Erschienen in Ausgabe: No 125 (07/2016) | Letzte Änderung: 30.06.16 |
von Michael Lausberg
Am 2.6.2016 hat der
Bundestag hat mit einer großen Mehrheit den Massenmord an bis zu 1,5 Millionen
Armeniern Aramäern, Assyrern, Chaldäern und Pontusgriechen
im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord eingestuft. Der gemeinsam
von Union, SPD und Grünen eingebrachte Antrag wurde mit einer Gegenstimme und
einer Enthaltung angenommen worden.
Im Vorfeld der
Abstimmung hatte die türkische Regierung den Bundestag mehrfach vor der
Verabschiedung der Resolution gewarnt. Es gab zahlreiche Drohungen bis hin zu
Morddrohungen gegen Abgeordnete, besonders mit türkischem Familienhintergrund,
vor der Debatte.Cem
Özdemir, einer der Initiatoren der Resolution des Bundestages, wurde im Vorfeld
der Abstimmung und auch noch danach von türkischen Faschisten mit Morddrohungen
überhäuft. Sein Büroleiter Marc Berthold sagte: „Schmähungen und Beleidigungen
sind wir durchaus gewohnt, aber so eine hohe Zahl von Todesdrohungen haben wir
noch nie erlebt.“[1] Die
Berliner Polizei hat daraufhin ihre Präsenz in der Umgebung von Özdemirs
Wohnung erhöht.
Bei der Abstimmung ging es auch um ein unrühmliches Stück
deutscher Geschichte, da das Deutsche Reich als damaliger Partner des
Osmanischen Reich eine Mitschuld an den Massenmorden trug.
Die Verabschiedung
der Resolution dauerte mehr als 11 Jahre. Der Deutsche Bundestag
debattierte im April 2005 eine erstmals eingebrachte Entschließung, nach der
die Türkei aufgefordert werden sollte, sich zu ihrer historischen Verantwortung
für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich zu bekennen. Die
Verfasser des Antrags, die den Begriff „Völkermord“ selbst vermieden,
bedauerten „die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der
vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung
von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen.“[2]
Die französische Nationalversammlung stellte die
Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Jahr 1915 schon vor 11 Jahren
unter Strafe.[3] Das
Gesetz, das von der Nationalversammlung am Donnerstag mit 106 zu 19 Stimmen
verabschiedet wurde, bedroht die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im
Osmanischen Reich mit einem Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Geldbuße. Damals
organisierte die ultrarechte Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP)
Demonstrationen gegen den französischen Gesetzentwurf. Andere Organisationen
riefen zum Boykott französischer Waren auf. Ministerpräsident Erdogan drohte
mit wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, die jedoch ausblieben.
Am 14. November 1914 trat das
Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gegen
die Entente ein. Dies war dem Wunsch geschuldet, die Gebiete zurückzuerobern,
die das Osmanische Reich in früheren Kriegen an Russland verloren hatte. Ende
1914 befahl die osmanische Regierung eine groß angelegte Offensive im Kaukasus.
Diese endete jedoch bereits um die Jahreswende 1914/15 mit einer verheerenden
Niederlage. Im Zuge der russischen Gegenoffensive gingen dem Reich weitere
Gebiete verloren. Armenische Freiwilligenbataillone in der Hoffnung auf
Unabhängigkeit kämpften auf russischer Seite. Obwohl die Mehrheit der
armenischen Zivilisten und Soldaten gegenüber dem Osmanischen Reich loyal
geblieben waren, machte die Staatsführung die Armenier nun kollektiv für die
militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich. Sie nahm den russischen
Einmarsch als Vorwand, das Gros der armenischen Bevölkerung zu deportieren. Die
Zahl der Menschen, die den Massakern und Deportationen zum Opfer fielen, lässt
sich nur schwer beziffern. Das Hauptproblem dabei ist, dass die
Bevölkerungsstatistik des Osmanischen Reichs in dessen letzten Jahrzehnten
gravierende Mängel aufweist. So gibt es keine verlässlichen Angaben dazu, wie
viele Armenier vor dem Krieg im Reich lebten. Das armenische Patriarchat
bezifferte die Anzahl der armenischen Untertanen des Sultans mit rund 2,1
Millionen, die letzte osmanische Volkszählung hingegen mit 1,29 Millionen. Je
nachdem, von welcher Vorkriegsanzahl man ausgeht und ob man ausschließlich die
Hauptphase des Genozids 1915–1917 oder den gesamten Zeitraum bis 1923
berücksichtigt, bewegen sich die Schätzungen zwischen etwa 300.000 und 1,5
Millionen toten Armeniern.
Die Reaktion der türkischen
Regierung auf die Resolution des Bundestages war erwartet heftig. Die türkische Regierung drohte mit einer Beeinträchtigung
der Beziehungen zur BRD. Der neue türkische Regierungschef Binali Yildirim
nannte die Resolution „lächerlich“.[4] Bereits am Samstag
hatte Ministerpräsident Erdogan die türkischstämmigen Personen im Bundestag
verbal attackiert und dabei in rassistischer Weise argumentiert: „Sie haben
nichts mit Türkentum gemein. Ihr Blut ist schließlich verdorben.“[5]
Weiterhin warf Erdogan den Abgeordneten vor, der kurdischen Arbeiterpartei PKK
als „verlängerter Arm in Deutschland“ zu gelten: „Von der separatistischen
Terrororganisation in diesem Land sind sie die Verlängerung in Deutschland.“[6]
Türkische Verbände riefen im Vorfeld zu Protesten gegen
die Resolution auf.[7]
Auf dem Platz des 18. März in Berlin kamen nach Angaben der Polizei rund 1500
Demonstranten. Der Veranstalter rechnete mit bis zu 5000 Teilnehmern. Der
Protest blieb friedlich. Vorher hatten bereits kemalistische Sozialdemokraten
vor dem Reichstag demonstriert. Auch hier lief der Protest nach Angaben eines
Polizeisprechers störungsfrei. Auch schon in der vergangenen Woche gab es
Proteste von türkischen Verbänden in der BRD.
Dass
Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Vizekanzler Sigmar Gabriel und
Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht persönlich an der Debatte
teilnahmen, ist nur schwer zu verstehen und wirft einen Schatten auf das
Zustandekommen der Resolution.
Die Tatsache, dass nationalistischen Gruppen in der Türkei und der BRD
und die Regierung Erdogan das Abstimmungsergebnis im Bundestag massiv
beeinflussen wollte, ist scharf zu verurteilen. Der besondere Mut vor allem von
Parlamentariern mit türkischem Migrationshintergrund, sich davon nicht
beeinflussen zu lassen, ist hervorzuheben.
Für die armenische Gemeinschaft
und anderer Opfergruppen in der BRD bedeutet die Resolution des Bundestages
eine Genugtuung für das erlittene Unrecht. Die
öffentliche Ächtung von Rassismus und planmäßigem Völkermord des Bundestages
gibt ihnen Rückenwind im Kampf gegen Revisionisten und Leugner in der Türkei
und türkischstämmigen Gemeinden im Ausland. Die Aussage, dass nur die Anerkennung
des Völkermordes der Weg zu einer Aufarbeitung des Geschehens bildet, ist
richtig und der einzige Weg zu einer Verständigung. Dies würde auch schlagartig
eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der Türkei und der Republik Armenien
bedeuten.
Bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Genozides an den Armeniern, Aramäern, Assyrern, Chaldäern und
Pontusgriechen im Osmanischen Reich im
Deutsches Historisches Museum am 24.04.2016 stellte der Vorsitzende des
Zentralrates der Armenier in
Deutschland e.V., Jaklin Chatschadorian, in seiner Rede mit
Recht fest: „Die dringend notwendige Ächtung
des Genozides als Völkermord im Sinne der UN-Konvention nähme diesem
unsäglichen Verbrechen und seiner professionalisierten Leugnung in der Türkei,
aber auch der Leugnung durch in Deutschland lebende Türken endlich die
Grundlage. Der Begriff ‚Völkermord‘ bezeichnet einen Straftatbestand. In dieser
juristischen Qualifizierung liegt eine ethische Grundhaltung. Sie bezweckt (…)
die Kennzeichnung von Verschulden und Verstoß. Sie impliziert die Prävention
zum Schutze der Allgemeinheit und beansprucht die Sühne auf Täterseite. Reue,
Trauer und nicht zuletzt der Fingerzeig auf die Notwendigkeit einer, zumindest
symbolischen Wiedergutmachung finden hier ihren Anfang.“[8]
Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD)
fordert die Gründung einer Kommission aus unabhängigen Historikern, die sich
paritätisch aus armenischen und türkischen aber auch anderen international
renommierten Wissenschaftlern zusammensetzt. Dies wäre vielleicht ein erster
Brückenschlag zwischen den Opfergruppen und der Türkei.
Es liegt aber
nicht nur in der Verantwortung der Türkei sowie den türkischstämmigen
Organisationen in der BRD und der der Opfergruppen, zu einem respektvollen
Miteinander zu gelangen. Vielmehr ist es die Pflicht der bundesdeutschen
Regierung und ihrer Organe, kulturelle oder andere Projekte zu fördern, die einen Beitrag dazu leisten, die Menschen aus den
verschiedenen Lagern zusammenzubringen. Auch die Bundesregierung ist dazu
aufgefordert, bei politischen Verhandlungen mit der Regierung Erdogan, die in
der Resolution verabschiedeten Grundsätze offensiv zur Sprache zu bringen.
Dabei kann es aber nicht nur darum gehen,
was in der Vergangenheit passiert ist. Es gilt jetzt eine Kultur des Miteinanders und der Versöhnung im Hinblick auf die
Gegenwart und Zukunft aufzubauen.
[1]
Aachener Nachrichten vom 6.6.2016, S. 1
[2] Kieser, H.L. (Hrsg.): Der Völkermord an den Armeniern, die Türkei
und Europa = The Armenian Genocide, Turkey and Europe. Zürich 2006, S.
98
[3] http://www.spiegel.de/thema/voelkermord_an_den_armeniern/
[4] http://www.spiegel.de/thema/voelkermord_an_den_armeniern/
[5] http://www.heute.de/bluttest-und-drohungen-empoerung-ueber-angiffe-von-erdogan-auf-bundestag-43835350.html
[6]
Ebd.
[7] http://www.morgenpost.de/berlin/article207615885/Tuerkische-Verbaende-demonstrieren-gegen-Armenien-Resolution.html
[8] Ebd.
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