Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
von Stefan Groß
Friedrich Schiller ist keineswegs nur Deutschlands
berühmtester Dramatiker, dem wir die besten Stücke der Weltgeschichte
verdanken. Schiller ist mehr, er ist auch ein politischer Geist. Er wollte eine
erneuerte Gesellschaft mittels seiner ästhetischen Revolution. Und dabei
begriff Schiller diese keineswegs à la Bloch als bloße Utopie. Ihm ging es ganz
konkret darum, wie sich dieses gesellschaftliche Ideal harmonischer
Gemeinschaftlichkeit, das sittliche Gemeinwohl, verwirklichen läßt. Dabei war
er zugleich Visionär und Realist. Visionär und Idealist, weil er eine Reformierung
der Gesellschaft für notwendig erachtete, Realist, weil sich diese nur durch
eine aufgeklärte Menschheit durchsetzten ließe.
Der Weltbürger ist
weder rechts noch links
Im Jahr 2016 wäre Friedrich Schiller ein grenzenloser
Verfechter der europäischen Idee. Schiller will den „Weltbürger“, jenen freien
Geist, der sich seiner politischen Verantwortung bewusst ist, der als
gemäßigter Denker jedem politischen Radikalismus und jedem religiösen
Fundamentalismus abschwört. Sein Weltbürger ist den Idealen von Freiheit,
Bürgerlichkeit und Brüderlichkeit verpflichtet. Mit einer AfD könnte Schiller
genausowenig anfangen wie mit linkem Terror, jeglicher Extremismus ist ihm ein
Greuel. Seine ästhetischen Briefe lesen sich, als wären sie gestern
geschrieben. Weil Schiller, und das macht ihn so modern, den Menschen weder auf
Rationalität noch auf Sinnlichkeit reduzieren will, lehnt er alles ab, was seinen
Ursprung entweder in einer reinen Verkopftheit oder in einer blinden Raserei
hat. Er weiß, dass ein reiner Idealismus à la Robespierre zur Diktatur führt,
ein reiner Materialismus hingegen zu einem oberflächlichen Leben, das es sich
bequem macht, wo Lust und Neigung regieren. Nur, wo sich Rationalität und
Sinnlichkeit, Pflicht (Formtrieb) und Neigung (Stofftrieb) aus Freiheit
verbinden, findet Versöhnung statt, kommt der Mensch zu seiner Bestimmung, zu
seinem Wesen. Dort, wo er spielt, wird er Mensch, ist er gemäßigt.
Kritik am oberflächlichen
Zeitgeist
Der Marburger Schiller ist ein gnadenloser Chronist. Wie
später Engels und Brecht analysiert der Ästhetiker die Unarten der Zeit, die
Verflachung der Mode und den geistigen Verfall auf breiter Front. Die kritische
Analyse dessen, was den sogenannten Zeitgeist ausmacht, liest sich wie eine
genuine Beschreibung der Kulturverflachung des, 21. Jahrhunderts. Der Weimarer
Ästhetiker spricht von Erschlaffung, von einem ermüdeten Zeitgeist, der die
Gefahr in sich birgt, a-politisch zu werden. Erschlaffung ist das Fehlen der
Vernunft und des Verstandes als Triebfedern. Dieser Flachheit im kulturell und
politischem Betrieb sich entgegenzustellen, begreift Schiller nicht nur als
Herausforderung der Stunde, als das, was geboten ist, sondern als die Pflicht
eines jeden Bürgers, der als Weltbürger nicht gesinnungsethisch, sondern
verantwortungsethisch handelt. Schiller bekämpft den Spießbürger, den
selbstgefälligen Unpolitischen, der zur Gesellschaft auf Distanz geht, dem das
Politische egal und gleichgültig ist. Er kritisiert den angepaßten Bürger, den heutigen
Nichtwähler, und fordert demgegenüber das politische Interesse im Sinne der
aufgeklärten Vernunft, den Bürger also, der für das Gemeinwohl kämpft. Kritisch
würde sein Urteil heute gegenüber denjenigen ausfallen, deren Handlungsprämissen
von Gier, Luxus, Neid, Mißgunst und Eitelkeit bestimmt sind.
Wider den Egoismus –
für einen humanen Staat
Schon vor über 200 Jahren kritisierte Schiller die „Schlaffheit“
des Geistes, jenes Spiel mit den Formen. Darin sah er einen Zweck ohne Zweck,
eine gleichgültige Verschiebung von Verantwortung, ein regelloses Spiel mit
leeren Hülsen und Floskeln. Den postmodernen Realismus, der sich dieses
Formvokabular zu eigen gemacht hat und den Siegeszug durch die Instanzen
angetreten ist, würde er als höchst unproduktiv entlarven, die ganze
Postmoderne als etwas charakterisieren, was auf ein entleertes Ich hinausläuft,
das nur sich selbst kennt und wahrnimmt. Dieses sich selbst deutende, bedeutende
Ich führt geradezu in einen Nihilismus, der in seiner radikalsten Form einen
Egoismus zur Folge hat. Dieser wird zum Brandzeichen einer Gesellschaft, die
sich zerstückelt, die sich be- und entfremdet und das soziale Miteinander
zerstört. Statt das Gemeinwohl zu befördern, steigert der Einzelne nur sein
Individualwohl. Was darüber zerbricht, ist das Humanun. Diesen Egoismus zu
zertrümmern, darin sieht Schiller eine der Aufgaben seiner ästhetischen
Erziehung. Dabei ist sich Schiller bewußt: Zuerst muss sich der Mensch zu
seinem sittlich-moralischem Wesen erziehen und dann den gesellschaftlichen
Transformationsprozess einläuten. Menschsein bedeutet Sein im Anderen und im
Anderen-Sein. Oder anders gesagt: Glück findet der Mensch erst als Bürger, wenn
er sich moralisch verhält und den Staat zu einem Raum der Freiheit für alle
werden läßt, zum humanen Staat, eben zum ästhetischen Staat.
Heute würde Schiller, der Autor der „Räuber“, einerseits für
eine Verteilungsgerechtigkeit plädieren, andererseits für eine humanitäre
Lösung in der Flüchtlingsfrage, wobei nicht die Integration für ihn die
maßgebende Rolle spielen würde, sondern die moralische Selbsterziehung jedes
einzelnen, der sich an den universalen Werten von Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit orientiert und durch das maßvolle Spiel zwischen Vernunft und
Neigung zum Bürger wird. Vom Bürger führt dann der Weg zum Staatsbürger.
„Schaubühne“ und Neue Medien
Nun ist Schiller aber auch Realist und weiß, dass der Mensch endlich und
fehleranfällig ist. Dieser Schwachheit des Geistes, des Gemütes und des Leibes
gilt es entgegenzusteuern. Dabei im Blick hat Schiller die Kunst, genauer das
Theater, die „Schaubühne als moralische Anstalt“. Sie gilt ihm als Medium, das zu
politischer Bildung erzieht. Das Theater vermag sowohl den Vernunft- als auch den
Triebmenschen ansprechen, es kommt damit sowohl dem „unteren“ oder niederen
Beweggründen als auch der moralischen Natur des Menschen entgegen. Weil es „einem
mittleren Zustand, der beide widersprechende Enden vereinigt“, herstellt, dient
es zur Verwirklichung der Glückseligkeit als höchstem Ziel, befördert die Bildung
des Herzens und des Verstandes. Damit kommt dem Theater oder der Kunst eine
Schlüsselrolle bei der ästhetischen Erziehung zu, denn im Unterschied zum Staat
(und seinen Rechtsvorschriften) mit seinen „verneinenden Pflichten“ und der Religionen
(samt ihren Offenbarungen) unterstützt, bzw. überformt die Kunst alle beide.
Versagt der Staat als gesetzgebende Instanz, so Schiller, dann obliegt es der
Kunst hier deutend einzugreifen, Irrtümer einer fehlbildenden Geschichts- und
Realitätssicht zu korrigieren. Nur ihr ist es möglich, „[...] die unglücklichen
Schlachtopfer vernachlässigter Erziehung in rührenden, erschütternden Gemälden“
an ihrem Schicksal vorbeizuführen.
War es für Schiller noch die Schaubühne sind es heute das Fernsehen, das
Kino, die Sozialen Netzwerke, die Medien insgesamt, denen Schiller die
verantwortungsvolle Aufgabe einer ästhetischen Erziehung übergegeben würde, von
denen er erwartete, gegen den Zeitgeist zu streiten, die Moralität statt den
Stumpfsinn zu befördern, politisch zu erziehen als zu verharmlosen. Wo die
Medien ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen, wo die Ängste des gemeinen Mannes
– wie derzeit in der Flüchtlingskrise – nicht mehr vom politischen Klasse
wahrgenommen werden, wo die Politik sich in Herzergießungen zerreißt und sich
selbst inszeniert, wo die Öffentlich-rechtlichen Medien eindimensional
berichten, da dürfte, so würde Schiller schließen, es auch nicht verwundern, wenn
das Volk verroht, wenn es sich jenseits von Kultur, Kunst und Politik selbst
erzieht – nur dann leider nicht zum Weltbürger, sondern eben zum Spieß- oder
Wutbürger samt radikalen Tendenzen inklusive. Noch schlimmer wäre es, wenn die
Salafisten als die „besseren Sozialarbeiter“ die Erziehung hierzulande
übernehmen.
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