Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
An Aktualität nichts verloren, hat Hegels Fazit aus der Geschichte. Vom berühmten Philosophen des Deutschen Idealismus stammt bekanntlich das Zitat „Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, dass die Völker aus der Geschichte nichts gelernt haben.“ Ein Blick auf die Weltkugel zeigt, dass nicht nur Hegels Geschichtsphilosophie mit dem Weltgeist als Weltlenker eine Illusion geblieben ist, sondern auch Paradigmen, wie sie beispielsweise von Francis Fukuyama postuliert wurden, immer wieder von der Geschichte überholt werden.
von Stefan Groß
Fukuyama und das Ende
der Geschichte
1992 hatte ein Politikwissenschaftler mit seinem Artikel
„Das Ende der Geschichte“ weltweit für Aufsehen gesorgt. Der Text stammte nicht
aus der Feder der berühmt-berüchtigten Philosophen Hegel oder Marx, sondern vom
Amerikaner Francis Fukuyama. Simpel wie einfach verkündete der Politologe
damals, dass der wirtschaftliche und politische Liberalismus gewonnen und die
totalitären und autoritären Systeme ad acta gelegt seien – Ideologeme und
Ideologien mit eingeschlossen. Endlich, so die These, sei das Ende der
Geschichte gekommen.
Artikel und Buch wurden zur Bibel für all jene, die
Alexandre Kojèves Hegeldeutung darin
folgten, dass die Geschichtsphilosophie des deutschen Idealisten zu einer
letzten Synthese führt, wenn es auf der Bühne der Weltpolitik keine
weltpolitischen Widersprüche mehr gibt, wenn sich also der Kampf der
Antagonismen quasi von selbst und mit ihm die geschichtliche Dialektik aufhebt.
Für die anderen wurde Fukuyamas Ende der Geschichte zum
programmatischen Befund einer neuen Geschichtlichkeit, die nach dem
Zusammenbruch der totalitären Systeme im Ostblock und der UdSSR die Phase von
Liberalismus, Demokratie und Marktwirtschaft einläutete. Statt Kaltem Krieg,
Aggression und sinnlosen Wettrüsten sollte die Demokratie ihren Siegeszug nun einläuten
und sich als Ordnungsmodell entfalten. Zum liberalen Gesellschaftsmodell des
Westens, so Fukuyama, gibt es keine ordnungspolitische Alternative, da sowohl
Faschismus, Kommunismus als auch real-existierender Sozialismus ihre
Überzeugungskraft verloren haben.
Statt Ende der
Geschichte integrative Assimilation
Anstelle des Kampfes tritt, wie Fukuyama später hinzufügen
wird, das Ende der Geschichte nunmehr in Gestalt einer integrativen Assimilation
von nicht-westlichen Kulturen in die westliche Kultur auf, was seiner Meinung bedeutet,
dass sich die nicht-westlichen Kulturen von ihren nichtdemokratischen Prinzipien
verabschieden und ihrerseits einen Demokratisierungsprozeß einläuten. Das
euphorisch verkündete Credo dabei: Die Demokratie würde ihren Siegeszug dann antreten,
wenn immer mehr Gesellschaften den zivilisierten, liberal-marktwirtschaftlichen
und westlichen Lebensstand des Westens aufgreifen und die Menschenrechte und
die Demokratie installieren bzw. durchsetzen.
Vom
Triumph des Westens keine Spur
Ein aktueller Blick aus dem Jahr 2016 liefert
einen anderen Befund. Vom Triumph des Westens keine Spur, vom Ende der
Ideologien schon gar nicht. Das Ende der Geschichte ist weder gekommen noch
scheint sich dieses auch nur ansatzweise anzudeuten. Hegel, der glaubte, dass
die Geschichte als „Kampf der Ideen“ zu Ende geht, wenn Napoleon oder der
preußische Staat regiere, erwies ist als eben so fatal wie Fukuyamas These vom
Ende der Geschichte. Ideologien haften etwas an, was sie nahezu unzerstörbar
werden läst: sie sind anthropologische Konstanten, die immer dann
Hochkonjunktur feiern, wenn es darum geht, Macht zu rechtfertigen, oder Macht
auf andere auszuüben. Sie sind Herrschaftsmuster oder -strukturen, denen sich
der Mensch als Mensch eben gerade nicht entledigen kann, die, wenngleich
negativ, zu seinem Wesen gehören.
Die neuen
Ismen blühen
Ob Russland, China oder Arabien, die neuen Ismen
blühen: Putins Neo-Zarismus, der russische Nationalismus, der chinesische
Turbo- oder Neokapitalismus als getarnter Staatskapitalismus sind und bleiben
Ideologien des 21. Jahrhunderts, die leider nicht faul, parasitär und sterbend
sind, wie einst der real-existierende Sozialismus.
Auch die islamische Theokratie steht gerade erst
in den Anfängen. Von der Demokratie sind die Imane soweit weg wie die Erde von
der Sonne. Und damit kann man getrost gegen Fukuyamas Vision einer integrativen
Assimilation oder Transformation westlicher in nicht-westliche Kultur
entgegenhalten: der Demokratisierungsprozeß ist nicht nur beim Arabischen
Frühling gescheitert, sondern in vielen Teilen der arabischen Welt hat man einfach
Angst vor einer offenen Gesellschaft, die traditionelle Werte und Kulturen im
Säkularisierungsschub wie alte Blätter von den Bäumen wirft.
Arabien
denkt anders
Gerade dort steht das demokratisch-liberale Modell
eben nicht für eine neue „Geschichte“, oder für das Ende derselben, sondern für
das Gegenteil, für einen neuen porösen Anfang, für die Auflösung der
etablierten Ordnung und des tradierten Wertekanons. Nicht der Wahrheitsbegriff
der Postmoderne regiert hier, sondern die religiöse Wahrheit zeigt sich darin, dass
sie die Demokratie entmündigt. Der Kampf der Radikalen, sowohl der politischen
als auch der religiösen, richtet sich
gegen die offene Gesellschaft, die auf globaler Linie durch Terrorakte und
gezielte Einwanderung attackiert wird. Dass hierbei Ideen – durchaus im Sinne
Hegels –, nur eben religiöse, eine dominierende Rolle spielen, ist nicht zu
übersehen. Es zeigt sich aber auch, dass sich weder die Stimme der Vernunft noch
ein liberales Denken hier ein Gehör verschaffen; und auch nicht, dass sich
gemäß der Hegelschen Dialektik, die Religion in die Vernunft aufhebt. Das
Gegenteil ist der Fall: die Vernunft beugt sich dem Joch des religiösen
Fundamentalismus und sekundiert ein Geschichts- und Antimodernisierungsdenken,
das sich darüber hinaus noch in abstrakte Höhen versteigt.
Erdoğan
und der Anfang der Geschichte
Der neue Star der deutschen Kanzlerin Angela
Merkel, ihre sehr fragwürdige Trumpfkarte bei der Lösung der Flüchtlingskrise,
ist der Türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Er soll Europa – mit seinen Demokratien
und der liberalen Werteordnungen – retten. Doch Erdoğan ist weder ein adäquater
Gesprächspartner westlicher Demokraten noch atmet er ihren Geist. Er
dämonisiert vielmehr die liberale Welt und träumt seinerseits von einem
Großreich, von einer neuen, „religiösen Generation“, die nicht für postmoderne
Diskurse bereit ist, sondern die offen mit islamistischen Bewegungen im Nahen
Osten kokettiert. Für ihn beginnt die Geschichte gerade jetzt erst, und sie wird
nicht enden, ehe er seine Vision einer radikalen Geschichtskorrektur, eine Renaissance
der islamischen Orthodoxie, frenetisch in die Realität umsetzt hat. Erdoğan hat
den totalitären Systemgedanken in sich aufgesogen und läßt seinen
Großmachtvisionen freies Spiel – verbunden mit seinem religiösen Auftrag. Dabei
wird alles unterworfen, was nicht in den Plan von seiner Vision einer „großen
Nation“ paßt. Er erstickt alle freiheitlichen Entwürfe und jeden Widerstand im
Keim. Und all dies getreu seines Geltungsanspruchs, dass die Welt als Ganze dahin
zurückkehren muss, „was die Osmanen früher waren.“ Dabei treibt Erdoğan die osmanische
Überzeugung, dass die Türkei das auserwählte Volk sei, den islamischen
Gottesbegriff in die Welt zu tragen. Und dies untermauert er, ganz gegen
Fukuymanas Voraussage vom Ende der Geschichte, mit seiner Superideologie vom
Türkischen Großreich samt Allmachtsphantasien. Er will – anders als Osama bin
Laden – der Führer der islamischen Welt werden, will diese auf seine Person hin
zentrieren. Er fordert unbedingten Gehorsam von seinen Untertanen und realisiert
gigantische Bauprojekte, um demonstrativ seine Herrschaftsansprüche zu
legitimieren. Wie die Mausoleum in Moskau und der Invalidendom in Paris soll Erdoğans
Riesenmoschee in Istanbul später sein Grabmal enthalten und zur Pilgerstätte
aller Rechtgläubigen werden.
Statt Ende
der Geschichte - Ironie der Geschichte
Im Augenblick, so scheint es jedenfalls, ist
Fukuyamas Ende der Geschichte – eines zumindest nicht – an ihrem Ende. Vielmehr
zeigt sich mit Blick auf Fukuyamas integrative Assimilation die Ironie der
Geschichte. Es sind gerade nicht die nicht-westlichen Kulturen, die sich an den
westlichen orientieren, sondern umgekehrt bekommt der Antidemokratisierungsprozeß
Erdoğans Rückendeckung von den liberalen Demokratien. Anders gesagt: Derzeit
nähert sich die westliche Welt samt ihren Werten an das Sultanat an und
verkauft damit – zu bestimmen Teilen – den Wertekanon an die Orthodoxie. Selbst
wenn Fukuyama bei einer Diskussion im Hause des ultraliberalen Cato-Instituts im
Jahr 2014 hervorhob, dass der „politische Islam“ keine wirklich große Idee,
sondern lediglich ein Schlagwort sei, das es „politischen Unternehmern“ erlaubt,
Gefolgschaften hinter sich versammeln, so verharmlost der Begriff des
„politischen Islam“ dessen Geltungsmacht und Gestaltungskraft, geht
letztendlich damit an der Realität vorbei. Der „politische Islam“ ist mehr: Er
ist das Ende der Geschichte und der Demokratie, oder läutet diese leise ein,
ganz gegen Fukuyamas These vom Sieg der Liberalität über die Ideologie. Wenn Erdoğan
siegt, dann sind Liberalismus und Freiheit tatsächlich am Ende. Und das Ende
der Geschichte kommt anders als gedacht.
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