Erschienen in Ausgabe: No. 36 (2/2009) | Letzte Änderung: 29.03.09 |
John P. Lizza, Persons, Humanity, and the Definition of Death, The John Hopkins University Press, Baltimore 2006, 212 Seiten, ISBN 0-8018-8250-8.
von Karim Akerma
Bislang wähnten wir, Humanoide
existierten allenfalls in der Literatur. Der US-amerikanische Philosoph John P.
Lizza ist anderer Auffassung. Seines Erachtens leben sie seit Jahrzehnten unter
uns. Wann immer die sogenannte Hirntod-Konstellation (irreversibler Ausfall der
Hirnfunktionen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der organismischen
Funktionen mittels künstlicher Beatmung) auftritt, entsteht für Lizza ein neues
und neuartiges lebendes menschliches Wesen. Eine mit den Mitteln der
Medizintechnik geschaffene und von ihr vollständig abhängige künstliche
menschliche Lebensform. In seinem Buch zieht Lizza aus, den Tod zu definieren.
Kurioserweise definiert er dabei die sogenannten Hirntoten zum Leben.
Hirnbezogenen Todeskriterien wurde in der Vergangenheit vielfach vorgeworfen,
sie erheischten eine Todesdefinition, die in Wahrheit lebende Menschen zu Tode
definiert. Vom theoretischen Ort des weltweit etablierten hirnbezogenen
Todeskriteriums aus gesehen tut Lizza das Gegenteil: Er definiert die
funktionierenden Organismen Verstorbener zum Leben. Diese von Lizza Humanoide getauften Wesen sind aus den
Schwächen seiner Analysen geboren. Kommen wir aber zunächst auf die Stärken
seines Buches zu sprechen.
Lizzas Darstellung bietet einen ausgezeichneten Überblick zu
Fragen wie: Was sind die Bedingungen unserer Fortexistenz? Was kann mit mir geschehen,
ohne dass ich aufhöre zu existieren? Was darf bei Strafe meines Todes nicht mit
mir passieren? In seinem Werk finden Theoreme und Gedankenexperimente von
Philosophen wie J. Locke, D. Parfit, J. Seifert, L. R. Baker oder auch H. Jonas
besondere Berücksichtigung. Einen nicht immer einfach zu rekapitulierenden
Denker wie D. Parfit wird man nach der Lektüre von Lizzas Buch besser verstehen.
Neben dem stets ausgeführten Willen zur Feinanalyse
komplexer Sachverhalte macht uns Lizzas Arbeit vertraut mit medizinischen
Daten, die belegen, dass der irreversible Ausfall der Hirnfunktionen bei
gleichzeitiger intensivmedizinischer Versorgung des Patienten noch lange nicht
zum Kollaps des Organismus führen muss. Lizzas Gewährsmann ist der Pädiater D.
A. Shewmon. Nicht zuletzt unter Berufung auf medizinische Befunde gelingt Lizza
die Begründung der Notwendigkeit einer Abkehr von rein biologischen
Todesdefinitionen. Er spricht
vom „myth that defining and determining death is a strictly scientific matter…”
(158)
Lizzas philosophischer Widerpart
Seinen
philosophischen Gegner bestimmt Lizza schon in der ersten Zeile des Vorwortes:
„This work challenges the ‚biological paradigm’ of death that has provided the
theoretical grounding for acceptance of ‚brain death’ as death.” Nachdem
Lizza sich gegen eine biologische und für eine bewusstseinsbezogene,
mentalistische Todesdefinition ausgesprochen hat, muss der Leser zur Kenntnis
nehmen, dass er gleichwohl die Frage formuliert, „of whether the death of the person had to necessarily
coincide with the death of the human organism.“ (7) Diese Frage sorgt
für Irritation, da eine Definition als solche alle vorkommenden Fälle umfassen
muss. Nach dem Tod gemäß mentalistischer Definition ist ein Leben immer dann zu
Ende, wenn ein Bewusstsein irreversibel erloschen ist. Nachdem dies geschehen
ist, lässt Lizza jedoch einen zweiten Tod zu, für den es einer ganz anderen
Definition bedürfte: den Tod des in der Hirntodkonstellation bei
intensivmedizinischer Versorgung weiterhin funktionierenden menschlichen
Organismus. Vom Leben, Sterben und Tod des bewusstseinslosen funktionierenden
menschlichen Organismus – nach dem Tod der Person – ist in Lizzas Buch nicht
nur einmal, sondern systematisch die Rede. Auf einen solchen bewusstseinlosen
funktionierenden Organismus freilich kann die Todesdefinition, für die Lizza
argumentiert, keine Anwendung finden. Es bedürfte einer zweiten, einer
organismischen Definition. Haben jedoch zwei ganz unterschiedliche Definitionen
nebeneinander Bestand, so ist das Problem der Todesdefinition alles andere als
gelöst. Lizza trägt dem Umstand nicht gebührend Rechnung, dass seine versierte
Begründung und Verteidigung einer bewusstseinsorientierten Todesdefinition
keinen Platz lässt für eine gleichsam mitlaufende zweite Todesdefinition, der
zufolge ein Leben immer dann zu Ende ist, wenn ein Organismus irreversibel zu
funktionieren aufhört.
Konsequenzen für die Transplantationsmedizin
Zu Beginn der Einleitung seines Buches bemerkt Lizza zu Recht, die
Fortschritte in der Medizintechnik „have posed many ethical and social
problems, but perhaps none more fundamental and challenging than the problem of
defining death.“ (1) Den Weg zu einer Lösung der Aufgabe scheint Lizza sich
verbaut zu haben, indem er disparate Todesdefinitionen nebeneinander Bestand
haben lässt und damit das Wesen dessen, was von einer Definition zu erwarten
ist, unterspült.
Für die transplantationsmedizinische Praxis hätte Lizzas
Sichtweise verheerende Konsequenzen. Denn kein Mensch darf zu fremdnützigen Zwecken
getötet werden. Auch nicht zum Zwecke der Organentnahme, um anderen Menschen
das Leben zu retten. Der von Lizza so genannte Humanoid, das medizintechnologische Artefakt, von dem er spricht,
kann jedoch nicht anders denn als lebendes menschliches Wesen konzipiert
werden. Hielte man sich an Lizzas Strategie, zwei Todesdefinitionen
nebeneinander bestehen zu lassen, so bedeutete dies das Aus für die in
zahlreichen Fällen lebensrettende Transplantationsmedizin.
Personen und Organismen
Lizza hat
durchaus recht mit dem Befund, „individuals who have lost all brain functions
but continue to function in biologically integrated ways are integrated
organisms of some sort and cannot be classified as corpses” (14f). Aus
dem Umstand, dass die „Hirntote” genannten funktionierenden Organismen keine
Leichname sind, zieht Lizza indes den übereilten Schluss, es müsse sich um
lebende Wesen handeln. „If an
organism is still alive in situations such as „postmortem“ pregnancy, the
question arises, what is alive? […] if an advocate of the consciousness-related
formulation of death wishes to maintain that the person dies even though
something is still alive, what remains alive must be a different sort of being.
It must be either a human being, as distinct from a person, or a being of
another sort, such as a “humanoid” or “biological artifact,” by which I mean a
living being that has human characteristics but falls short of being human, a
form of life created be medical technology.” (15; siehe auch 102, 107)
Was seine eigenen Ausführungen anbelangt, muss man Lizza leider zustimmen, wenn
er befindet: „We grope for
language to describe what exists.” (16) Dabei lässt sich der ontische
Sachverhalt problemlos kategorial einfangen: Irreversibel bewustseinslos
gewordene funktionierende menschliche Organismen sind die Organismen Verstorbener.
Wann immer ein menschlicher Organismus minimales Bewusstsein
aufweist, haben wir es nach Lizza mit einer menschlichen Person zu tun. Hier
stellt sich die Frage, warum dann nicht auch ein anderer als ein menschlicher
Organismus mit vergleichbarem oder gar ausdifferenzierterem Bewusstsein
gleichfalls als Person bezeichnet werden sollte. „My view is that the meaning of death may vary
with the kind of thing that dies and that we have always understood and treated
the death of persons and human organisms differently from that of other
organisms.” (14) Lizza spricht sich gegen eine einheitliche, alle
lebenden Wesen umfassende Todesdefinition aus. Eine solche, meint er, sei nur
um den Preis einer biologistischen Todesdefinition zu haben. Menschen seien
jedoch essentiell nach keine biologischen Entitäten, sondern Personen. Wobei
wir für Lizza nicht deshalb Personen sind, weil oder insofern wir ein
Bewusstsein unserer selbst haben, sondern sofern wir zumindest minimales
Bewusstsein haben. Jedes Individuum der Gattung Mensch mit zumindest
rudimentärem Bewusstsein gilt Lizza als lebende Person. Tiere mit mentalen
Eigenschaften bleiben in seinem Buch weitgehend ausgeklammert. Von seinem
Standpunkt aus ist es denn auch nicht ganz einfach, zu begründen, warum ein
Fötus mit minimalem Bewusstsein eine Person sein soll, die in menschlicher
Gemeinschaft lebende Hauskatze mit voll entwickeltem Bewusstsein hingegen
nicht. Lizza begreift „the
death of persons as the irreversible loss of consciousness or the breakdown of
psychophysical integrity.“ (55) Irreversibler Bewusstseinsverlust oder
das Ende der psychophysischen Einheit kommt nun aber auch bei Tieren vor, von
denen Lizza nicht sagen würde, sie seien Personen. Lizzas Personenbegriff trägt
nicht, was er ihm aufbürdet.
Lizza
stimmt der US-amerikanischen Philosophin Lynn Rudder Baker zu, wenn er
ausführt, „that subjectivity or the first-person perspective is primitive and
irreducible and that having subjectivity
or a point of view is necessary for anything to be a person.” (80) An anderer
Stelle bemerkt er: „Philosophers from Boethius to Lynne Rudder Baker... have
linked personhood to a being with the capacity or, at least, the potential for
some psychological functions.“ (94) Aus diesen Ausführungen erwächst die
Frage, inwieweit Subjektivität an sich bereits als zureichende Bedingung dafür
angesehen werden kann, dass etwas eine Person ist. Über Subjektivität – im
Unterschied zu Selbstbewusstsein – verfügen schließlich schon zahlreiche Tiere.
Ohne dass Lizza alle Tiere mit Bewusstsein als Personen ansehen würde. Eine
Antwort auf die Frage, warum menschliche Lebewesen mit minimalem (Fötus) oder
residualem (evtl. Individuen im apallischen Syndrom) als Personen angesehen
werden sollen, liegt für Lizza in einer ihm zufolge bislang vernachlässigten „moral dimension of persons and
personal identity.“ (95) Nicht allein interne, auch externe, kulturelle
Faktoren sollen als mitbestimmend dafür berücksichtigt werden, wann eine Person
aufhört zu existieren, tot ist. In
diesem Kontext äußert sich Lizza zur „violence done to our language if we
accept persons as phases of human organisms...“ (114) Wenn man, wie
Lizza es im Anschluss an die Philosophin Baker tut, eine Konstitutions-Sicht
vertritt, wonach Personen nicht mit ihrem funktionierenden Organismus identisch
sind, sondern vom ihm konstituiert werden, so ist eine solche Bemerkung in
jeder Hinsicht zutreffend. Die Beziehung von Organismus und Person ist nicht
die der Identität. Bei alledem prüft Lizza eine alternative Betrachtungsweise
nicht ernsthaft, die das Personsein als Phase unserer Existenz vorstellt, ohne
dass der Sprache Gewalt angetan würde: Der personalen Phase meines Daseins geht
prä-personales Dasein voran. Und Personalität kann abgelöst werden von einer
Phase post-personaler Existenz. Etwa im Falle einer schweren Altersdemenz. Der
Betreffende ist dann sehr wohl noch unter
uns, wenngleich nicht mehr
als Mensch mit personalen Eigenschaften.
Keine schiefe Bahn im Falle von Alzheimer
Auch wenn Lizza die Auffassung vertritt, dass ein Leben
immer dann zu Ende ist, wenn eine Person für immer zu existieren aufgehört hat,
wird ihm niemand den Vorwurf machen können, sein Denken führe auf eine schiefe
Bahn. Für Lizza ist Personsein – mit Selbstbewusstsein,
Verantwortungsfähigkeit, Zukunftsbewusstsein und kommunikativen Fähigkeiten –
keine Phase im Leben eines Menschen. Lizza nennt alle lebenden Menschen
„Personen“. Von daher besteht
„no threat to the severely senile or severely retarded. Since individuals in these conditions
suffer dementia, not amentia, the consciousness-related definition of death
does not rule them out of the class of persons and hence provides no reason for
considering them to be dead. In short, there is no slippery slope.” (164)
Todes-Pluralismus
Die Todesdefinition gründe auf metaphysischer Reflektion,
moralischen Entscheidungen und kultureller Akzeptanz ebenso wie auf
biologischen Fakten, die entdeckt werden. Aus diesem Grunde, so Lizza, „we should not look for a unitary
definition or criterion of death“ (4). Stets würden auch kulturelle
Faktoren in die Definition mit hineinspielen (vgl. etwa 87). „Because we are essentially moral, social, and
cultural beings, our identity is in part determined by the relations we have to
others. Personal identity or survival is not purely an internal matter of
bodily or psychological continuity.” (134) Lizzas Abkehr von einer
einheitlichen Todesdefinition ist allein schon insofern problematisch, als er
sein Buch hindurch an einer einheitlichen Todesdefinition laboriert. Spielraum
erlaubt die Anlage seiner Argumente im Hinblick auf die Todeskriterien. Lizzas Anspruch ist durchaus die
Entwicklung der „correct conceptual basis for accepting the various criteria
for determining death: the breakdown of the psychological integrity of the
person. […] Individuals could then decide which criterion (circulatory and
respiratory, whole-brain, or higher-brain) is consistent with their
understanding of psychophysical integrity.” (179) Individuelle Entscheidungsfreiheit
betreffend die Gültigkeit von Todeszeichen (Todeskriterien), die auf einen
selbst Anwendung finden sollen, ist eine wichtige Anregung, deren Umsetzung etwa in einer
Widerspruchslösung besteht: Jedem sollte es freistehen, den Willen zu bekunden,
erst nach dem Herzstillstand für tot erklärt werden zu dürfen und nicht erst
nach dem irreversiblen Erlöschen der Hirnfunktionen. Worauf wir uns nicht
einlassen sollten, ist die von Lizza befürwortete Aufnahme kultureller Faktoren
in die Todesdefinition. Entweder ich habe für immer zu existieren aufgehört,
bin tot, oder nicht. Um keinen Preis möchte ich, ein empfindendes Wesen, in der
Klinik einer mir fremden Kultur aufwachen, die befindet, ich sei dennoch tot,
da ich einem bestimmten Glauben nicht anhänge. Fragen um Leben und Tod
verlangen nach vernünftigen Antworten, die sich von kulturellen
Befindlichkeiten gelöst haben müssen.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.