Erschienen in Ausgabe: No 124 (06/2016) | Letzte Änderung: 10.06.16 |
Deutschland ist gespaltner denn je. Während die Volksparteien auf Wählerdiät gehen, gewinnt die AfD an politischer Geltungskraft. Doch dank Alexander Gauland muss das nicht so bleiben. Das beste Mittel gegen das Erstarken der AfD ist der Vize der Partei selbst. Gauland ist der personalisierte Selbstmord der AfD – und das ist auch gut so!
von Stefan Groß
In
der AfD tobt ein Grabenkampf zwischen Frauke Petry und Alexander Gauland.
Während Petry die Partei aus der rechten Schmuddelecke herausführen will,
versetzt Alexander Gauland seiner eigenen Partei einen Dolchstoß nach dem
anderen. Petry kann sich nur noch um Schadenbegrenzung kümmern. Doch Gauland
ist ihr beim In-Fettnäppchen-Treten derzeit immer einen Schritt voraus. Immer
wieder polarisiert das ehemalige CDU-Mitglied mit Parolen, die selbst
AfD-Anhänger und Sympathisanten nicht goutieren können. Spätestens dann, wenn
Gauland gegen die Deutsche Fußballmannschaft wetterte und diese als undeutsch
kategorisierte und von einer Elf aus dem Jahr 1954 träumte, verprellte er nicht
nur kurz vor der Fußball-EM die Wählerschaft. Auch mit seiner
fremdenfeindlichen Äußerung in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS)
hatte er sich noch weniger Freunde gemacht. Seine verbale Entgleisung zeigte
Wirkung und ließ die AfD – sonst auf Erfolgskurs – in der Wählergunst sinken.
Seitdem wünscht sich ganz Deutschland Fußballstar Jérôme Boateng zum Nachbarn,
während mit dem AfD-Vize nicht einmal mehr Nachbars senile Katze spielen will.
Gauland
ist der Meister der Inszenierung
Gauland
ist die neue Böhmermann-Affäre, nur schlimmer. Schlaglichtartig hatte er mit
seiner Äußerung gegen Boateng für Aufsehen gesorgt: „Die Leute finden ihn als
Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“
Selten hatte ein einzelner Satz in den letzten Wochen eine derartige
Dramaturgie und schuf sich seine eigene Regie. Aber mit Fußballeridolen scherzt
man nicht und macht sie auch nicht zur Zielscheibe rassistischer Polemik. Was
man über Politiker hierzulande kritisch – wie „Kanzlerin-Diktatorin“
beispielsweise – äußern kann, gilt für Fußballstars eben nicht, hier sind die
Deutschen sensibler. Kritik am Fußball bleibt die Achillesferse, selbst wenn
Hooligans außerhalb des Stadions mit blinder Hetze Jagd auf Ausländer machen,
auf dem Spielfeld zumindest sind diese heilig.
Um
diese Speziallogik der eingeschworenen Fußballnation hätte selbst Alexander
Gauland, Deutschlands konservativer Unruhe-Geist im englischen Tweet und graue
Eminenz der AfD, wissen müssen. Nach seiner ersten verbalen Entgleisung scheint
Gauland aber erst richtig in Fahrt gekommen zu sein. Eine skandalträchtige
Aussage folgte auf die andere. Ob er den Rechtpopulisten Björn Höcke oder NDP-Parolen
zitierte, ob er den Parteien im Bundestag vorwarf, dass diese „eine Politik der
menschlichen Überflutung“ vertreten, ob es sich um seine Aussage handelte, das
„deutsche Volk allmählich […] durch eine aus allen Teilen dieser Erde
herbeikommende Bevölkerung“ zu ersetzen. Gauland ist jedes Mittel medialer
Inszenierung recht. Doch je mehr er verbal aufrüstet, je mehr er mit der
rechten Keule Propaganda macht, desto unsympathischer wird und wirkt er. Der
Intellektuelle, so scheint es, ist auf Schnäppchenjagd was Tonfall und Aussagen
betrifft. Doch so billig kaufen die Deutschen dann nicht ein, selbst wenn viele
Bundesbürger, gerade aus dem bürgerlichen Lager oder bei den grünen
Gutmenschen, sich insgeheim dagegen wehren, ihre Kinder in Schulen zu schicken,
wo die Migrationsdichte besonders groß ist und wo man nach wie vor in Gegenden
zieht, wo die Klingelschilder goldglänzend einheimische Nachnamen tragen.
Dennoch sind blanker Rassismus und billiger Populismus à la Höcke und Gauland
im Deutschland des Jahres 2016 eben nicht hoffähig. Möge es so bleiben. Und
Alexander Gauland tut sein Bestes dafür. Die beste Waffe gegen die AfD ist
derzeit der Partei-Vize selbst.
Mit
Worten lässt sich trefflich streiten
Dass
sich mit Sprache wunderbar Politik machen läßt, ist nicht neu. 2005 hatte der
damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering Finanzinvestoren in einem Interview
mit „Heuschrecken“ verglichen, und der 2016 verstorbene Guido Westerwelle
entzündete als Außenminister eine Debatte über Hartz-IV-Empfänger. Legendär
dabei der Satz: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu
spätrömischer Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschland
scheitern.“
Wie
man mit geschickter Inszenierung und knackigen Parolen in der Wählergunst
rechts und links der Mitte auf Wählerfang gehen kann, dies hat mittlerweile
auch die AfD erkannt und lässt keine Provokation aus, um Schlagzeilen zu
generieren. Eine wohlfällige Presse, die den medialen Hype zum Qualitätsmerkmal
wie die „FAS“ erhebt, stimmt in den Chor mit ein und so entsteht ein verschwommenes
Bild darüber, was Gauland nun gesagt oder auch nicht gesagt hat. Diese
Unbestimmtheit wiegt wesentlich nachhaltiger als eine bestimmte Aussage des
AfDlers, denn das Ungesagte hält den Diskurs im Schwange, verbreitet sich wie
ein Krebsgeschwür über alle Nachrichtenticker, macht die Blase noch größer als
sie ist, stülpt sie aus und schafft – was noch schlimmer ist – neue Asymmetrien
in der Berichterstattung. Die Causa Gauland bestimmt den medialen Diskurs, wird
geradezu auf ihn zugeschnitten, ertrunkene Kinder, Krieg und Terror dagegen, so
wird es zumindest telegen suggeriert und inszeniert, sind unwichtiger als der
Herr, der immer wieder die Worte „raum- und kulturfremd“ wie einen Bauchladen
vor sich herträgt und diese wie ein Mantra wiederholt.
Die
rituelle AfD-Rhetorik
Fast
schon rituell ist das Prozedere der AfD-Rhetorik. Die Dialektik, die
dahintersteht, folgt der Dynamik von Eskalation, öffentlicher Empörung und
Deeskalation, einem klassischen Dreischritt von Tabubruch oder Provokation, dem
medialen Wirkenlassen und dem anschließendem Dementi. Rechtsextremismusforscher
nennen dies bereits eine „parasitäre Art der Kommunikation“, der es immer
wieder gelingt, an der „rechtspopulistischen Eskalationsschraube“ zu drehen und
damit einen Diskurs zu entzünden, um dann doch wieder zu bekunden, dass alles
Gesagte nicht so gemeint oder eben falsch verstanden wurde. Damit bleibt die
AfD im medialen Spiel, kann sich immer wieder als Angreifer und zugleich als
Opfer stilisieren. Besser kann, dies müssen auch ihre Kritiker mittlerweile
einräumen, eine mediale Strategie nicht funktionieren. Die AfD bleibt Meister
bei der Provokation. Ihr geht es nicht um ernstzunehmende politische Ziele, um
ein sachliches Problem-Lösen, sondern um gezielte Stimmungsmache, die in Zeiten
der Flüchtlingskrise mit populistischem Drive versehen, die Stimmung im Land
negativ anheizt. Es ist ein bisschen wie bei Donald Trump: Nicht die Wahrheit
steht im Vordergrund, sondern das Palaver. Statt Wahrheit eine wohltemperierte
Mixtur von Wohlanständigkeit einerseits und Hetze andererseits. Doch hinter
allem offenbart sich die Fratze des Rassismus als bösartiger Kern der
Rechtspopulisten, die alles, was nicht zur deutschen Kultur gehört zum
unerwünschten Fremdling des biodeutschen Volkskörpers erklären.
Von
Gaulands Mantras profitiert die Bundeskanzlerin
Sah
es in den letzten Wochen danach aus, dass Gauland von seinem Mantras
profitierte, hat sich das politische Klima zu seinen Ungunsten verschoben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel kann sich insgeheim nur freuen, denn Gauland
übernimmt die Aufgabe des politischen Selbstmords jener Partei, die sich nicht
nur für die internen Grabenkämpfe zwischen der CSU und der CDU verantwortlich
zeigt, zwischen Bayern und Berlin, sondern durch deren Reingrätschen es auch
immer schwieriger wird, sich im eingespielten politischen Fußballteam der
etablierten Parteien schön und bequem einzurichten.
Angela
Merkel hat schon viel Schlimmeres als Gauland überlebt. Und die erneute
Forbes-Nominierung als „mächtigste Frau der Welt“ im sechsten Jahr in Folge
scheint auch – allen Kritikern zum Trotz – dem Führungsstil der Kanzlerin Recht
zu geben. Zur Begründung heißt es dort, dass Merkel für ihren Mut, ihre mutige
Flüchtlingspolitik und für ihren Einsatz für die EU gelobt wird. Welchen Mut
könnte man fragen? Da ist Gauland wohl mutiger, wenn er zumindest ein Unbehagen
vieler Deutscher an der derzeitigen Politik ausspricht und damit kollektiv
verhauen und zur persona non grata erklärt wird.
Es
bleibt eben alles eine Frage der jeweiligen Auslegung. Schon Johann Wolfgang
Goethe wusste im ersten Teil des „Faust“ zu sagen: „Denn eben wo Begriffe
fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein, Mit Worten lässt sich
trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte lässt sich
trefflich glauben. Von einem Wort lässt sich kein Iota rauben. […] Doch ein
Begriff muss bei dem Worte sein.“
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