Erschienen in Ausgabe: No 120 (02/2016) | Letzte Änderung: 11.02.16 |
von Siegmar Faust
Der
Leipziger Thomas „Knorri“ Renker gab ein Buch heraus, in dem sich Jazz-, Blues-
und Rockmusiker, aber auch Liedermacher und Schriftsteller an Jahre und
Episoden in der DDR erinnern. Er wirft für unsere Nachfahren die Fragen auf:
„Wie lebt man als Künstler in einer Diktatur? Welche Wege geht der Mensch unter
den Zwängen einer vereinheitlichten Meinung? Blieben Freiräume zum Durchatmen
und zur Ehrlichkeit?“
Renker
macht in dieser Auswahl deutlich, dass die Freiheitsbemühungen mitteldeutscher
Künstler immer ein täglicher Kampf um Meinungsfreiheit und Zivilrechte der
Bevölkerung war.
Die
17 Zeitzeugen, geboren zwischen 1938 und 1992, decken die DDR-Zeit in
verschiedenen Phasen ab. Stets musste die SED-Diktatur gegen westliche
Einflüsse kämpfen, sei es gegen die amerikanische Unkultur der Niethosen, des
Jazz', des Rock 'n' Rolls, der Kreppsohlen oder gegen die westliche Dekadenz
solcher Rhythmen wie Beat, Twist oder Punk.
Diktator
Ulbricht versuchte in den 60er Jahren eine sozialistische Jugendkultur zu schaffen.
Ein Leipziger Tanzlehrer-Ehepaar erhielt den Parteiauftrag, einen neuen Tanz zu
kreieren. Auf den erhofften Erfolg hin wurde der Tanz „Lipsi“ weltweit zum
Patent angemeldet. Wie fast alles, was in der Planwirtschaft erfunden wurde,
geriet auch dieses Kunstprodukt zum Fiasko. In Sprechchören riefen Jugendliche:
„Wir tanzen keinen Lipsi und nicht nach Alo Koll, wir sind für Bill Haleyund
tanzen Rock 'n' Roll!“
Beat
geriet zum Welterfolg, doch Ulbrichtblamierte sich mit seiner auf das
„Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles anspielenden Aussage: „Ist es denn wirklich so,
dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nun kopieren müssen? Ich denke,
Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte
man doch Schluss machen.“
Wilfried
Woigk, Thüringens erster Beatgitarrist, erinnert sich, wie nach dieser Schelte
nicht mehr englisch gesungen werden durfte. Vor Funktionären konnten sie jedoch
den Namen ihrer Band „The Polars“ damit rechtfertigen, dass der englische
Artikel THE für THÜRINGER HEIMAT ENSEMBLE stünde.
Weniger
lustig ging es 1965 in Leipzig zu. Nachdem die Partei eine kulturpolitische
Wende beschlossen hatte, bekamen Beatgruppen wie die Butlersoder Klaus
Renftund 54 weitere Bands Auftrittsverbot. Über 800 Jugendliche
versammelten sich am 31. Oktober 1965 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Es ging
gewaltlos, ruhig und friedlich zu. Doch schnell wurde die Demo mit massivem
Polizeiaufgebot unter Einsatz von Gummiknüppeln, Hunden und Wasserwerfern
aufgelöst. 264 Demonstranten wurden verhaftet, 97 von ihnen mussten
anschließend ohne Gerichtsurteil Zwangsarbeit im Braunkohletagebau leisten.
Dazu wurde der Begriff des „Rowdytums“ als Straftatbestand ins StGB
eingebracht. Der einzige Schriftsteller, der den Beat-Aufstand würdigte, war
Erich Loest. In seinem Roman „Es geht seinen Gang“ integrierte er ihn in die
Biografie seines Helden. Später schrieb er: „Was 1965 auf dem Leuschnerplatz
begann, endete 1989.“
Als
Student und Kandidat der SED musste ich mich an diesem Abend in einem Hörsaal
einfinden, der schon voller Genossen war. Der Parteisekretär hielt eine feurige
Ansprache gegen die Bonner Ultras. Wir bekamen den Parteiauftrag, zu dritt -
möglichst ein Dozent, zwei Studenten - die Nacht hindurch jede Ansammlung von
mehr als drei Menschen und jeden Bartträger und Langhaarigen aufzuhalten, bis
der Streifenwagen der Volkspolizei käme. Als er ausrief: „Genossen, unser
Einsatzgebiet ist der Nahe Osten“, ging seine Rede in lautem Gelächter unter.
Zum Glück trafen wir auf menschenleeren Straßen im nahen Osten Leipzigs nur
unsere Dreiergruppen an, so dass wir mit unserem Kunstgeschichtsdozenten Dr.
Günter Meißnerin einer Kneipe verschwanden und uns über den Blödsinn
amüsierten.
Wir
dachten schon damals aus der Situation heraus so, wie es Karsten Jägerin
seinemText auf den Punkt brachte: „Da waren ein paar hundert junge
Menschen, die einfach nur Musik machten, und die SED-Genossen beschäftigen ein
riesiges Heer von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Spitzeln. So ein
Schwachsinn.“
Meißnerwar SED-Genosse, aber er saß in den Versammlungen stets in der letzten
Reihe, in der ich mich ebenfalls einfand. Von dort aus ließ sich wunderbar über
den vorn referierenden Parteisekretär des Instituts lästern. Meine Dissidenz
begann zwar schon innerhalb der SED-Kandidatur, zum Widerständler wurde ich
erst später im Zuchthaus Cottbus, das „Knorri“ ebenfalls noch absolvierte.
Auch
der Bluesmusiker Axel Hümbert - nach seinem Amerika-Aufenthalt als Dr. Slideberühmt - durfte noch Stasi-Methoden im Potsdamer „Lindenhotel“
kennenlernen, und der Gitarrist Locke O'Nashneben der JVA Dessau, dem
Militärgefängnis Schwedt noch die NVA-“Klapsmühle“ in Bad Saarow. Auch
Bürgerrechtler Stephan Krawczyk, der 1985 aus der SED austrat, erlitt
Berufsverbot und Inhaftierung. Sogar einen Mordversuch der Stasi überlebte er
mit Freya Klier.
Der
Älteste im Buch ist der Sänger, Schauspieler und Autor Heinz-Martin Benecke. Er
wurde schon 1961 als Mitglied des Leipziger Uni-Kabaretts „Rat der Spötter“
wegen „konterrevolutionärer Hetze“ eingesperrt.
Was
alle Lebensläufe der Musiker durchzieht, ist die Rolle der Stasi, die in
weltrekordmäßiger Stärke die „sozialistische Menschengemeinschaft“
drangsalierte, insbesondere jene, die von der Bühne aus Jugendliche
beeindruckten, sei es durch Frisuren, Bärte, Klamotten, kritische Liedtexte,
ungewöhnliche Klänge oder aufreizende Rhythmen. Der Herausgeber dazu: „Die
Stasi hat die Gewalt (...) die Wahrheit zählt nichts hinter den ostdeutschen
SED-Mauern, die das kleine Land durchsetzen wie ein tödlicher Pilz, wie eine
giftige Krake. “
Selbst
der Diplommusiker Mathias Marschner, der sich ohne Gefängnis in den Nischen des
DDR-Beziehungsgeflechts zurechtfand, ließ sich dennoch nicht korrumpieren:
„Wenn ich die Jahre bis 1989 betrachte, dann denke ich mit Empörung an die
staatlichen Repressionen, an die uniformierte Gesellschaft und das Fehlen jeder
individuellen Freiheit.“
Bei
Dr. Slideheißt es rückblickend: „Das ist eigentlich das schlimmste
Verbrechen, das dieser Staat DDR beging: das Säen von Misstrauen. Bis heute
fällt es mir schwer, wirklich Vertrauen zu einem Menschen aufzubauen.“
Trotz
aller Widerstände standen alle zu ihrer Berufung, verteidigten sie und lebten
sie erfolgreich aus. Sie haben tausende junge Menschen von den Gefühlen und
Ideen dessen infiziert, was sich unter dem großen Wort Freiheit zusammenfassen
lässt. Das hat die DDR nicht überlebt.
„Eingemauerter
Twist. Biographische Stationen“
Hrsg:
Thomas Renker,
Broschiert
und viele Fotos, 184 Seiten,14,50 €, Passage-Verlag, Leipzig 2015
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.