Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 04.05.16 |
von Hugo Müller-Vogg
Es war absehbar: In Stuttgart will die CDU nach fünfjähriger
Oppositionszeit wieder zurück in die Regierung – als Juniorpartner der Grünen.
Eine solche Konstellation gab es auf Seiten der CDU noch nie. Die SPD hat
dagegen schon Erfahrung mit der Selbstverzwergung: In Thüringen sind die
Genossen ganz glücklich, bei Bodo Ramelow und seinen Linken einschließlich
einiger Stasi-IMs am Katzentisch sitzen zu dürfen.
Nun kann man alles begründen. Die CDU in Baden-Württemberg
versucht’s auf die staatsmännische Tour: „Erst das Land, dann die Partei, dann
die Person.“ Ihr Vorsitzender Thomas Strobl zitierte dieses Postulat Erwin
Teufels in einem TV-Interview gleich drei Mal hintereinander, so dass es schon
peinlich wirkte. Dabei ist richtig: Eine noch immer halbwegs große Partei kann
sich Koalitionsgesprächen nicht schlichtweg verweigern, zumal nach der
baden-württembergischen Verfassung es unweigerlich zu Neuwahlen kommt,
falls innerhalb von drei Monaten nach der Landtagswahl keine neue
Regierung zustande kommt. Diese Gefahr war allerdings längst ausgeräumt, hatte
doch die FDP signalisiert, Grün-Rot notfalls zu tolerieren, um Neuwahlen
überflüssig zu machen.
Nun gibt es neben dem staatspolitischen, verantwortungs-ethischen
Argument noch eine zweite Begründung für eine Koalition: Regieren ist – im
Gegensatz zur Opposition – eben kein „Mist“. Dass gerade in der auf Regieren
abonnierten Südwest-CDU dies eine Rolle spielt, liegt auf der Hand. Als
zweitstärkste Partei hätte die CDU noch zwei herausgehobene Ämter zu vergeben:
das des Fraktionsvorsitzenden und das eines Landtags-Vizepräsidenten. Als
Regierungspartei darf sie dagegen mit deutlich mehr Positionen rechnen. Nimmt
man das aktuelle Kabinett mit 14 stimmberechtigten Mitgliedern als Maßstab,
könnte die Union wohl auf 6 dieser Positionen hoffen. Dazu kommen dann noch
weitere Ämter wie Regierungspräsidenten, die Leiter von Landesbehörden,
Polizeipräsidenten oder die Chefpositionen in landeseigenen Unternehmen, bei deren
Besetzung auch der kleinere Koalitionspartner nie leer ausgeht. All diese
Positionen bleiben für eine Opposition unerreichbar.
Es gibt aus Sicht der CDU noch einen weiteren
machtpolitischen Grund, unbedingt wieder mitregieren zu wollen. Zwischen 1955
und 2011 hat die baden-württembergische CDU immer den Ministerpräsidenten
gestellt; in 16 dieser 61 Jahre regierte sie sogar mit absoluter Mehrheit.
Dementsprechend sind viele leitende Positionen in den Ministerien wie in der
gesamten Landesverwaltung mit CDU-Sympathisanten besetzt. Dieses Netzwerk hat
Grün-Rot in den vergangenen fünf Jahren schon aus beamtenrechtlichen Gründen
nicht völlig zerschlagen können. Eine Regierungsbeteiligung gäbe der CDU also
nicht nur die Möglichkeit, die noch vorhandenen personellen Strukturen zu
konservieren; sie könnte zudem wenigstens teilweise wieder rückgängig machen,
was SPD-Minister verändert haben.
Hinter der staatsmännischen Pose „Erst das Land …“ stecken
bei der CDU also auch handfeste machtpolitische Erwägungen. Das ist nicht
verwerflich, sondern Teil des politischen Systems. Der Satz des italienischen
Machtpolitikers Giulio Andreotti, „Macht nutzt den ab, der sie nicht besitzt“,
ist so aktuell wie eh und je. Fragt sich nur, wofür die CDU ihre Macht nutzen
will: um sich als dauerhafter Juniorpartner der Grünen zu etablieren oder um
aus der zweiten Reihe heraus in fünf Jahren wieder in die Pole-Position zu
gelangen? Ersteres weisen Unionspolitiker empört von sich, Letzteres aber ist
nicht gerade aussichtsreich..
Die CDU versucht in Stuttgart etwas, was äußerst schwierig
ist: aus der Position des Juniorpartners in einer Koalition heraus die führende
Regierungspartei zu werden. Das spektakulärste Beispiel dafür lieferte 1969 die
SPD nach der ersten Großen Koalition in Bonn. Dieses taugt freilich kaum als
Blaupause für künftige Fälle. Denn damals war nach 20-jähriger
CDU-Kanzlerschaft die Zeit wirklich reif für einen Wechsel. Zudem hatten die
Sozialdemokraten zuvor drei Jahre lang als kleine Regierungspartei erstmals
ihre Regierungsfähigkeit im Bund unter Beweis gestellt. Schließlich standen die
Freien Demokraten zum ersten Mal in Bonn als Partner für eine sozial-liberale
Regierung bereit.
In jüngerer Zeit ist das dagegen noch keiner Partei
gelungen. Im Gegenteil. Es gilt eher die Regel, dass bei gut funktionierenden
Regierungen der jeweilige Regierungschef samt seiner Partei die Erfolge
einheimst, während die kleinere Partei für ihre Mitwirkung nicht belohnt wird.
Die jüngsten Beispiele dafür gab es bekanntlich am 13. März: Die SPD stürzte
trotz Regierungsbonus in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ab, die Grünen in
Rheinland-Pfalz.
Solche Ergebnisse bilden eher die Regel als die Ausnahme. In
Berlin zum Beispiel regierte die PDS/DieLinke zwischen 2001 und 2011 an der
Seite der SPD – und schrumpfte von 22,6 auf 11,7 Prozent. Ähnlich ging es der
CDU in Brandenburg. Sie regierte dort von 1999 bis 2009 als Juniorpartner der
SPD und fiel in dieser Zeit von 26,5 auf 19,8 Prozent. In Hamburg verhalfen
2001 Schill-Partei und FDP der CDU zum ersten Mal seit 1953 wieder zum
Bürgermeister-Posten. Drei Jahre später flogen beide Parteien aus der
Bürgerschaft, und Ole von Beust holte die absolute Mehrheit. Nicht zu vergessen
das Mitregieren der SPD im Bund zwischen 2005 und 2009: Ihr Beitrag zur Politik
der Regierung Merkel/Müntefering bzw. Merkel/Steinmeier wurde von den Wählern
nicht honoriert, sondern bestraft; die SPD fiel von 34,2 auf 23,0 Prozent.
Natürlich geht es der CDU im Südwesten nicht nur um das
Land; sie will auch wieder stärkste Partei werden. Doch weiß sie offenbar
selbst nicht, wie sie das bewerkstelligen will. Die Grünen werden ihr
Zugeständnisse machen, so wie sie das auch gegenüber der SPD getan haben. Aber
selbst wenn es der Union gelingen sollte, eine Digitalisierungs-Offensive zu
starten, im Bundesrat die Große Koalition zu stützen, den Trend zur
Einheitsschule zu bremsen und mit dem Gender-Karneval Schluss zu machen –
zugerechnet würden solche Erfolge in erster Linie dem von den Medien schon
heute zum grünen Messias verklärten Winfried Kretschmann und seiner Partei.
Der frühere Europaminister Wolfgang Reinhart, ein enger
Vertrauter des gescheiterten CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf, hat für die
bevorstehende Herausforderung große Worte gefunden: „Wir müssen uns als
Juniorpartner in einer solchen Koalition über geistige Kompetenz rechtfertigen,
wir brauchen große Würfe. Ein großer Wurf wäre zum Beispiel ein Zukunftskonzept
mit dem Titel Baden-Württemberg 2025. Wenn man Juniorpartner ist, hilft kleines
Karo nicht weiter.“ Nun ja, falls es bei der CDU Elemente „geistiger Kompetenz“
und eines „großen Wurfs“ geben soll – im Wahlkampf hat die CDU das jedenfalls
verborgen. Jetzt sitzt sie in der Falle – in der Falle der
Selbstverzwergung.
Veröffentlicht in „Tichs Einblick“ vom 6. April 2016
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