Erschienen in Ausgabe: No 121 (03/2016) | Letzte Änderung: 02.03.16 |
von Stefan Lorenz Sorgner
Habermas hat bereits in seinem Essay zur liberalen Eugenik
aus dem Jahr 2001 auf den Transhumanismus verwiesen. Hier hat er von einer
„Hand voll ausgeflippter Intellektueller“ gesprochen, denen noch die
„breitenwirksame Ansteckungskraft“ fehle. Diese Einschätzung trifft
mittlerweile nicht mehr zu, weshalb er nun darum bemüht ist, den
Transhumanismus auf andere Weise zu diskreditieren.In einem Artikel aus dem
Jahr 2014 thematisiert er den Transhumanismus erneut und rückt ihn in den
Dunstkreis einer Sekte. Auch dieser intellektuell nicht zu rechtfertigende
Versuch, den Transhumanismus aus den wissenschaftlich ernstzunehmenden
Diskursen auszuschließen, wird fehlschlagen.
Der bekannte US-amerkanische, Kulturkritiker Francis Fukuyama lehnt den
Transhumanismus ebenso ab. Bereits im Jahr 2004 bezeichnete er ihn als die
gefährlichste Idee der Welt. Mit dieser Einschätzung hat Fukuyama wohl Recht,
zumindest jedenfalls dann, wenn man selbst von einem traditionellen
christlichen und kantischen Menschenbild ausgeht, also den Menschen als ein
Wesen betrachtet, dass aus einer immateriellen Seele und einem materiellen Leib
besteht. Der Transhumanismus hingegen nimmt Darwins Evolutionstheorie ernst und
sieht den Menschen als ein relationales, nicht-dualistisches, immanentes,
naturalistisches bzw. rein diesseitiges Wesen, das sich nur graduell von
anderen Lebewesen unterscheidet und das auf der Basis evolutionärer Prozesse
entstanden ist. Im Laufe der menschlichen Entwicklung haben Menschen stets auf
Techniken zurückgegriffen, um ihr Leben angenehmer, glücklicher und erfüllter
zu gestalten. Aus diesem Grund gehen Transhumanisten davon aus, dass es
wahrscheinlich ist, dass diese Ziele auch durch gegenwärtig sich entwickelnde
Techniken gefördert werden, wie etwa die Entwicklung der künstlichen
Intelligenz oder verschiedene Varianten von Gentechniken. Die Zielsetzung des
Transhumanismus ist das Sprengen der bisher vorhanden menschlichen Grenzen, da
damit auch die Wahrscheinlichkeit gefördert wird, ein gutes Leben zu führen.
In Deutschland steht man dieser intellektuellen Bewegung besonders kritisch
gegenüber. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass sie gerne in den
Kontext von Deutschlands dunkelster Epoche gerückt wird, schließlich bejahen
Transhumanisten eine Verbesserung der Erbanlagen. Dieser Vorgang kann auch als
Eugenik bezeichnet werden. Kritiker des Transhumanismus greifen gerne auf das
emotional stark vorbelastete Wort „Eugenik“ zurück, wenn sie von zeitgenössischen
Gentechniken sprechen. Dies geschieht alleine aus rhetorischen Gründen. Hier
sollen bestimmte Assoziationen geweckt werden, die inhaltlich nicht zu
rechtfertigen sind. Das problematische an den eugenischen Prozessen im 3. Reich
war, dass politische Entscheidungen die Selektion und Menschenzucht bestimmen
durften. Transhumanisten bejahen jedoch nur den persönlichen Gebrauch von
Gentechniken bzw. den Einsatz von diesen im Rahmen der besonderen menschlichen
Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Genauso wie Eltern ihre Kinder erziehen
dürfen, so sollten sie diese auch genetisch modifizieren dürfen, da es sich bei
diesen Prozessen um strukturanaloge handelt. Ebenso sollte gelten, dass genauso
wie Erwachsene frei einen Partner zu Fortpflanzungszwecken wählen dürfen, sie
das Recht haben sollten, nach der künstlichen Befruchtung und der
anschließenden Präimplantationsdiagnostik befruchtete Eizellen zur Implantation
auszuwählen. Auch hierbei handelt es sich um parallele Prozesse. Befürworter
dieser Vorgänge sprechen diesbezüglich von der genetischen Verbesserung.
Eugenik klingt böse, aber wer kann schon etwas gegen die Förderung der eigenen
Person bzw. des eigenen Nachwuchses haben. Ist es nicht sogar eine elterliche
Tugend, die Fähigkeiten des eigenen Nachwuchses zu fördern?
Habermas teilt diese Einschätzung nicht. Er rückt diese biotechnischen Prozesse
eher in den Kontext von „Nietzscheanischen Phantasien“, die Züchtung des
Übermenschen. Nietzsche, 3. Reich, Transhumanismus – die hier vorhandene Rhetorik
bleibt niemanden verborgen. Im Kontext dieser Aussage zitiert Habermas auch aus
der berüchtigten Menschenpark-Rede Sloterdijks, ohne explizit dessen Namen zu
erwähnen, um diesen zwar nicht aufzuwerten, ihn jedoch gleichzeitig als einen
Quasi-Transhumanisten darzustellen. Diese Einschätzung ist in vielerlei
Hinsicht falsch. Sloterdijk ist vielleicht sogar weiter vom Transhumanismus
entfernt als Habermas selbst. Wie Habermas so lehnt jedenfalls auch Sloterdijk
den Einsatz von Gentechniken zu Verbesserungszwecken des Menschen ab.
Interessant ist weiterhin, dass auch Nick Bostrom, ein führender Transhumanist,
diese Identifikation ablehnt. Ich gehe davon aus, dass diese Einschätzung in
pragmatischen Überlegungen begründet liegt. Nietzsche wird weithin noch immer
gerne mit dem Denken Nazi-Deutschlands identifiziert. Diese Identifikation ist
zwar inhaltlich nicht zu rechtfertigen, ist jedoch eine weit verbreitete
Auffassung. Meiner Ansicht nach ist seine Einschätzung jedoch nicht nur
inhaltlich unzutreffend, sondern auch nicht im Interesse einer
philosophisch-komplexen Auseinandersetzung mit transhumanistischen
Fragestellungen.
Die Mehrheit der transhumanistischen Vordenker zählt zur Tradition der
anglo-amerikanischen, utilitaristischen und analytischen Philosophie, mit der
ganz hervorragende, komplexe und detaillierte Argumentationen hinsichtlich
zahlreicher Spezialfragestellungen verbunden sind. Die besondere Fähigkeit der
Einordnung dieser Analysen in übergreifende kulturelle Herausforderungen,
lebensweltliche Fragestellungen und andere BIG QUESTIONS ist jedoch mit
Zugängen dieser Tradition alleine nicht zu erlangen. Diesbezüglich können die
radikal herausfordernden Überlegungen Nietzsches von unschätzbarem Wert sein.
Er zwingt uns stets dazu, unsere bestgehüteten Vorurteile zu hinterfragen, um
so zu einem besseren Denken zu gelangen. Da das transhumanistische Menschenbild
analog zu dem Nietzsches ist, kann diese Art des Weiterdenkens zu fruchtbaren
Ergebnissen führen. Mich hat sie dazu gebracht, mich für eine Revision des
vorherrschenden Menschenwürdeverständnisses auszusprechen, für die Möglichkeit
der dreifachen biologischen Elternschaft zu plädieren und die Erweiterung der
Geisteswissenschaften hin zu den Metahumanities zu fordern, was ich als
geladener Plenarvortragender auf dem von der UNESCO organisierten World
Humanities Forum in Süd-Korea genauer erläutert habe. Handelt es sich hierbeium
gefährliche Forderungen? Das kann schon sein, aber nur dann wenn man auch
Autonomie, Freiheit und Pluralität für gefährlich erachtet. Ich hingegen halte
diese Normen für ganz wunderbare Errungenschaften, für die wir uns Tag für Tag
einsetzen sollten und über deren weitverbreitete Akzeptanz in unserer
Gesellschaft ich mich freue.
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