Erschienen in Ausgabe: No 124 (06/2016) | Letzte Änderung: 10.06.16 |
von Michael Lausberg
Nicht „der Islam“ stellt eine Gefahr für die Gesellschaft
dar, sondern die Ausgrenzung von mehr als vier Millionen Muslimen, die in den
letzten Jahren verstärkt Opfer von rassistischen Attacken wurden und deren
Moscheen eine Zielscheibe von Brandanschlägen darstellten.
Laut einer vom WDR in Auftrag gegebenen repräsentativen
Umfrage sind 60 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass „der Islam nicht zu
Deutschland gehört“. Nur 34 Prozent vertreten die gegenteilige Auffassung. 76
Prozent der FDP-Anhänger finden, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört.
Bei den AfD-Anhängern sind es 94 Prozent. Die Skepsis steigt mit zunehmendem
Alter. In der Gruppe der über 64-Jährigen widersprechen 71 Prozent dem
Wulff-Zitat. Mehr als jeder Zweite hat laut der Umfrage Sorge, dass aufgrund
der Flüchtlinge der Einfluss des Islams in Deutschland zu stark werde.
Im Jahr 2010, als der damalige Bundespräsident Christian
Wulff in einer Rede sagte, „der Islam gehöre zu Deutschland“, hatte er eine
Mehrheit hinter sich. Damals stimmten dieser Aussage noch 49 Prozent der
Befragten zu. 47 Prozent lehnten diese Aussage damals ab.
72% der Befragten haben die Befürchtung, dass es in
Deutschland einen terroristischen Anschlag geben wird. Das ist der höchste
Wert, den Infratest dimap bei dieser Frage bislang gemessen hat.
Erneuter Anstieg von antimuslimischem Rassismus
Dieser erneute Anstieg des antimuslimischen Rassismus in der
Bevölkerung ist auch das Ergebnis der langjährigen Hetze gegen einen
monolithisch verstandenen Islam, die nicht nur bei rechten Parteien und
Organisationen zu finden ist, sondern auch bei gesellschaftlichen
Repräsentanten in Politik und Theologie.
Spätestens seit den Terroranschlägen am 11.9.20001, an dem
deutsche Muslime als Täter mitbeteiligt waren, wird „der Islam“ in großen
Bevölkerungsteilen der BRD als Bedrohung empfunden. In oft vereinfachender und
hetzerischer Weise wird eine „Islamisierung“ als Bedrohung für die westlichen
Einwanderungsgesellschaften konstruiert. Die Religionsgemeinschaft wird als
monolithischer Block gesehen und mit den negativen Attributen militant,
totalitär, antidemokratisch und frauenfeindlich versehen. Unterschiedliche
Glaubensvorstellungen bei Sunniten, Schiiten, Alawiten usw. oder die Auffassung
eines säkularen Islams fehlen häufig in der Debatte. Negative angebliche
unveränderliche Merkmale werden in der Wissenschaft, in den Medien und auch von
gesellschaftlichen Verantwortungsträgern transportiert. „Islam“, „Muslime“ und
„Kopftuch“ sind Chiffren geworden, bei denen „Scharia“, „Ehrenmord“ und
„Terrorismus“ gleich mitgedacht werden.
h6. Rassismus richtet sich gegen mit arabischem oder
türkischem Migrationshintergrund
Dieser Rassismus richtet sich konkret gegen Menschen mit
arabischem oder türkischem Migrationshintergrund und auch gegen jene, die aus
einer weißen dominanten gesellschaftlichen Position heraus als solche
wahrgenommen oder markiert werden. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats
der Muslime, stellte 2014 resigniert fest: „Ob in der Schule oder im
Arbeitsalltag, ständig müssen Muslime sich für die Taten von Terroristen
rechtfertigen.“
Die ständige Wiederholung der These, die christlichen
europäischen Gesellschaften müssten sich gegen einen immer als fundamentalistisch
und monolithisch verstandenen Islam wehren, dient dazu, religiöse
Konkurrenzangst zu nationalisieren und zu ethnisieren. Der Islam wird als
existenzbedrohend für die deutsche Gesellschaft und ihre „nationale Identität“
dargestellt.
Das Bündnis „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung
des Abendlandes“ (Pegida) protestiert vor allem in Dresden mit mehreren
zehntausend Teilnehmern in der Tradition der Montagsdemonstrationen gegen eine
„Islamisierung Europas“. Die dort auch angesprochenen Themenbereiche „nationale
Identität“ und „Asylmissbrauch“ sind eng mit dem Postulat gegen „Islamisierung“
verknüpft. Pegida transportiert einen antimuslimischen Rassismus, die
Demonstrationen sind die größten rechten Aufmärsche seit dem 2. Weltkrieg.
Der Anti-Islam-Kurs der AfD
Die AfD hat auf ihrem Parteitag am 1.5.2016 in Stuttgart
einen klaren Anti-Islam-Kurs beschlossen: „Der Islam gehört nicht zu
Deutschland. (…) Ein orthodoxer Islam, der unsere Rechtsordnung nicht
respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige
Religion erhebt, ist mit unserer Rechtsordnung und Kultur unvereinbar.“ Die AfD
fordert den Verbot von Minaretten, den Ruf des Muezzins und jegliche
Vollverschleierung.
Der Islam gehört zu Deutschland
Dabei gehört der Islam im pluralistisch verstandenen Sinne
jedoch selbstverständlich zur BRD, weil hierzulande vier oder fünf Millionen
Muslime leben. Allein schon die Fragestellung ist schon Ausdruck eines latenten
antimuslimischen Rassismus. Der Islam gehört ebenso wie das Christentum, das
Judentum, der Buddhismus, der Hinduismus und die russisch-orthodoxe Kirche zur
BRD, weil praktizierende Mitglieder dieser Religionsgemeinschaften hier
dauerhaft leben. Die Werte und Grundzüge des Zusammenlebens orientieren sich am
Grundgesetz und am solidarischen toleranten Miteinander. Das Grundgesetz
unterscheidet nicht nach Religionen, es gilt sowohl für Atheisten, Agnostiker
als auch Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften. Es ist auch
nirgendwo gesetzlich festgelegt, dass das Christentum die führende Rolle
innerhalb der Religionsgemeinschaften beanspruchen darf. Im Gegenteil, das
Grundgesetz geht von einem Pluralismus der Religionen aus.
Ein Blick in die Geschichte des Islams in Deutschland zeigt,
dass das Zusammenleben zwischen deutschen Muslimen und der autochthonen
Mehrheitsbevölkerung auf der Basis von gegenseitigem Respekt und religiöser
Toleranz in weiten Teilen als gelungen bezeichnet werden kann. Seit dem 18.
Jahrhundert kann von einem islamischen Leben auf dem Gebiet Deutschlands
gesprochen werden.
Heute leben schätzungsweise über 4 Millionen Muslime in
Deutschland, das entspricht etwa 5 Prozent der Bevölkerung. Sunitische,
schiitische und alewitische Anschauungen des Islams sind dort am verbreitetsten.
Durch die Aufnahme von Flüchtlingen dürfte sich die Zahl noch etwas erhöhen.
Pauschalisierte negative Ansichten im Sinne einer Bedrohung
für die autochthone Mehrheitsgesellschaft sind gegenüber Flüchtlingen, nur weil
viele Muslime darunter fallen, fehl am Platz. Migrationsbewegungen aus
muslimischen Ländern in westliche Welt und umgekehrt verbunden mit einem
gegenseitigen Austausch gab es schon immer. In der Zeit der Globalisierung ist
der homo migrans Normalität geworden. Auch in Zukunft wird Migration ein
alltäglicher Prozess sein; künstliche Grenzen in der „Festung Europa“ können
keine dauerhafte Lösung darstellen. Im Augenblick geht es darum, allen
Flüchtlingen, natürlich auch den Muslimen unter ihnen, vorurteilsfrei zu helfen
und sie in die längst bestehende interkulturelle Gesellschaft in der BRD zu
integrieren.
Religionsfreiheit als hohes Gut
Mit der Feststellung, dass der Islam nicht zu Deutschland
gehöre, werden mehr als vier Millionen Muslime in diesem Land diskriminiert und
an den Rand gedrängt, was eine Gefahr für das interkulturelle und
interreligiöse Zusammenleben in der BRD darstellt. Religionsfreiheit ist in der
BRD ein hohes Gut, eine Religionsgemeinschaft per se unter Generalverdacht des
Terrorismus zu stellen und zu stigmatisieren, widerspricht der pluralistischen
Sichtweise einer modernen Gesellschaft. Nicht „der Islam“ stellt eine Gefahr
für die Gesellschaft dar, sondern die Ausgrenzung von mehr als vier Millionen
Muslimen, die in den letzten Jahren verstärkt Opfer von rassistischen Attacken
wurden und deren Moscheen eine Zielscheibe von Brandanschlägen darstellten. Die
Herstellung pauschalisierender Bilder und Stereotype über „den Islam“ und über
Muslime widerspricht einem rechtlichen Diktum, wonach die Zubilligung gleicher
Rechte für alle Religionsgemeinschaften in der BRD vorausgesetzt wird.
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Warszawski 28.05.2016 19:39
Bei 4.000.000 Muslimen gehört der Islam selbstverständlich zu Deutschland. Auch die AfD, die NSU und wahrscheinlich die Mafia gehören zu Deutschland. Dabei ist es gleichgültig, ob der Islam oder die Mafia als Bedrohung empfunden werden oder nicht.