Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
Für Aufsehen und Diskussion sorgt in der Schweiz die Entscheidung der Schulleitung in der Sekundarschule Therwil. Zwei muslimische Schüler verweigern ihrer Lehrerin den Handschlag. Die Schule hat die Sonderregelung erlaubt, die Lehrerin fühlt sich diskriminiert.
von Stefan Groß
Nonverbale Begrüßungsrituale wie der Handschlag gehören in
Europa zum Kanon gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung. Bereits Paulus hatte
im Neuen Testament im Brief an die Galater bei seinem Abschied aus Jerusalem
die „rechte Hand der Freundschaft“ gereicht. Von römischen Münzen bis hin zum
Freiherr von Knigge galt und gilt der Handschlag als Symbol der Eintracht. Ihn
zu verweigern, hatte Knigge als einen rücksichtslosen Affront bezeichnet, der
mit Überlegenheit nicht zu tun hat.
Der Islam tickt anders
Was in Europa einer Kultur gegenseitiger Respektbekundung gleichkommt, wird
in islamischen Gesellschaften völlig anders interpretiert. Dort wird das Händeschütteln
zwischen Männern und Frauen oft abgelehnt und ist, wie der saudische Großmufti ʿAbd
al-ʿAzīz ib Bāz in einem Fatwa und der schiitische Geistliche Muhammad Hussein
Fadlallah erklären, verboten. Grund für die strikte Negation ist ein Hadith des
Propheten Mohammed, worin sich dieser ausdrücklich dazu geäußert hat, Frauen
nicht die Hand zu geben. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Akt perverse
Gelüste wecke. Der in Katar lebende Gelehrte Yūsuf al-Qaradāwī – und andere
Muslime – lassen aber eine Ausnahme gelten, wenn „sexuelle Begierden“ dabei
keine Rolle spielen.
Die Verweigerung des
Handschlags
Für großes Aufsehen und Empörung sorgt ein Fall von muslimischen Schülern derzeit
in der Schweiz. Ausgelöst hat das Politikum die Pressesprecherin des
Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS), Janina Rashidi, die fremden Männern
den Handschlag verweigert und dies mit ihrer persönlichen Vorstellung von
Respekt begründet. Doch die Schweiz ist Europa und das Handschütteln damit
fester Bestandteil der eidgenössischen Kultur. Das Ritual des Händeschüttelns
ist ein gelebtes Alltagsgut. Nun hat ausgerechnet der Schweizer Rektor Jürg
Lauener aus dem kleinen Örtchen Therwil bei Basel zwei jungen Muslimen, die
sich aus religiösen Gründen weigern, ihre Lehrerin per Handschlag zu begrüßen, diese
Verweigerung erlaubt. Dass er mit seiner Sonderregelung der
Handschlagverweigerung eine landesweite Debatte lostreten würde, war ihm
sicherlich nicht bewußt.
Seitdem tobt in der Schweiz ein Kampf bis in die höchsten Instanzen. Doch
die Sache ist nicht neu. Sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden
haben solche Fälle bereits für Aufsehen gesorgt. CDU-Vize Julia Klöckner weiß
ein Lied davon zu singen, als ein Imam ihr den Handschlag verweigerte. Klöckner
zog nach und forderte eine Integrationspflicht für Muslime. Auch der muslimische
Fußballprofi Nacer Barazite, der seit Sommer 2014 beim FC Utrecht unter Vertrag
steht, zog es vor, der Reporterin nach einem Spiel die Hand nicht zu geben.
Ein Politikum in der Schweiz
Die schweizerische Justizministerin Simonetta Sommaruga ist über den
Sonderweg aus Therwil empört und kommentiert den Vorfall damit, dass es undenkbar sei,
dass „ein Kind der Lehrperson die Hand nicht gibt“. So funktioniere gelingende
Integration nicht und auch unter „dem Titel Religionsfreiheit kann man das
nicht akzeptieren.“ Beat Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerinnen- und
Lehrerverbandes schlägt ins gleiche Horn und fordert, dass es keine Ausnahme
von der Regel geben kann, denn es wäre ein „Novum, wenn es Schülern erlaubt
sei, dem Lehrpersonal den Handschlag zu verweigern. Nicht nur er spricht von
keiner guten Lösung, sondern bekommt auch Rückendeckung von der Präsidentin des
Forums für die Integration der Migrantinnen und Migranten, Emine Sariaslan. Kritik
kommt aber auch aus den Reihen der Muslime selbst. Montassar Benmrad, Präsident
der Föderation islamischer Dachorganisationen in der Schweiz sowie Saïda
Keller-Messahli, die Präsidentin des Forums für einen Fortschrittlichen Islam, finden
sie Entscheidung der Schulleitung für völlig unangebracht. Für Benmard ist es unverhältnismäßig, dass „es wegen
einzelner Schüler wirklich eine offizielle Rechtsmeinung und eine Anpassung des
Schulreglements braucht“. Die Verweigerung wird als „Respektlosigkeit,
Unhöflichkeit oder sogar als Aggression empfunden.“ Und für Saïda Keller-Messahli
ist die Forderung, den beiden Schülern nachzugeben, gleichbedeutend damit, „dem
politischen Islam Tür und Tor zu öffnen. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir leben
hier nicht in Saudi-Arabien!“ Das Verbot des Händedrucks sei
„neo-islamistisch“.
Das A und O bleibt
die Integration
Bereits im Jahr 1991 hatte Bassam Tibi den Begriff des Euro-Islam in die
wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Tibi versteht darunter eine säkularisierte
Form des Islams, der die Bedingung der Möglichkeit sei, dass die in Europa
lebenden Muslime ihren Pflichten- und Wertekanon auf den der modernen
europäischen Kultur abstimmen. Der Euro-Islam zielt letztendlich auf eine europäisch-islamische
Synthese im Rahmen der Europäisierung des Islam. Tibis Euro-Islam lehnt nicht
nur Scharia und Dschihad ab, die maßgeblich die Integration von Muslimen in
Europa behindern, sondern fordert von dem im europäischen Raum lebenden Muslimen,
dass diese die Trennung von Religion und Staat akzeptieren. Entweder, so Tibi,
gelingende Integration oder es kommt zu einem Konfliktszenario samt Ghettoisierung
der Muslime. Der Euro-Islam bleibt für ihn in einer globalen Migrationskrise damit
die einzige eine Alternative zum Ghetto-Islam, „der von seiner Enklave aus
langfristig auf eine Islamisierung Europas abzielt.“ Den Erfolg der Integration
bestimmt dabei maßgebend die europäische Politik, die klare Leitlinien für den Integrationsprozess
formulieren muss, damit sich reform- und integrationsfeindliche Kräfte nicht
durchsetzen.
Und dazu gehört eben auch der Handschlag dazu. Wer das anders sieht, sollte
seine religiösen Überzeugungen prüfen oder erwägen, in seine Herkunftsländer
wieder zurückzukehren. Wir sollten uns jedenfalls nicht durch neo-islamistische
Vorstellungen unsere Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale – verbunden mit der
dahinterliegenden Wertschätzung – in Frage stellen lassen. Hier gibt es keinen
weiteren Diskussionsbedarf. Wer die Rechte der Frauen nicht achtet, gehört
nicht nach Europa. Wer sie akzeptiert, ist herzlich willkommen!
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