namen des Papstes die Exkommunikation von vier Bischöfen
der Bruderschaft St. Pius X. zurück. Einer von ihnen, Richard Williamson,
leugnet seit langem öffentlich den Völkermord an den Juden. – Sofort stellen
sich zwei Fragen: War das bei Aufhebung der Exkommunikation bekannt? Und: Was
hätten evangelische Kirchenführer in einem vergleichbaren Fall getan?
Wer andere verstehen will, muss sich über die eigenen Grundsätze klar sein.
Die evangelischen Grundsätze sind klar: Wahnhaft den Holocaust zu leugnen ist
mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Wer das tut, verweigert die Trauer
über die Leiden des jüdischen Volkes und die Anerkennung der Schuld. Wer solche
Überzeugung äußert, dem würde die Aufnahme in die evangelische Kirche
verweigert werden. Und äußerte ein Mitglied einer Gemeinde hartnäckig solche
Überzeugungen, müsste es vom Abendmahl ausgeschlossen werden. Inhaber eines
kirchlichen Amtes wären zu suspendieren. So weit, so klar.
Sollte das in Rom anders sein? Wohl nicht. Dass der Vatikan erst nach
Veröffentlichung des Dekrets vom 21. Januar von den Äußerungen Williamsons
Kenntnis erhalten haben will, ist glaubwürdig. Gut vorstellbar, dass im
Vatikan gravierende administrative Fehler begangen wurden, nicht hingegen,
dass dort unchristliche Prinzipien herrschen. Der Fortgang bestätigte diese
günstige Meinung – erzwang aber auch ein Eingeständnis: Leitung und Leben der
römischen Kirche folgen Prinzipien und Faktoren, die die evangelische und die
übrige nichtkatholische Welt stets neu befremden und überraschen. Kopfschütteln
und Empörung darüber reichen nicht aus. Evangelische haben den ökumenischen
Partner dort zu treffen, wo er steht, und genau hinzusehen, um das Verhalten
aus dessen eigenen Motiven zu verstehen.
Befremdlich war und ist, welches Gewicht die Rückkehr zur Gemeinschaft mit den
Lefebvre-Traditionalisten für die Leitung der römisch-katholischen Kirche
besitzt. Die zahlenmäßige Größe der Gruppe rechtfertigt es nicht; erst recht
nicht ihre reaktionäre Ignoranz, die alle Errungenschaften christlicher
Aufklärung leugnet, die in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen
Konzils (1962-1965) so kraftvoll zusammengefasst sind, zum Beispiel die
Religionsfreiheit und die Dialogbereitschaft gegenüber den anderen Religionen.
Aber verständlich wird die Aufmerksamkeit, wenn man sieht: Es geht um das
Bischofsamt mit seiner nach römisch-katholischer Sicht eigenen sakramentalen
Macht (zum Beispiel zur Priesterweihe) und um die Gefahr, dass es sich gegenüber
dem Papst verselbständigt. Diese sakramentale Macht des Bischofsamtes stammt
nach römisch-katholischer Auffassung nicht vom Papst, sondern von Christus. Sie
soll in der Einheit mit dem Papst ausgeübt werden, besteht aber auch unabhängig
davon. Der Beweis: Der Vatikan erkennt auch das Bischofsamt in der Ostkirche
an. Es besteht also höchstes Interesse, die Ausübung des Bischofsamtes in der
Einheit mit dem Papst sicherzustellen.
Befremdlich für viele auch, wie wenig Rom Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit
berücksichtigt. Man denke an die Zensuren gegen die Befreiungstheologie, die
Erklärung „Dominus Jesus“, in der die evangelischen Kirchen nur „kirchliche
Gemeinschaften“, nicht aber Kirchen genannt werden, dann das päpstliche Nein zu
den katholischen Schwangerenberatungsstellen, die Regensburger Rede des
Papstes mit ihrem Zitat zur Gewaltneigung des Islam, das Karfreitagsgebet um
die Bekehrung der Juden.
Auch das ist verständlich: Der Papst – durch die Kardinäle auf Lebenszeit
gewählt – muss sich nicht der jeweils vorherrschenden öffentlichen Meinung
anpassen. Er ist auf nichts anderes verpflichtet und kraft Unabhängigkeit
seines Amtes auch dazu fähig, öffentlich für das einzutreten, was „die
Wahrheit“ ist. Vieles von dem, wofür sich der jetzige Papst und sein Vorgänger
öffentlich stark gemacht haben, findet Zustimmung über die römisch-katholische
Kirche hinaus auch bei Evangelischen und Kirchenfernen. Auch für sie ist eine
Institution ein Hoffnungszeichen, die den Gewaltigen der Politik und den
Übergewaltigen der Wirtschaft „auf Augenhöhe“ begegnet und „die Wahrheit
sagt“.
Ebenfalls befremdlich für einige, wohltuend für andere, wie ungerührt durch die
öffentliche Aufregung der Vatikan die causa W. selbst behandelt: 1. Es wird der
Verfahrensfehler anerkannt und überlegt, wie sich Wiederholungen vermeiden
lassen; 2. Die Äußerungen W.s werden als unvereinbar mit der kirchlichen Lehre
zurückgewiesen; 3. dabei die Regeln des kirchlichen Rechts eingehalten: Ihnen
zufolge würde die Aufhebung der Exkommunikation nur im Fall neuer Verstöße
zurückgenommen. Aber weitere Schritte der Wiedereingliederung und die Rückkehr
in bischöfliche Funktionen sind davon abhängig, dass die Betroffenen
„eindeutig und öffentlich“ die Holocaustleugnung zurücknehmen, das Zweite
Vatikanum und das Lehramt Johannes' XXIII. und seiner Nachfolger anerkennen.
Hätte man auf einen schweren Fehler mit einem zweiten reagieren und auf
öffentlichen Druck gegen geltendes Recht handeln sollen? Besser ist, die Kirche
geht mit eigenen Fehlern so um, wie es ihre Ordnung vorsieht.
Selten gaben die Katholiken Deutschlands so schön das Bild einer großen Familie
– Spannungen nach innen, Geschlossenheit nach außen. Erlebbar wurde: Die
nachkonziliare römisch-katholische Kirche ist keine Herde von Schafen, die
ihrem päpstlichen Hirten blindlings folgen; das Papstamt wird tatsächlich zusammen
mit den Bischöfen ausgeübt. Vorbei an den Bischöfen und vorbei an der
Zustimmung des Volkes erreicht der Papst nicht sein Ziel. Gleichzeitig herrscht
Spannung zwischen unterschiedlichsten Auffassungen über das Zweite
Vatikanische Konzil und seine Konsequenzen. Alle Streitthemen sind sofort
wieder auf dem Tisch des Hauses: die Stellung der Frau in der Kirche, der
Zölibat, die Sexualmoral, die Schwangerschaftsberatung, der Umgang mit
Geschiedenen, die ökumenischen Beziehungen.
Einigkeit gibt es nur in der Ablehnung der Traditionalisten – und der
Einmischungen von außen, insbesondere von „Protestanten“. Denen gegenüber
herrschen in der katholischen Familie Deutschlands erstaunliche Ressentiments,
deutlich in Kommentaren zur Intervention der Kanzlerin. Dass diese sich äußern
musste, ist unbestreitbar, ganz unabhängig davon, ob sie die römischen
Handlungsspielräume richtig einschätzte und Sic in geeigneter Form äußerte. Was
aber nehmen führende Katholiken in Politik und Feuilleton wahr? Durch die
Wortmeldung einer „evangelischen Pfarrerstochter“ werde „wie zu Bismarcks
Zeiten“ das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche von Protestanten bevormundet.
Das ist abwegig. Nicht ganz verständlich, dass sich auch Rom über ihr Votum
ärgerte. Natürlich sind die „deutschen Interessen“ nicht die der römischen
Weltkirche, aber sie sind doch ein Faktum. Wer sie geltend macht, kann
niemanden beleidigen, der mit allen politischen Gewalten auf Augenhöhe
verkehrt.
Ich verstehe, dass in der römisch-katholischen Lehre vom Bischofsamt Motive zu
liegen scheinen, die es gebieten, die Lefebvre-Gruppe in die Gemeinschaft mit
dem Papst zurückzuholen –wenn irgend möglich. Aber nicht um jeden Preis! Das
Konzil verlangt, dass alle Dogmen in ihrem Verhältnis dazu betrachtet werden,
was den Glauben begründet: das Christusgeschehen. Das gilt auch für die Lehre
vom Bischofsamt. Hier ist noch vieles ungeklärt. Ist es undenkbar, dass es auf
der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils zu einer Vertiefung der Lehre über
das Bischofsamt kommt, die Rom aus der Gefangenschaft der Ultras befreit? Muss
es so bleiben, dass das Wichtigste für Rom die Gemeinschaft mit den
Traditionalisten ist, die den geistlichen Lernprozess der Kirche seit dem 16.
Jahrhundert verleugnen? Könnte nicht die Gemeinschaft mit den Evangelischen,
mit denen die katholische Kirche diesen Lernprozess christlicher Aufklärung
faktisch gemeinsam durchgemacht hat, wichtiger werden? Die Wahrheit verlangt
das Letztere. Sie wird sich durchsetzen.
(c)-Vermerk: Der Nachdruck dieses Textes aus dem Magazin Chrismon
(www.chrismon.de) erfolgt mit Absprache von Professor Herms.
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