Erschienen in Ausgabe: No 118 (12/2015) | Letzte Änderung: 02.03.16 |
Bundeskanzlerin Angela Merkel leidet unter Starrsinn und Realitätsverlust. Sie muss jetzt auf die Stimme ihres Volkes hören. Die Bundesbürger haben sich nun ihrerseits eine Willkommenskultur von Seiten der Kanzlerin redlich verdient
von Stefan Groß
Noch 2015 war sie die Königin der Herzen, unangefochten
regierte Angela Merkel das Land. Man hatte sich weitgehend mit ihr arrangiert,
denn sie steuerte Deutschland aus einer Krise nach der anderen. Verziehen war
ihr, dass sie peu à peu die CDU sozialdemokratisiert hatte, das C weitgehend
aus der Partei tilgte und als vollkommene Ich-AG wie ein Ozeandampfer still und
majestätisch die stürmischen Wogen auf der Bühne Europas und der Weltpolitik
glättete. Ihre Partei hatte sie sorgsam aus der bürgerlichen Mitte heraus an
den linken Rand getragen. Aber auch dies wurde ihr verziehen. Merkels CDU wurde
in den zehn Jahren ihrer Kanzlerschaft ein Sammelsurium fast aller politischen
Meinungen, die einst diametral einander gegenüberstanden. Sie hat in den
letzten Jahren damit den Parteien aller Couleur den Wind aus den Segeln
genommen und das Projekt der Adaption unterschiedlicher Programme
perfektioniert. Mit Merkel wurde die CDU zu einem rundum Wohlfühlpaket, dass
auch Kritiker besänftigte bzw. neutralisierte. Merkel hatte es geschafft, die
Bundesrepublik zu entpolitisieren und letztendlich zu einer spießbürgerlichen
Gartenidylle gemacht, in der es sich gut leben ließ. Das angelanische Zeitalter
verströmte Behaglichkeit und in Merkelland, Merkelhand, konnte man durchaus
sein lebensweltliches Glück finden. Wellness fürs Gemüt war die ausgegebene und
gelebte Parole. Tugenden wie Ataraxie, Unerschütterlichkeit des Gemütes, stoische
Apathie, Freiheit von Affekten wie Lust, Unmut oder Neid, Autarkie,
Selbstgenügsamkeit, zählten zu den ethischen Stärken der weisen und abgeklärten
Staatslenkerin, die nicht wie Gerhard Schröder brachial und wortstark die
Insignien der Macht wie einen Bauchladen vor sich hertrug, sich der politischen
Macht mit Machogesten versicherte. Merkel agierte fast geräuschlos. Sie blieb
bescheiden wie einst das junge Mädchen von Helmut Kohl, wenngleich sich hinter
der bescheiden wirkenden Fassade das Kalkül der machtpolitischen Regentin peu à
peu verfestigte. 2016 strahlt Angela Merkel nun noch wenig davon aus, sie ist
gealtert, wirkt aggressiv. In der Flüchtlingsfrage regiert sie mit
apodiktischem Starsinn, der mit Realitätsverlust Hand in Hand geht. Derartiges
kannte man bislang von den alten Granden aus dem Kreml und aus der DDR mit dem
greisen Erich Honecker und dem noch greiseren Erich Mielke – bei einer frei
gewählten Kanzlerin in einer Demokratie ist dieses Phänomen neu.
Mitleid kann keine Triebfeder des
politischen Handelns sein
Der dritte September 2015, ein kleiner toter Junge am Strand,
mittlerweile das Symbol für das Flüchtlingsdrama, hat die Bundeskanzlerin und
mit ihr eine ganze Nation erschüttert. Die Logikerin und Physikerin war
gefordert, nicht wie bislang, mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen zu
entscheiden. Und ihre Entscheidung der Hilfe war richtig und ethisch im
höchsten Grade legitim. Aber Mitleid allein kann nicht zum Bestimmungsgrund
oder zur Triebfeder politischer Entscheidungen werden, es ist hinreichend, aber
nicht notwendig. Während Schopenhauer eine ganze Philosophie des Mitleids
entworfen hatte, um dem lebensweltlichen Pessimismus und das Leid zu
überwinden, war der Staatstheoretiker, Politiker Seneca da weitaus kritischer: „Mitleid
ist ein seelisches Leiden wegen des Anblicks fremden Elends oder Trauer auf
Grund fremden Unglücks. […] Seelenleid aber befällt einen weisen Mann nicht.“
In Deutschland rumort es kräftig
Es ist etwas faul in der Bundesrepublik, so tönt es mittlerweile selbst durch
die staatsnahen Medien, die bisher auf Kanzlerkurs fuhren. Nach dem Terrorakt
in Istanbul sind erste Karnevalsveranstaltungen abgesagt. Gutlaunige
Karnevalisten wollen die Fünfte Jahreszeit nunmehr in der Burka feiern, um vor
Übergriffen sicher zu sein. Aber auch die radikale und gefährliche Pegida und
Legida schrecken zusehends nicht mehr vor Gewaltexzessen zurück, so in Leipzig
Connewitz. Ein irrer Björn Höcke radikalisiert das Land mit einer immer mehr
nach rechts abdriftenden AfD, die die Kanzlerin in der „Zwangsjacke“ abführen
will. Selbsternannte Retter, sogenannte Bürgerwehren, Sittenwächter mit fahlen
ethischen Maximen, die das kodifizierte Recht im Sinne der Selbstgesetzgebung
und individuellen Selbstermächtigung interpretieren, laufen Amok.
Aber auch die Linken profilieren sich mit fatalen Bekenntnissen. So schrieb
Jakob Augstein zu den Ereignissen in Köln auf seiner Facebookseite: „Ein paar
grapschende Ausländer und schon reißt bei uns der Firnis der Zivilisation. “
Auch der Frontmann der Leipziger Kultband „Die Prinzen“, immer schon ganz links
außen, formulierte zum Silvesterabend: „Sie sollen es nicht so aufbauschen, dass so etwas
passiert ist völlig normal wenn soviel Männer zusammen kommen und etwas
trinken.“ Dabei hatte der Barde, den des Sängers Höflichkeit oder Intelligenz
verlassen zu haben scheint, auch die alltäglich staatfindenden sexuellen
Übergriffe, die täglich in der gesamten Bundesrepublik auf der Tagesordnung
stehen im Blick. Mittlerweile hat er sich dafür bei Plasberg „Hart aber fair“
entschuldigt. Darüber hinaus muten auch die Äußerungen von Deutschlands Justizminister
Heiko Maas (SPD) etwas pauschal an, immerhin best dressed man, wenn er Täter zu
Opfern und Opfer zu Tätern werden läßt, und wenn er Flüchtlinge per se in der
Opferrolle zu verortet.
Kritik kommt auch aus den Reihen der SPD
Das Volk
schreit auf, bekämpft sich an Biertischen und verbal in den Sozialen
Netzwerken, wie es dies in den letzten Jahren der Bundesrepublik in Gesten und
Tonfällen nicht mehr gab. Die Stimmung im Land gleicht einem Pulverfaß, das
jederzeit in die Luft zu gehen droht. Doch die Kanzlerin hält beharrlich an
ihrem Kurs fest und läßt durch ihren Bundesminister für
besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, bei „Anne Will“ verkünden, sie
habe alles im Griff, stehe fest auf der Basis des Grundrechts und diene nach
wie vor und uneingeschränkt dem Wohl des Staates. Von einer Kurskorrektur, wie
sie der Ehrenvorsitzende der CSU, Edmund Stoiber, forderte und Merkel gar ein
Ultimatum bis März setzte, davon keine Rede. Nicht nur die CSU, sondern auch
der Chef der Liberalen, Christian Lindner (FDP), hat Merkel den Kampf angesagt
und will sich politisch zwischen Merkel und Seehofer positionieren. Und auch
aus den Reihen der SPD, von Sigmar Gabriel und Altkanzler Gerhard Schröder, ist
der Unmut an Merkels Führungsrolle nicht mehr zu überhören und äußert sich, wie
jüngst in Nauen, zunehmend lautstark. Die SPD ist im Bundeswahlkampf
angekommen. Altkanzler Schröder betonte gar gegenüber dem „Handelsblatt“: „Die
Kapazitäten bei der Aufnahme, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in
Deutschland sind begrenzt. Alles andere ist eine Illusion“ und den unbegrenzten
Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland bezeichnete er als Fehler. „Man muss
den Eindruck gewinnen, als hätten nationale Grenzen keine Bedeutung mehr. Das
ist gefährlich und das ist auch nicht richtig.“ Mehr noch: Merkel hatte „viel
Herz“, aber jetzt hat sie „keinen Plan“. Es sei, so Schröder weiter, ein
zentrales Versäumnis der CDU, dass sie ein Einwanderungsgesetz stets abgelehnt
hatte und erst in der nächsten Legislaturperiode über ein Einwanderungsgesetz
verhandeln will.
Frau Merkel, das paternalistische Matriarchat und Flankenschutz von Julia
Klöckner
Ob
Verfassungsrichter kritisch den Rechtsbruch anklagen, ob die Mehrheit des Wahl-
oder Nichtwählervolkes nicht mehr auf Spur ist, interessiert in Berlin
höchstens den Sicherheitsdienst, wenn ein Landrat aus Landshut einen Bus mit
Flüchtlingen vor das Kanzleramt schickt, um so, ob sinnvoll oder nicht, seinen
Protest zu äußern. Die Kanzlerin fährt politisch-planwirtschaftlich
einen fünf oder zehn Jahre Flüchtlingsplan. Und wenn sie so weiterregiert, gibt
es in fünfzig Jahren gar keine Flüchtlinge mehr, weil alle Flüchtlingsländer
leer gesiedelt sind. Sie führt das Land, fast möchte man sagen,
als paternalistisches Matriarchat, mit
der Mütterlichkeit und der „weisen“ Voraussicht bei allen sozialen und
rechtlichen Entscheidungen und bei einer gleichzeitigen Entmündigung der
Bürger, die eh bevormundet werden müssen, weil dies zu einem starken Staat wie
die Luft zum Atmen gehört. Die sich gerade im Wahlkampf befindende
Spitzenkandidatin der CDU in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, hat Merkels
Politik flankiert und zur Staatsräson aufgerufen. Den Kritikern empfahl sie
„Einfachmal die Klappe“ zu halten.
Die Gefahr,
trotz Flankenschutz von Frau Klöckner, ist nur, dass Merkel über kurz oder lang
von ihrem Volk entmündigt wird, das mürrisch die Irrungen und Wirrungen im
Kanzleramt kommentiert und analysiert, aber in seiner Politikverdrossenheit und
Selbstgefälligkeit noch nicht den Aufstand probt.
Kritiker aus dem USA fordern Merkels Rücktritt
Derzeit gibt
es, ganz wie in der Monarchie, nur eine Wahrheit, und die heißt Merkel. Auch
wenn diese Wahrheit nicht die des Volkes ist, ist man über so viel Absolutismus
und Realitätsblindheit überrascht. Fatal, wie man an seinem Volk so vorbeireden
oder es in seinem Mehrheitswillen ignorieren kann!
Bei einer Rede zum 125.Geburtstag von Walter Eucken am 13.Januar 2016 hatte
Merkel ihren Kurs weiter bekräftigt und erklärt, es sei „relativ naiv zu
glauben, wir könnten einfach wieder zum alten Grenzkontrollregime
zurückkehren“. USA-Experten hingegen werfen Merkel umgekehrt Naivität vor. Der
amerikanische Geopolitik-Experte George Friedmann beklagt in der „Huffington
Post“ die bundesdeutschen Alleingänge und prognostiziert den Untergang
Deutschlands aus drei Gründen: 1. die Verunsicherung im Land wächst, 2. die
Integration der Flüchtlinge ist extrem schwierig und 3. verläßt sich
Deutschland zu sehr auf seine Exportgeschäfte. Anfang Januar 2016 hatte Ross
Douthats in der „New York Times“ ebenfalls kritische Töne angeschlagen und
geschrieben: Wer glaubt, „dass eine alternde, säkularisierte, bislang
weitgehend homogene Gesellschaft die Zuwanderung in einer solchen Größe und bei
derartigen kulturellen Unterschieden mutmaßlich friedlich absorbieren wird, hat
eine leuchtende Zukunft als Pressesprecher für die aktuelle deutsche Regierung.
Aber er ist auch ein Narr. Derartige Transformationen lassen eine zunehmende
Polarisierung zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen erwarten.“ Die
Schlußfolgerung, die er zog, war der Rücktritt Merkels, „damit ihr Land und der
Kontinent, der es trägt, vermeiden kann, einen zu hohen Preis zu zahlen für
ihre wohlmeinende Torheit.“
Aber vielleicht müßte Merkel gar nicht gehen, sondern nur die Wünsche und
Ängste ihres Wahlvolkes und der europäischen Staatenlenker, die immer
kritischer auf Distanz zu ihr gehen, wahrnehmen und respektieren. Wir bräuchten
neben Lichterketten für Flüchtlinge auch Lichterketten für die Bundeskanzlerin,
damit ihr ein Licht aufgeht, damit der Logos, die Vernunft, wieder den
Rechtsstaat regiert. Nicht nur die Ausländer, Flüchtlinge und Migranten sollen
sich in Deutschland wohl fühlen, auch wir Bundesbürger haben ein Recht darauf.
Was wir bräuchten wäre eine Willkommenskultur für uns Bundesdeutschen. Sonst
wird aus dem einstigen Wellnesspaket eine Schlammschlacht mit ungewissem
Ausgang.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.