Erschienen in Ausgabe: No 120 (02/2016) | Letzte Änderung: 02.03.16 |
Österreich hat als erstes EU-Land eine Obergrenze beschlossen und setzt damit die Europäische Union und die Bundesregierung unter Druck.
von Stefan Groß
Im Westen nichts Neues, in Österreich schon. Die Alpenrepublik
geht auf Distanz zur deutschen Flüchtlingspolitik. Während in Wildbad Kreuth
über eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen, der berühmten Obergrenze,
gestritten wurde, Merkel der CSU aber erneut eine Absage erteilte, hat
Österreich als erstes EU-Land eine Obergrenze beschlossen. 2016 sollen nur
37.500 Asylbewerber und bis Ende 2019 maximal 127.500 aufgenommen werden, was
1,5 Prozent der Landesbevölkerung entspricht.
Für Bundespräsident
Gauck ist eine Begrenzung nicht unethisch
Auch der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck ist auf dem
Weltwirtschaftsgipfel in Davos auf Distanz zu Merkel gegangen. Zwar nahm er das
Unwort „Obergrenze“ nicht in den Mund, äußerte aber deutlich, dass Deutschland
nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann und eine Begrenzung „nicht per se
unethisch“ sei. „Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch sogar
geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten. […] Man dürfe
die Debatte nicht Populisten und Fremdenfeinden überlassen.“ Eine Einführung
von Grenzkontrollen lehnte er wie Wolfgang Schäuble aber kategorisch ab.
Österreich
geht einen Sonderweg
Die Regierungskoalition unter Bundeskanzler
Werner Faymann von der SPÖ hatte am 19. Januar überraschend eine Obergrenze
festgelegt. Lange hatte sich Faymann gegen jede Art von Deckelung gewehrt, dann
aber dem Willen seines Volkes nachgegeben. Nach einer Studie des
Marktforschungsinstituts market wollen 31 Prozent der Österreicher eine
„Festung Europa“ – entsprechende Grenzsicherung inklusive, 91 Prozent der Bevölkerung
unterstützen eine gerechtere Verteilung in der EU und 74 Prozent plädieren für
ein Wiederaufbauprogramm für Syrien, damit Anreize für eine Rückkehr geschaffen
werden.
Die aktuelle Entscheidung hat Faymann als Notlösung
und als Plan B bezeichnet. Er will ein deutliches Zeichen setzen und die EU
aufrütteln, endlich in der Flüchtlingsfrage aktiv zu werden. Indirekt erhofft
sich die Regierung in Wien dadurch,dass
viele Länder entlang der Balkanroute ihre Grenzen schließen, weil sie einen Flüchtlingsrückstau
befürchten. Genau dies ist das dieser Entscheidung zugrundeliegende Kalkül
Österreichs, um den „Leidensdruck“ für eine gesamteuropäische Lösung dadurch
zu erhöhen
Wegweisend bei der Entscheidung aus Wien war die
konservative ÖVP, die in der Koalition sowohl den Außenminister,
die Innenministerin und den Vizekanzler des Landes stellt. Zwar bleibt es nach wie vor unklar, wie die Obergrenze faktisch und rechtlich
durchgesetzt werden soll. Im Gegensatz zur Bundesrepublik aber, die auf Zeit in
Sachen Flüchtlingspolitik spielt, auf eine europäische Lösung setzt, und die auf
die verstärkte Hilfe aus der Türkei hofft, sind die Österreicher weitaus
pragmatischer. Täglich wird das Land mit Flüchtlingen aus Syrien, Irak
und Afghanistan überrollt. Doch der unbegrenzten und unkontrollierten Einreise wurde
mit dem Grenzübergang in Spielfeld ein Riegel vorgeschoben. An der
Übergangsstelle werden täglich bis zu 7000 Menschen„abgefertigt“ und nach Sprachen
registriert. Die Registrierung soll nur „sechs bis sieben Minuten dauern“.
Riexinger:
„Bankrotterklärung europäischer Solidarität“
Die Festlegung Österreichs auf eine Obergrenze
für Flüchtlinge ist bei den großen Fraktionen im Europaparlament auf Kritik gestoßen.
Die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Birgit
Sippel, bezeichnete die Entscheidung als eine „populistische, ja ängstliche
Reaktion auf rechte Parolen und einen „zynischen Versuch, eigene Verantwortung
auf andere abzuschieben. Auch der Vorsitzende der Links-Partei, Bernd Riexinger,
erklärte auf Twitter, dass es sich hier um eine „Bankrotterklärung europäischer
Solidarität“ handelt. Damit geht ein Riß quer durch die Partei der Linken, denn
Sahra
Wagenknecht, die mit Dietmar Bartsch die Doppelspitze der Bundestagsfraktion der Linken bildet, forderte
Kapazitätsgrenzen nach den Übergriffen von Köln.
Kritik kam auch von Seiten der Menschenrechtsorganisation
Pro Asyl. Deren Geschäftsführer, Günter Burkhardt, befürchtet einen von
Österreich ausgehenden Dominoeffekt und
betonte: „Wir werden ein Europa der Zäune erleben, in dem jeder die Verantwortung
an den Nachbarn abschiebt.“ Dieser Prozeß würde nicht in einer neuen
Solidarität münden, wie sie auch Gauck in Davos forderte und die
nichtvorhandene Solidarität der Osteuropäer im Kampf gegen die Flüchtlingskrise
beklagte, sondern im schlimmsten Fall dazu führen, dass das ohnehin
wirtschaftlich und innenpolitisch schwer angeschlagene Griechenland zum „Auffanglager
Europas“ wird. Wenn Griechenland dann auch die Grenzen schließt, kommt es zu einer
fatalen Kettenreaktion, die bis in die Kriegsgebiete wie Syrien
zurückreicht.„Ein Europa, das Zäune
baut, gefährdet die europäische Wirtschafts- und Wertegemeinschaft.
Die Bundesregierung hat sich zum Beschluß aus
Österreich relativ wortkarg gegeben. Weder wollte sich Regierungssprecher
Steffen Seibert äußern noch der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung und
Kanzleramtschef Peter Altmaier. Man will weiter eine gemeinsame europäische
Lösung vorantreiben, die in erster Linie bei den Fluchtursachen ansetzt, „um
die Zahl der Flüchtlinge spürbar und nachhaltig zu reduzieren.“ Vielleicht erinnert sich dort keiner mehr an
den legendären Satz, den der einstige Kremlchef bei seinem Besuch 1989 in der
DDR sagte und der die Geschichte und die Welt veränderte. „Ich glaube, Gefahren
lauern nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.“ „Das Leben verlangt
mutige Entscheidungen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ hatte
Gorbatschow in seinen Memoiren geschrieben. Österreich hatte den Mut!
Zuerst erschienen im „The European“ www.theeuropean.de
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