Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
Nach den Landtagswahlen und der herben Niederlage für die CDU geht der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer auf erneuten Konfrontationskurs zum Kurs der Kanzlerin und spricht von einer „tektonischen Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland“.
von Stefan Groß
Im Zirkus der Politakteure ist er der Löwe, mal zahm, mal
aufbrausend, mal harscher Kritiker, mal sanfter Landesfürst. Der bayerische
Ministerpräsident Horst Seehofer kann beides, beides liegt ihm: extrem wie
gemäßigt, nur geduldig kann er nicht. Er ist Mitte und Rand. Und er versteht
sich wie ein Chämelon,
das die Farbe wechselt, auf
das „Themen-Abräumen“. Dabei folgt der Machtmensch nur seiner eigenen Stimme,
seinem Instinkt. Das System Seehofer ist Seehofer selbst. Wer den gebürtigen
Ingolstädter herausfordert, das wissen viele CSU-Granden nur allzu gut, der
braucht viel stoische Gelassenheit. Der Löwe ist immer im Auge zu behalten. Und
bei gemeinsamen öffentlichen Auftritten zentrieren sich die Blicke der
„Mannschaft“ immer wieder auf ihn, um die Stimmungslage zu prüfen, um
abzuwägen, ob diese steigt oder fällt, ob man sich ihm nähern oder doch auf
Distanz bleiben soll. Seehofer ist der Löwe, der ganz nach individuellem Gusto
entscheidet, wessen Hofart er begünstigt und wem er sie verweigert.
Die politische
Landschaft hat sich verschoben
Der starke Mann aus Bayern hat die Kanzlerin einst
bewundert, einst in Berlin; doch vom Kuschelkurs ist wenig geblieben,
eigentlich fast gar nichts. Dem Patriarchen der CSU, der von seiner Partei wie
eine Ikone verehrt wird, der Kultstatus genießt und auch ein wenig royalen
Esprit verströmt, und der sich ganz klar in der Königs- und Straußnachfolge
sieht, ist nach den Landtagswahlen gehörig das Lachen vergangen. Mit beredeter
Beharrlichkeit hatte er seit Monaten in der Flüchtlingsfrage gegen den Kurs der
Berliner Republik gewettert, die eigene Union vor eine interne Belastungsprobe
gestellt und den bayerischen Sonderweg wie einen alternativlosen Sonnenaufgang gepriesen.
Flüchtlingsbegrenzung, Obergrenze, eine gemaßregelte Kanzlerin auf dem
CSU-Parteitag – Seehofer blieb auf Kurs und war entweder einem Platz- oder gar Dauerregen
von Kritik ausgesetzt. Das politische Desaster der Landtagswahlen Mitte März
2016 hatte er – fast seherisch – prognostiziert.
Nach den schweren Niederlagen derCDUin
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sieht Seehofer die Union nun vor ihrer
gewaltigsten „Belastungsprobe und Herausforderung“ und spricht von einer
„tektonischen Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland“. Die
Protest-light-Politik ist nicht nur gescheitert, sie hat zu einer Renaissance
der FDP und für die AfD zu einem zweistelligen Wahlergebnis geführt, so der
CSU-Vorsitzende. Mit einer AfD will aber auch er nichts zu tun haben, zumal
deren Erstarken in Bayern die absolute Mehrheit der CSU gefährdet und damit
möglicherweise auch die Union auf lange Sicht instabil macht. Und diese Union
steht vor der Zerreißprobe.
Der unionsinterne
Grabenkampf geht in die nächste Runde
Der unionsinterne Grabenkampf zwischen Berlin und München
geht damit in eine weitere Runde und hat eine neue Dimension erlangt. Offener
Dissens regiert den Augenblick und Seehofers Kritik muss den Berlinern wie eine
Operation am offenen Herzen vorkommen. In München spricht man von
Wähler-Klatsche, von einem möglichen Bruch der Partner und der GroKo und
kritisiert das „Schönreden“ der Wahlergebnisse, die – für Seehofer –allein aufdas Konto Merkels und ihrer Flüchtlingspolitik zurückzuführen sind. In
Berlin dagegen setzt man auf Zeit, auf die europäische Karte bei der Lösung der
Flüchtlingskrise, spricht von einem Problem, das sich nur auf lange Sicht lösen
lassen werde. Seehofers Antipode Merkel sieht im Aufstieg der AfD kein
„existentielles Problem der CDU“ und CDU-Wahlverliererin Julia Klöckner
verkündet im unvermeidlichen Abstiegskampf, dass ihr „klarer Kurs“ dazu geführt
hat, „dass die AfD nicht stärker geworden ist“. Auch der designierte
Abschiedskandidat vom Amt des SPD-Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, befindet es für
gut, „dass die SPD in der Flüchtlingskrise Kurs gehalten hat.“ Während also die
einen in Berlin ihre Niederlage als Sieg feiern, die Verluste der Wahl in
leeren Worthülsen herunterspielen und die Niederlage auf das Wählervolk
abschieben, das nichts von großer Politik versteht und dessen
Entscheidungsfreiheit unter das Kuratel des Staates als wohlmeinendem Erzieher
zu stellen sei, also einen modernen staatlichen Paternalismus einklagen, betont
Seehofer, dass der Erfolg der AfD natürlich „an die Existenz der Union“ geht
und Rechtspopulisten in die Landtage spült, wozu es einem „jahrelangen Kampfes“
bedarf, um diese wieder zu verdrängen.Und er legt nach: „Aus einem Sinkflug kann ein Sturzflug werden, kann
auch ein Absturz werden,“ der sich auch auf die Bundestagswahl 2017
niederschlagen wird.
Seehofers sieht seine Stunde gekommen, und wie ernst er es
meint, zeigt sich in der Frage seiner Nachfolgerschaft. In der CSU gleichen die
Dauerspekulationen über sein politisches Erbe einer ewigen Wiederkehr. Sie
erfreuen sich steter Hochkonjunktur und erhitzen die Gemüter der getreuen oder
nicht so getreuen potentiellen Thronfolger. Doch Seehofer hat – in Anbetracht
des Wahlausganges – die Nachfolger und sämtliche Spekulationen vorerst auf die
Wartebank geschickt, „aufs Eis“ gelegt. Vorerst bleibt er Trainer,Schiedsrichter und Torjäger zugleich.
Kurskorrektur bei der
Flüchtlingsfrage
Während Berlin sich an Mysterien abarbeitet, spricht der Bayer Klartext.
„Mit einer falschen Wahlanalyse beginnt die nächste Wahlniederlage.“ Fast
machiavellistisch kreist er um die Frage, wie man in einer feindlichen
politischen Umwelt erfolgreich sein und die Macht erhalten kann. Ein
politisches Spektrum, das sich fast in Regenbogenfarben erglüht, ein Sechs-Partein-System,
ist ihm dabei ein Dorn im Auge. Ebenso die Zerrissenheit des Landes und die
Uneinigkeit der EU. Nach den Landtagswahlen ist für Seehofer vor der
Bundestagswahl 2017. Und eine Kurskorrektur bei der Flüchtlingsfrage das Gebot
der Stunde. Seehofer weiß auf die Stimme des Volkes zu hören, anders als in
Berlin. Er ist Realist, Pragmatiker und auch Kommunalpolitiker; er hat ein Ohr
für die Ängste und Sorgen der Bürger. Satt wie in Berlin auf ein
alles-geht-weiter-so zu spekulieren, räumt er einen Kurswechsel ein, begreift
diesen gar als pure Notwendigkeit, die er dem Wählervolk schuldig sei, das in
den Landtagswahlen in aller Deutlichkeit seinen Unmut am Berliner
Regierungsstil bekundet hat. Anstatt sich im politischen Wohlfühlpaket zu
suhlen, muss endlich und konsequent der Wunsch des Volkes respektiert werden,
nur so könne auch eine AfD überflüssig gemacht werden.
Die Landtagswahlen sind für Seehofer keine Marginalie, kein singuläres
Ergebnis. Sie gleichem einem politischen Erdbeben. Es gibt bei der Lösung
dieses Problems nur ein radikales Entweder-Oder. Entweder muss man die Wähler
überzeugen oder seine Politik ändern. Für den CSU-Politiker gibt es nur eine
Alternative: Die Politik zu ändern, und wie er derzeit aus Bayern tönt, auch
ohne die CDU.
Erschien zuerst auf The European
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