Erschienen in Ausgabe: No 124 (06/2016) | Letzte Änderung: 10.06.16 |
von Hugo Müller-Vogg
Der westeuropäische Sozialstaat basiert auf drei Prämissen.
Erstens: Wer unverschuldet nicht für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen
kann, dem wird vom Staat geholfen; genauer: von den Steuerzahlern. Zweitens:
Der Mensch ist nicht von Hause aus edel, hilfreich und gut. Deshalb muss, wer
von der Allgemeinheit Unterstützung erwartet, schon offenlegen, warum er nicht
für sich und seine Familie sorgen kann. Vertrauen ist nett, Kontrolle ist
notwendig!
Drittens: Wer einfach nicht arbeiten will, den lässt der Sozialstaat nicht
verhungern. Aber er muss mit weniger auskommen, als der, der einfach nicht
arbeiten kann. Und wer sich gerne auf Kosten der Fleißigen in permanenter
Freizeit selbstverwirklichen möchte, der muss mit Druck des Staates, also der
Interessenvertretung der Steuerzahler, rechnen.
Diese drei Grundsätze gelten im Prinzip in allen westeuropäischen Staaten. Dass
sich trefflich darüber streiten lässt, wie hoch das staatliche Minimum
ausfallen und wie eine Politik des „Forderns und Förderns“ umgesetzt werden
sollen, versteht sich von selbst. Gerade in der Sozialpolitik liegen
politischer Populismus und fiskalischer Realismus nahe beieinander.
Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen – hierzulande von
Teilen der Linken, der Grünen, aber auch von Einzelkämpfern aus Wirtschaft und
Wissenschaft erhoben – hat einen anderen Ansatz. Demnach hat jeder Mensch vom
Tag eins nach seiner Geburt an einen Anspruch auf lebenslängliche, umfassende
Alimentierung. Ob er sich einer Ausbildung unterzieht oder nicht, arbeitet oder
nicht, sich anstrengt oder nicht, das alles ist sein Privatvergnügen. Das
Grundeinkommen ist ihm sicher. So wird das Bibelwort Wirklichkeit: „Seht die
Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht
in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“
Angeblich, so die Vorkämpfer für die staatlich finanzierte freie Wahl zwischen
Arbeit und Vergnügen, werden die vom Grundeinkommen Beglückten sich keineswegs
auf die faule Haut legen. Im Gegenteil: Frei von wirtschaftlichen Zwängen
werden sie angeblich Höchstleistungen erzielen. Und sich anstrengen, damit
genügend Geld beim Staat landet, um dieses wahre Paradies auf Erden zu finanzieren.
Glückliche Menschen in einem glücklichen Land!
Gut möglich, dass ein Grundeinkommen solche Effekte hätte – in Einzelfällen
vielleicht. Aber es hätte zwei weitere Effekte: Wer heute einfache, niedrig
bezahlte Tätigkeiten ausübt, wird gar nicht mehr arbeiten, weil es sich nicht
mehr lohnt. Und viele Leistungsträger werden weniger arbeiten, weil die zur
Finanzierung des Grundeinkommens notwendigen massiven Steuererhöhungen ihnen
die Lust an der Leistung vergällen.
Die Schweizer haben an diesem Sonntag über das Grundeinkommen abgestimmt. Und
sie haben mit überwältigender Mehrheit für den herkömmlichen Sozialstaat
plädiert – und damit gegen ein Grundrecht auf subventionierte Faulheit. Wie
immer man zu unseren südlichen Nachbarn stehen mag – dumm sind sie jedenfalls nicht.
Veröffentlicht in „Tichys Einblick“ vom 5. Juni 2016
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